Bekommt das zarte Pflänzchen Aufschwung genug Platz?

Nach Jahren multipler Krisen – von Pandemie über Energiekrise bis zu geopolitischen Verwerfungen – zeigt sich im Frühsommer 2025 erstmals ein vorsichtiger konjunktureller Hoffnungsschimmer. Doch makroökonomisch bleibt die Lage fragil. Ob aus dem Aufschwung ein nachhaltiger Trend wird, hängt nicht zuletzt von strukturellen Reformen und der richtigen Einbettung in den europäischen Rahmen ab.

(PDF)
Deutschland steht am Scheideweg: Stabilität ist vorhanden, Impulse aus Konsum und Handel sind erkennbar.Deutschland steht am Scheideweg: Stabilität ist vorhanden, Impulse aus Konsum und Handel sind erkennbar.Adobe

Wachstumsimpuls mit Vorbehalt: Ein Quartal, kein Durchbruch

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) meldet für das erste Quartal 2025 ein reales Wachstum von +0,2%. Getragen wurde dieser Zuwachs primär durch private Konsumausgaben, günstige Witterungsbedingungen im Baugewerbe und außenwirtschaftliche Vorzieheffekte wegen angekündigter US-Zölle.

In seinem Monatsbericht „Schlaglichter der Wirtschaftspolitik Juni 2025“ verleiht das BMWK dieser Entwicklung einen verhalten optimistischen Ton: Man sehe eine „leichte Wachstumsbelebung“ und positive Impulse aus Konsum, Export und Bau. Dies sei – so der Bericht – ein Hoffnungsschimmer für die deutsche Konjunktur, auch wenn die geopolitische Lage weiterhin Unsicherheiten berge.

Doch die Frühindikatoren deuten bereits wieder auf eine Abschwächung hin. Vor allem im verarbeitenden Gewerbe bleibt die Investitionszurückhaltung ausgeprägt. Die makroökonomische Dynamik ist schwach und durch geopolitische Unsicherheiten hochgradig störanfällig.

Sewing: Europa muss Kapitalströme binden – oder wird abgehängt

Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, hat auf dem Wirtschaftstag der CDU am 12. und 13. Mai in Berlin eindrucksvoll dargelegt, wie viel geopolitische Bewegung derzeit in den Finanzmärkten steckt. Er eröffnete seine Rede mit einem Lenin-Zitat –

„Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und es gibt Wochen, in denen sich Jahrzehnte abspielen“ –

ein Satz, den er, wie er selbst sagte, nie gedacht hätte zu verwenden.

Sewing sprach über die tektonischen Verschiebungen internationaler Kapitalströme. Öffentliche Investitionen seien notwendig, aber nicht ausreichend – das große Geld, so seine Diagnose, fließe derzeit an Europa vorbei. Der europäische Kapitalmarkt sei zu fragmentiert, zu klein und zu illiquide, um im globalen Maßstab wettbewerbsfähig zu sein. Was es brauche, sei ein starkes Deutschland und ein starkes Europa – mit einem gemeinsamen Kapitalmarkt, der Investoren Sicherheit und Tiefe bietet.

Inflation und Geldpolitik: Lockerer Rahmen ohne Transmission

Die Inflationsrate liegt laut BMWK im April bei 2,1% – stabil, aber mit wieder steigender Kernteuerung. Die EZB hat ihren Leitzins seit Mitte 2024 in mehreren Schritten deutlich gesenkt. Dennoch bleiben die Kreditkonditionen im Markt unverändert restriktiv: Die Banken geben die Zinssenkungen nur zögerlich weiter.

Makroökonomisch verfestigt sich das Bild einer geldpolitischen Entkopplung – günstiges Zinsumfeld ohne stimulierende Wirkung auf Investitionen. Der Finanzsektor bleibt zögerlich, die Unsicherheit über künftige regulatorische und steuerliche Rahmenbedingungen hoch.

Strukturprobleme: Wenn Kapital fehlt, helfen Reformen umso mehr

Die deutsche Industrie kämpft weiter mit Standortnachteilen – hohe Energiepreise, Fachkräftemangel, schleppende Digitalisierung. Die Bruttoanlageinvestitionen gehen zurück, vor allem in physische Kapitalgüter. Das BMWK benennt eine anhaltende Divergenz zwischen Dienstleistungen und industrieller Wertschöpfung.

Sewings Forderung nach einem funktionierenden Kapitalmarkt in Europa ist deshalb nicht nur finanzpolitisch, sondern auch makroökonomisch hoch relevant. Denn solange strukturelle Hindernisse bestehen, bleibt die Kapitalbildung unterhalb des Potenzials – und damit auch das Wachstum.

Die Chance ist da – aber Europa muss sie ergreifen

Deutschland steht am Scheideweg: Stabilität ist vorhanden, Impulse aus Konsum und Handel sind erkennbar. Das BMWK spricht von einem Hoffnungsschimmer – aber auch von offenen Baustellen. Entscheidend wird sein, ob Europa und Deutschland gemeinsam eine Infrastruktur schaffen, die internationales Kapital anzieht statt es zu verlieren.

Ein gemeinsamer Kapitalmarkt wäre mehr als eine Finanzreform – er wäre der Schlüssel, damit das Pflänzchen Aufschwung Wurzeln schlagen kann. Oder wie Sewing implizit warnte: Wer jetzt nicht den Boden bereitet, darf sich nicht wundern, wenn das Kapital anderswo Früchte trägt.


(PDF)

LESEN SIE AUCH

Zentrale der EZB in Frankfurt am Main.Zentrale der EZB in Frankfurt am Main.MichaelM / pixabay
International

EZB senkt Leitzinsen erneut: Experten uneins über Auswirkungen auf Inflation und Wachstum

Mit ihrer vierten Zinssenkung in 2024 senkt die Europäische Zentralbank die Leitzinsen um weitere 0,25 Prozentpunkte. Während die Maßnahme als Reaktion auf gedämpftes Wachstum und sinkende Inflationsraten weitgehend erwartet wurde, gehen die Meinungen über die Folgen für Wirtschaft und Finanzmärkte auseinander.

Die Auswirkungen dieser US-amerikanischen Inflationsdynamik könnten auch in Europa zu spüren sein.Die Auswirkungen dieser US-amerikanischen Inflationsdynamik könnten auch in Europa zu spüren sein.Foto: Adobestock
Wirtschaft

US-Inflation unter Trump: Droht ein Überschwappen auf die EU und Deutschland?

Vier Wochen nach der erneuten Amtsübernahme von Donald Trump als US-Präsident zeigt die Inflation in den USA wieder einen Aufwärtstrend. Preiserhöhungen bei Konsumgütern wie Häusern und Lebensmitteln sind spürbar, was auf eine Kombination aus Angebots- und Nachfrageungleichgewichten sowie Arbeitsmarktspannungen zurückzuführen ist.

Noch 2019 überwies die Bundesbank 5,85 Milliarden Euro an den Bund.Noch 2019 überwies die Bundesbank 5,85 Milliarden Euro an den Bund.© Walter Vorjohann
Wirtschaft

Bundesbank mit Rekordverlust: 19,2 Milliarden Euro Minus im Jahr 2024

Die Deutsche Bundesbank hat das Geschäftsjahr 2024 mit einem historischen Defizit abgeschlossen. Mit 19,2 Milliarden Euro Verlust verzeichnet sie das höchste Minus ihrer Geschichte – und den ersten Fehlbetrag seit 1979.

Trotz schleppender Weltkonjunktur sieht Allianz Trade Deutschland auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung - unter bestimmten Voraussetzungen.Trotz schleppender Weltkonjunktur sieht Allianz Trade Deutschland auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung - unter bestimmten Voraussetzungen.DALL-E
Wirtschaft

Allianz Trade: Mini-Wachstum 2025 – doch Deutschlands Resilienz lässt auf mehr hoffen

Trotz schleppender Weltkonjunktur sieht Allianz Trade Deutschland auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung – sofern Digitalisierung, Klimainvestitionen und Strukturreformen entschlossen vorangetrieben werden.

Unsere Themen im Überblick

Informieren Sie sich über aktuelle Entwicklungen und Hintergründe aus zentralen Bereichen der Branche.

Themenwelt

Praxisnahe Beiträge zu zentralen Themen rund um Vorsorge, Sicherheit und Alltag.

Wirtschaft

Analysen, Meldungen und Hintergründe zu nationalen und internationalen Wirtschaftsthemen.

Management

Strategien, Tools und Trends für erfolgreiche Unternehmensführung.

Recht

Wichtige Urteile, Gesetzesänderungen und rechtliche Hintergründe im Überblick.

Finanzen

Neuigkeiten zu Märkten, Unternehmen und Produkten aus der Finanzwelt.

Assekuranz

Aktuelle Entwicklungen, Produkte und Unternehmensnews aus der Versicherungsbranche.

Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk

Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.

"Unabhängigkeit hat viele Gesichter"
Ausgabe 07/25

"Unabhängigkeit hat viele Gesichter"

Was bedeutet Unabhängigkeit im Versicherungsvertrieb wirklich?
"Das Gesamtpaket muss stimmen"
Ausgabe 05/25

"Das Gesamtpaket muss stimmen"

Bernd Einmold & Sascha Bassir
Kostenlos

Alle Ausgaben entdecken

Blättern Sie durch unser digitales Archiv im Kiosk und lesen Sie alle bisherigen Ausgaben des ExpertenReports. Zur Kiosk-Übersicht