§ 1357 BGB: Schlüsselgewalt, das unterschätzte Risiko

Rechtsanwältin Judith Pötter von der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte macht auf ein interessantes Thema aufmerksam, das auch für die tägliche Praxis der Versicherungsmaklerunternehmen von Bedeutung sein kann.

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Dokumentationswirkung des Versicherungsscheines

Sie kennen das: Bestehen Unklarheiten über den Umstand, wer Versicherungsnehmer eines Versicherungsvertrages ist, so verschafft ein Blick in den Versicherungsschein schnell Klarheit. Der Versicherungsschein dokumentiert den Inhalt des Versicherungsvertrages und enthält daher auch die Angaben zum Versicherungsnehmer, also der Person, die durch den Vertrag berechtigt und verpflichtet wird. Von diesem Grundsatz besteht jedoch eine wichtige Ausnahme, wenn der Versicherungsnehmer in einer gültigen Ehe oder eingetragenen Lebensgemeinschaft lebt. Denn dann kann die sogenannte „Schlüsselgewalt“ greifen.

Die Schlüsselgewalt

Die Schlüsselgewalt ist ein familienrechtlicher Begriff und bezeichnet das Recht von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern, Rechtsgeschäfte, die zur Deckung des Lebensbedarfs der Familie beitragen, auch mit Wirkung für den anderen Ehe- oder Lebenspartner durchzuführen. Geregelt ist dies in § 1357 BGB. Nach dieser Regelung werden durch Rechtsgeschäfte beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet. Voraussetzung ist aber, dass es sich um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs handelt. Das Geschäft muss demnach auf die Bedarfsdeckung der Familie abzielen.

Die Rechtsprechung des BGH

Der BGH hat bereits mit Urteil vom 18.02.2018 (nachzulesen unter BGH, Urt. v. 28.02.2018 – XII ZR 94/17, r+s 2018,239) entschieden, dass der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für das Familienfahrzeug ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie sein kann und somit unter die Schlüsselgewalt fällt. Der Abschluss des Versicherungsvertrages führt demnach zu einer Mitverpflichtung und zu einer Mitberechtigung des jeweils anderen Ehegatten. Es können daher beide Ehepartner die Leistungen aus dem Vertrag beanspruchen, sind aber auch beide verpflichtet, die Versicherungsprämie zu zahlen. Rechtlich haben beide Ehegatten gemeinsam die Stellung als Versicherungsnehmer inne, auch wenn nur einer von beiden der formale Vertragspartner (VN) nach dem Versicherungsschein ist.

Konsequenzen aus der Rechtsprechung des BGH

Aus der Rechtsprechung des BGH folgt, dass beide Ehepartner den Vertrag mit Wirkung für den anderen Ehegatten wirksam beenden können, ohne dass es dessen Mitwirkung bedarf. Aus der Rechtsprechung folgt aber auch, dass beide Ehepartner gemeinsam zur Zahlung der Prämien verpflichtet sind. Da diese Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten, kommt es auch auf eine Kenntnis des Versicherers nicht an.

Das führt in der Praxis mitunter zu massiven Abwicklungsproblemen. Denn der Versicherer wird sich auf die im Versicherungsschein ausgewiesene Person verlassen und etwa im Falle des Prämienverzuges auch nur diese anmahnen. Wenn sich aber nun aus der Schlüsselgewalt die Stellung des Ehepartners als (Mit-) Versicherungsnehmer ergibt, müsste auch dieser angemahnt und auf die Rechtsfolgen des Zahlungsverzuges hingewiesen werden. Denn bei mehreren Versicherungsnehmern ist die Mahnung an jeden von ihnen zu richten, und zwar auch dann, wenn diese unter der gleichen Anschrift wohnen. Dies hat die für den Versicherungsnehmer positive Folge, dass der Versicherer seiner Hinweispflicht nicht vollständig nachkommt und somit bei Eintritt des Versicherungsfalles trotz Zahlungsverzuges nicht leistungsfrei wird. Haben Sie das gewusst?

Wie ein Beschluss des OLG Hamm v. 23.01.2023 zeigt, kann sich die Schlüsselgewalt aber auch zu Lasten des Versicherungsnehmers auswirken. In der Entscheidung (nachzulesen unter OLG Hamm, Beschl. v. 23.01.2023 – 6 U 107/21, r+s 2023,662) machte der Versicherungsnehmer nach der Entwendung seines Wohnmobiles Leistungen aus der Kaskoversicherung geltend. Der Versicherer kürzte die Leistungen und berief sich darauf, dass die Ehefrau des Versicherungsnehmers den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Denn diese hatte das Wohnmobil bewusst unverschlossen zurückgelassen.
Eine Zurechnung des Verschuldens des Ehepartners scheidet nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung zwar grundsätzlich aus. Das OLG Hamm stellt in seiner Entscheidung jedoch klar, dass sich der Versicherungsnehmer das Fehlverhalten seiner Ehefrau dann entgegenhalten lassen muss, wenn diese aufgrund der Schlüsselgewalt als (Mit-) Versicherungsnehmer anzusehen ist.

Fazit:
Die Anwendung der Schlüsselgewalt auf Versicherungsverträge bietet Chancen und Risiken zugleich. Bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen mit Familienbezug sollten Sie daher an diese Rechtsprechung zur Schlüsselgewalt denken. Neben Kaskoversicherungen für das gemeinsame Familienfahrzeug ist hier vor allem auch an die Hausrat-, Gebäude- aber auch private Haftpflichtversicherung zu denken. Klarheit können Sie zwar dadurch schaffen, dass bereits bei Antragstellung beide Ehegatten als Versicherungsnehmer aufgeführt werden. Dann entsteht aber der Nachteil, dass beide VN sind und deren jeweiliges Fehlverhalten „wechselseitig“ den Leistungsanspruch im Versicherungsfall schmälern kann.

Ebenso kann aber auch explizit dargestellt und dokumentiert werden, dass ein Ehepartner nur sich verpflichten möchte und der Vertrag nicht der Bedarfsdeckung der Familie dient. Das kann beispielsweise die ungewollte, aber wirksame Kündigung des Partners verhindern, wenn der Versicherer hiervon auch Kenntnis bekommt. Andererseits kann dann bei Zahlungsverzug des VN nicht mehr eingewandt werden, der Partner hätte die Versicherungsprämie für den gemeinsamen Lebensbedarf gezahlt, wenn er denn eine Zahlungsaufforderung oder Mahnung bekommen hätte. Dies würde die Leistungsfreiheit des Versicherers verhindern.

Die gesetzliche Regelung des Paragrafen 1357 BGB hat also eine starke Ausstrahlungswirkung auf die Einbeziehung von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern in ein Versicherungsvertragsverhältnis. Wie in der Ehe: „Wie in guten, als auch in schlechten Zeiten …“.

Eigentlich kann von einem Versicherungsmakler nicht erwartet werden, dass er derartige gesetzliche Regelungen in der Beratung erläutert. Andererseits hat es noch nie geschadet mehr zu wissen als andere! Gerade, wenn der Kunde genau hierzu Fragen hätte.

Das dürfen Sie aber in der Beratung durchaus ansprechen und auch dokumentieren! Wichtig ist nur, dass auch der Versicherer gegebenenfalls von den Kundenwünschen informiert wird und die tatsächliche Sach- und Rechtslage nicht in einem Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 1357 BGB steht. Denn grundsätzlich ist es durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob ein Versicherungsvertrag zur Deckung des täglichen Lebensbedarfes der Familie dient. Wenn dies ausdrücklich nicht der Fall ist, müsste es gegebenenfalls dem Versicherer kommuniziert werden. Denn dann würde auch nicht der Ehepartner mit einmal (ungewollt) Vertragspartner werden oder könnte „eigene vertragliche“ Obliegenheiten verletzen. Denn dann wäre ein Fehlverhalten des Ehepartners grundsätzlich nicht dem Versicherungsnehmer zuzurechnen.

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