Kostenexplosion in Pflegeheimen: Pflegereform stoppt nicht den Tsunami

Der Verband der Ersatzkassen veröffentlichte am 18. Juli 2023 Zahlen zum Eigenanteil in der stationären Altenpflege. Die Auswertung zeigt erneut einen starken Anstieg der finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen. Patientenschützer werfen der Bundesregierung vor, schon vor Verabschiedung der Pflegereform von dieser Entwicklung gewusst zu haben.

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Die höchsten Mehrkosten im Vergleich zum Vorjahr haben Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthalts. Hier stieg die monatliche Eigenbeteiligung innerhalb eines Jahres bundesweit im Durchschnitt um 348 Euro (2022: 2.200 Euro; 2023: 2.548 Euro). Pflegebedürftige mit einer Aufenthaltsdauer ab zwölf Monaten zahlen 292 Euro mehr (2022: 2.007 Euro; 2023: 2.299 Euro). Eine Aufenthaltsdauer ab 24 Monaten schlägt mit einem Plus von 236 Euro (2022: 1.814 Euro; 2023: 2.050 Euro) und ab 36 Monaten von 165 Euro (2022: 1.573 Euro; 2023: 1.738 Euro) zu Buche.

Dass die finanzielle Belastung je nach Aufenthaltsdauer variiert, hängt mit dem gestaffelten Zuschuss zusammen, den die Pflegekassen seit 2022 zu den pflegerischen Kosten, dem sogenannten einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE), beisteuern. Obwohl die Pflegekassen in diesem Jahr insgesamt wohl mehr als vier Milliarden Euro für die Zuschüsse ausgeben werden, hat der EEE damit für Pflegebedürftige, die bis zu zwei Jahre im Pflegeheim sind, bereits das Niveau von vor der Einführung der Zuschüsse deutlich überschritten. Ende des Jahres 2021 lag der EEE für alle Pflegebedürftigen bei 912 Euro.

Erhöhte Eigenanteile durch steigende Löhne

Grund für die starke Erhöhung des EEE ist vor allem die seit September 2022 geltende Tariftreue-Regelung, wonach das Pflegepersonal mindestens nach Tarif zu vergüten ist und diese Kosten eins zu eins in den Pflegesatz eingepreist werden müssen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifentwicklung und der seit 1.7.2023 umzusetzenden neuen Personalbemessung in der Pflege ist davon auszugehen, dass der EEE bis zum Jahresende weiter ansteigt.

Bundesländer zu Investitionskostenübernahme verpflichten

„Wir unterstützen die Maßnahmen für eine faire Bezahlung des Pflegepersonals und die Sicherstellung einer angemessenen Personaldecke in Pflegeheimen“, sagte Dr. Jörg Meyers-Middendorf, Vertreter des vdek-Vorstandes. „Es kann aber nicht sein, dass die stetig steigenden Kosten zum Großteil von den Pflegebedürftigen geschultert werden müssen. Wenn der Aufenthalt im Pflegeheim von immer mehr Menschen nicht mehr bezahlt werden kann, läuft etwas gründlich schief.“

Die durch das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz ab 1.1.2024 geltende Erhöhung der Zuschläge durch die Pflegekassen dürften den Trend nur kurzfristig abmildern, so Meyers-Middendorf weiter. „Es braucht zeitnah eine Lösung zur nachhaltigen Entlastung der Pflegebedürftigen, die nicht allein auf dem Rücken der Beitragszahler lastet. Dazu gehört es, die Bundesländer endlich zur Übernahme der Investitionskosten für die Pflegeeinrichtungen zu verpflichten. Das würde die Pflegebedürftigen ad hoc um durchschnittlich 477 Euro pro Monat entlasten.”

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärt dazu: "Der Bundesgesundheitsminister und die Bundesregierung wussten schon bei der Verabschiedung der sogenannten Pflegereform im Juni, welche Kostenwelle auf die Pflegeheimbewohner zurollt. Doch der Tsunami wurde nicht gestoppt."

Stattdessen komme so der Vorstand weiter, im Januar nächsten Jahres eine Mini-Entlastung, die schon heute längst aufgebraucht sei. Schließlich gebe es 2024 für die Mehrkosten von 350 Euro allein in den letzten 12 Monaten keinen Ausgleich.

"Die Bundesregierung ist gefordert, die Zukunftssicherheit der Pflegeversicherung herzustellen. Deshalb braucht es jetzt eine Erhöhung aller Leistungsbeträge um 350 Euro. Ebenso muss die Pflegeversicherung die Kosten für die reine Pflege komplett übernehmen", fordert Brysch.

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