Seit 17 Jahren warnt der Global Risks Report des World Economic Forum vor eng miteinander verknüpften globalen Risiken, und der Global Risks Report 2023 stellt fest, dass Konflikte und geoökonomische Spannungen eine Reihe von miteinander verwobenen globalen Risiken ausgelöst haben.
Hierzu gehören Engpässe bei der Energie- und Nahrungsmittelversorgung, die in den nächsten zwei Jahren anhalten dürften, sowie ein starker Anstieg bei den Kosten der Lebenshaltung und des Schuldendienstes. Zugleich besteht die Gefahr, dass diese Krisen Bemühungen zur Bewältigung längerfristiger Risiken untergraben, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der biologischen Vielfalt und Investitionen in das Humankapital.
Dies sind die Erkenntnisse des heute veröffentlichten Global Risks Report 2023, in dem argumentiert wird, dass sich das Zeitfenster für Maßnahmen gegen die schwerwiegendsten langfristigen Bedrohungen rasch schließt und konzertierte, kollektive Maßnahmen erforderlich sind, ehe Risiken einen Kipppunkt erreichen.
Der Bericht, der in Zusammenarbeit mit Marsh McLennan und Zurich Insurance Group erstellt wurde, stützt sich auf die Perspektiven von über 1.200 globalen Risikoexperten und führenden Persönlichkeiten aus der Politik und Wirtschaft. Er zeichnet über drei Zeitspannen hinweg ein Bild der globalen Risikolandschaft, das sowohl neu als auch fast unheimlich vertraut ist, da die Welt mit vielen bestehenden Risiken konfrontiert ist, von denen bislang angenommen wurde, dass sie im Schwinden begriffen sind.
Gegenwärtig haben die weltweite Pandemie und der Krieg in Europa die Energie-, Inflations-, Nahrungsmittel- und Sicherheitskrisen wieder in den Vordergrund gerückt. Daraus ergeben sich und eine auf die Krisenbewältigung fokussierte Führung bislang ungekannte gesellschaftliche Not schaffen werden, da wegfallende Investitionen in Gesundheit, Bildung und wirtschaftliche Entwicklung den sozialen Zusammenhalt weiter untergraben. Schließlich besteht bei wachsenden Rivalitäten die Gefahr einer zunehmenden geoökonomischen Militarisierung und Remilitarisierung, insbesondere durch neue Technologien und böswillige Akteure.
Gefahr der Dauerkrise
In den kommenden Jahren werden Regierungen schwierige konkurrierende Belange der Gesellschaft, der Umwelt und der Sicherheit gegeneinander abwägen müssen. Kurzfristige geoökonomische Risiken stellen schon jetzt die Netto-Null-Verpflichtungen auf die Probe und decken die Kluft auf, die zwischen dem wissenschaftlich Notwendigen und dem politisch Vertretbaren besteht. Um die Folgen einer sich erwärmenden Welt zu begrenzen, sind drastisch beschleunigte kollektive Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise erforderlich.
Gleichzeitig können Sicherheitserwägungen und steigende Militärausgaben den fiskalischen Spielraum eingrenzen, den Länder haben, um die Auswirkungen einer länger anhaltenden Krise der Lebenshaltungskosten abzufedern. Ohne einen Kurswechsel könnten gefährdete Länder in eine Dauerkrise geraten, in der Folgerisiken, die in den kommenden beiden Jahren dominieren werden: das Risiko einer Rezession, eine wachsende Verschuldung, eine anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten, eine weitere Polarisierung von Gesellschaften durch Des- und Fehlinformation, ein Stillstand bei dringenden Klimaschutzmaßnahmen und ein geoökonomischer Nullsummen-Krieg.
Wenn die Welt nicht beginnt, beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel effektiver zusammenzuarbeiten, wird dies in den nächsten 10 Jahren zu einer weiteren globalen Erwärmung und zum ökologischen Zusammenbruch führen.
Ein Scheitern bei der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an seine Folgen, Naturkatastrophen, der Verlust der biologischen Vielfalt und die Umweltzerstörung stellen fünf der 10 größten Risiken dar, wobei der Verlust der biologischen Vielfalt für das kommende Jahrzehnt als eines der sich am schnellsten verschärfenden globalen Risiken betrachtet wird. Parallel hierzu besteht die Gefahr, dass geopolitische Rivalitäten sie nicht in künftiges Wachstum, menschliche Entwicklung und grüne Technologien investieren können.
Der Bericht fordert führende Persönlichkeiten auf, kollektiv und entschlossen zu handeln und dabei kurz- und langfristige Perspektiven abzuwägen. Neben dringenden, koordinierten Klimaschutzmaßnahmen empfiehlt der Bericht auch gemeinsame Anstrengungen der Länder sowie eine öffentlich-private Zusammenarbeit zur Stärkung der Finanzstabilität, der Technologie-Governance, der wirtschaftlichen Entwicklung und der Investitionen in Forschung, Wissenschaft, Bildung und Gesundheit. Saadia Zahidi, Managing Director beim World Economic Forum, erklärt:
Die kurzfristige Risikolandschaft wird von Energie, Nahrungsmitteln, Schulden und Katastrophen beherrscht.
Diejenigen, die ohnehin schon am stärksten gefährdet seien, leiden – und angesichts der zahlreichen Krisen nehme die Zahl derer, die als gefährdet gelten, rapide zu, sowohl in den reichen als auch in den armen Ländern. Führende Politiker der Welt müssen das Klima und die menschliche Entwicklung in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen, auch wenn sie aktuelle Krisen bekämpfen. Kooperation ist der einzige Weg nach vorne, mahnt Zahidi.
Polykrise und Ressourcenkonkurrenz
Das Zusammenspiel zwischen den Auswirkungen des Klimawandels, dem Verlust der biologischen Vielfalt, der Ernährungssicherheit und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen schaffe einen gefährlichen Cocktail, ergänzt John Scott, Head of Sustainability Risk, Zurich Insurance Group. Ohne signifikante politische Veränderungen oder Investitionen werde diese Mischung den Zusammenbruch von Ökosystemen beschleunigen, die Nahrungsmittelversorgung bedrohen, die Auswirkungen von Naturkatastrophen verstärken und weitere Fortschritte bei der Eindämmung des Klimawandels behindern. Scott betont:
Wenn wir unsere Maßnahmen beschleunigen, besteht bis zum Ende des Jahrzehnts immer noch die Möglichkeit, einen 1,5°C-Zielpfad zu erreichen und dem Notstand unserer Natur zu begegnen.
In Anbetracht der jüngsten Fortschritte bei der Einführung von Technologien für erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge dürfen man seines Erachtens zuversichtlich sein.
Carolina Klint, Risk Management Leader, Continental Europe, bei Marsh, sagte: "Das Jahr 2023 wird in den Bereichen Nahrungsmittel, Energie, Rohstoffe und Cybersicherheit von erhöhten Risiken gekennzeichnet sein, die weitere Störungen der globalen Lieferketten verursachen und Investitionsentscheidungen beeinflussen werden."
In einer Zeit, in der Länder und Organisationen ihre Resilienzbemühungen verstärken sollten, werde wirtschaftlicher Gegenwind ihre entsprechenden Möglichkeiten einschränken. Angesichts der schwierigsten geoökonomischen Bedingungen seit einer Generation sollten sich Unternehmen nicht nur auf die Bewältigung kurzfristiger Probleme konzentrieren, sondern auch auf die Entwicklung von Strategien, die sie gut für längerfristige Risiken und strukturelle Veränderungen aufstellen, empfiehlt Klint.
Zum Global Risks Report
Der Global Risks Report bildet eine Säule der Global Risks Initiative des World Economic Forum. Diese Initiative fördert ein besseres gemeinsames Verständnis kurz-, mittel- und langfristiger globaler Risiken und ermöglicht so Lernen hinsichtlich Risikovorsorge und Widerstandsfähigkeit.
Der diesjährige Bericht untersucht auch, wie das Zusammenspiel aktueller und künftiger Risiken zu einer "Polykrise" führen kann – einem Cluster miteinander verwobener globaler Risiken, deren Auswirkungen sich mit unabsehbaren Folgen gegenseitig verstärken. Der Bericht untersucht zudem die "Ressourcenrivalität", das heißt dem potenziellen Cluster korrelierender ökologischer, geopolitischer und sozioökonomischer Risiken im Zusammenhang mit dem Angebot an und der Nachfrage nach natürlichen Ressourcen wie Nahrungsmitteln, Wasser und Energie.
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