Pflegetagegeld: Urteil gegen die INTER bestätigt

Das OLG Hamm hat über die Berufung der INTER Krankenversicherung AG gegen ein erstinstanzliches Urteil des LG Münster in einer Streitigkeit zu einer Pflegetagegeldversicherung entschieden. Erstinstanzlich war die INTER Krankenversicherung AG in dem von der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow begleiteten Verfahren unterlegen.

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Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus einer Pflegetagegeldversicherung und um eine Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung seitens der INTER Krankenversicherung AG.

Ende Juni 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung. Zu diesem Zeitpunkt war seine Ehefrau schwanger. Untersuchungen, die am ungeborenen Kind durchgeführt worden waren, hatten den Verdacht eines hypoplastischen Linksherzsyndroms ergeben, was dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung bekannt war. Eine Frage danach, ob im Rahmen einer bei Antragstellung schon bestehenden Schwangerschaft der Verdacht auf eine vorgeburtliche Schädigung des Kindes bestand, enthielt das Antragsformular der INTER Krankenversicherung AG jedoch nicht.

Nach der Geburt des Kindes versicherte der Versicherungsnehmer sein Kind bei der INTER Krankenversicherung AG im Rahmen einer Kindernachversicherung mit. Antragsfragen wurden ihm dabei seitens des Versicherers nicht gestellt. Sodann wurde festgestellt, dass das Kind pflegebedürftig ist. Der Versicherungsnehmer begehrte sodann die Zahlung des vereinbarten Pflegetagegeldes.

Nachdem die INTER Krankenversicherung AG zunächst Leistungen erbracht hatte, stellte sie diese im Laufe der Zeit jedoch ein. Sodann erklärte sie auch die Anfechtung ihrer auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung.

Kein Verstoß gegen spontane Anzeigeobliegenheit

Das Landgericht Münster hat die INTER Krankenversicherung AG zur Erbringung weiterer Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung verurteilt (LG Münster, Urt. v. 03.01.2022 – Az.: 115 O 199/20). Zur Begründung hat das Landgericht Münster ausgeführt, dass es bereits an einer Täuschung durch den Versicherungsnehmer fehle, welche aber Voraussetzung für eine Anfechtung sei.

Unstreitig hatte der Versicherer nicht nach vorgeburtlichen Diagnosen gefragt. Eine Pflicht zur spontanen Offenbarung der ärztlichen Diagnosen habe für den Versicherungsnehmer nicht bestanden. Die pauschale Nachversicherungsmöglichkeit in § 3 Abs. 2 AVB zeige vielmehr, dass der Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes für den Versicherer nicht maßgeblich sei.

Eine ausführliche Besprechung des Urteils des LG Münster hier nachzulesen.

Die Entscheidung der II. Instanz

Das OLG Hamm hat die Berufung der INTER Krankenversicherung AG gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen (Beschluss v. 29.07.2022 – Az. I-20 U 27/22). Das Berufungsgericht bestätigt damit vollumfänglich die erstinstanzliche Entscheidung des LG Münster.

Versicherungsnehmer hat Fragen zutreffend beantwortet

Das OLG Hamm stellte zunächst nochmals fest, dass der Versicherungsnehmer nicht ausdrücklich etwas Falsches erklärt hatte, sondern die vom Versicherer gestellten Fragen vielmehr zutreffend beantwortet hat. Es komme deshalb von Vornherein nur eine Täuschung durch Unterlassen in Frage, so der Senat.

Im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB kommt eine solche Täuschung durch Unterlassen nur dann in Betracht, wenn im konkreten Fall eine Aufklärungspflicht des Versicherten bestand, weil der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte redlicherweise eine Aufklärung erwarten durfte (BGH, Urt. v. 11.08.2010 – XII ZR 192/08, NJW 2010, 3362, juris Rn. 22). Dabei ist es grundsätzlich Sache jedes Vertragspartners, seine Interessen selbst wahrzunehmen (BGH, a.a.O, juris Rn. 23 ff.). Es besteht daher keine allgemeine Pflicht, jegliche Umstände mitzuteilen, welche für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können.

Mitteilungspflicht nur bei besonderen Gründen

Der Senat musste nicht abschließend entscheiden, welche Mitteilung ein Versicherer über die von ihm gemäß § 19 Abs. 1 VVG gestellten Fragen hinaus zur Aufklärung erwarten darf; ohnehin handele es sich dabei um eine nicht abstrakt zu beantwortende, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage (vgl. BGH, Beschl. v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10, r+s 2011, 421, juris Rn. 3 f.).

Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass Fälle wie der vorliegende dadurch gekennzeichnet sind, dass ein Versicherungsnehmer einem Versicherer gegenübertritt, der geschäftserfahren ist und gerade für die Vertragsanbahnung einen Fragebogen entwickeln konnte und entwickelt hat, mit dem er zum Ausdruck bringt, welche Umstände für ihn im Hinblick auf den Vertragsschluss relevant sind. Daraus folgt, dass die Anfechtung in derartigen Konstellationen auf außergewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt sein muss, etwa wenn sich eine Mitteilungspflicht aus besonderen Gründen dem Versicherungsnehmer aufdrängt.

Bekannte Diagnosen sind nicht zwingend Mitteilungspflichtig

Daran fehlt es vorliegend trotz des Umstandes, dass bei dem noch ungeborenen Kind des Versicherungsnehmers eine Herzerkrankung bereits diagnostiziert worden war, so der Senat. Dafür spricht bereits, dass es sich bei einer bereits vorgeburtlich im Mutterleib bestehenden Erkrankung keineswegs um einen Umstand handelt, der so ungewöhnlich wäre, dass ein Versicherer danach nicht fragen könnte.

Derartiges kommt – glücklicherweise – nicht gerade besonders häufig vor, ist aber leider auch kein ganz ungewöhnlicher Einzelfall. Denn in Deutschland werden eine Vielzahl von Kindern geboren, wobei es immer wieder auch zu vorgeburtlichen Krankheiten und Schädigungen kommt.

Wenn ein durchschnittlicher Versicherungsinteressent, der werdender Vater ist, bei Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung für sich ein Antragsformular des geschäftserfahrenen Versicherers bekommt, in dem eine Frage nach solchen vorgeburtlichen Erkrankungen nicht gestellt ist, muss er nach alledem nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass der Versicherer solche Umstände dennoch erfahren möchte.

Fazit zu den Entscheidungen

Die Entscheidungen des LG Münster und des OLG Hamm sind nachvollziehbar und überzeugen in Gänze. Die Annahme, dass in dem vorliegenden Fall keine „spontane Anzeigepflicht“ bestand, ist ebenso nachvollziehbar. Denn aus § 19 VVG ergibt sich nun mal, dass der Versicherungsnehmer bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen hat.

Darüber hinaus braucht der Versicherte keine Angaben zu machen, und zwar auch nicht „spontan“. Dass vorliegend ein Sachverhalt gegeben ist, bei welchem außergewöhnliche und besonders wesentlichen Informationen bestanden hätten, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer auch ohne Auskunftsverlangen ihre Mitteilungsbedürftigkeit aufdrängen muss, ist eben nicht ersichtlich gewesen.

Die INTER Krankenversicherung AG hat gegen den Beschluss des OLG Hamm Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt.

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