Kapitalmärkte stehen vor einer geoökonomischen Zeitenwende

Die Schwäche der globalen Börsen seit Jahresbeginn bestätigt einen tektonischen Umbruch, der sich schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine abgezeichnet hat. Ursache ist ein neues Anlageumfeld mit strukturell erhöhter Inflation, das bereits 2021 erkennbar war. Diese Konstellation wird nun durch die geoökonomischen Folgen des Ukraine-Krieges akut verschärft.

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Betrachte man das Gesamtbild, dann stehen die Kapitalmärkte vor einer echten Zeitenwende – hin zu drohender Ressourcenknappheit und erhöhtem Inflationsdruck, so Dr. Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chief Investment Officer von FERI. Die aktuellen Korrekturen seien deshalb kein kurzer Ausrutscher, sondern der Beginn einer tektonischen Marktbereinigung.

Steigende Stagflations- und Rezessionsrisiken

Das Zusammenspiel monetärer und geopolitischer Trends habe bereits seit geraumer Zeit die Voraussetzungen für ein strukturell inflationäres Marktumfeld geschaffen. Im Vordergrund stehe hier die massive Geldschöpfung großer Notenbanken, die im Zuge der Corona-Pandemie nochmals dramatisch ausgeweitet wurde. Mit dem kriegsbedingten Preisauftrieb bei Gas, Öl, Weizen und wichtigen Industriemetallen werde Inflation nun endgültig zum Game Changer an den Märkten. Zudem wachse durch die wirtschaftliche Isolation Russlands das Risiko erneuter Unterbrechungen globaler Liefer- und Versorgungsketten. Rapp erklärt:

Der Ukraine-Konflikt verschärft den Prozess fortschreitender Deglobalisierung und schafft eine radikal neue geoökonomische Wirklichkeit.

Investoren müssten sich jetzt nicht mehr nur auf ein verändertes Zinsumfeld, sondern auch auf die Unwägbarkeiten eines erneuten kalten Krieges einstellen: Das Gesamtszenario verändere sich derzeit radikal, berichtet Rapp. Am Horizont zeichne sich bereits das Risiko einer Stagflation ab, also einer Situation mit schwachem Wachstum und gleichzeitig hoher Inflation. Diese Perspektive sei speziell für die Aktienmärkte extrem herausfordernd und müsse im Verlauf noch verstanden und eingepreist werden.

Zweistellige Inflation möglich

Das signifikant gestiegene Inflationsrisiko hat auch Folgen für die globale Konjunktur. Die Europäische Zentralbank hat jüngst ihre Inflationsprognose zwar von 3,2 auf 5,1 Prozent erhöht. Modellrechnungen von FERI zeigen jedoch, dass dies immer noch zu wenig sein dürfte. Mit den bereits jetzt erreichten Preisen für Öl, Gas und andere Rohstoffe wird die Inflationsrate im Euroraum im Jahresdurchschnitt wahrscheinlich mehr als 6 Prozent betragen. Dass sie mittelfristig wieder unter die 2-Prozent-Marke sinkt, wie es die EZB immer noch annimmt, hält FERI für unwahrscheinlich, denn bereits vor dem Ukraine-Krieg gab es eine Reihe von inflationsverstärkenden Faktoren.

Sollte es tatsächlich zu verringerten Lieferungen von Öl und Gas aus Russland nach Europa kommen, ist mit einem weiteren Preisschub zu rechnen, der die Inflation in die Nähe der 10-Prozent-Marke katapultieren könnte. Weil hohe Inflationsraten wie eine zusätzliche Konsumbesteuerung wirken, wäre es mit einer moderaten Abwärtsrevision der Wachstumsprognosen nicht mehr getan. Vielmehr stünde der Aufschwung als solches in Frage. Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe, erläutert, wie sich damit das Dilemma der EZB verschärft:

Zur Inflationsbekämpfung müsste sie wahrscheinlich mehr tun, als ihre Anleihekäufe schneller zurückzufahren, wie sie es jetzt angekündigt hat. Mit Blick auf die Konjunktur könnte sich genau das aber als zusätzlicher Rezessionstreiber erweisen.

Tektonischer Regimewechsel an den Kapitalmärkten

Vor diesem Hintergrund drohe den Aktienmärkten eine echte Zäsur, die das Ende des zehnjährigen Bull Markets einläuten könnte. Auch für die Rentenmärkte bedeute das Aufkommen struktureller Inflation eine strategische Umkehr. Der sich abzeichnende Regimewechsel an den globalen Kapitalmärkten sei ein einschneidender Vorgang, der höchste Aufmerksamkeit und strategische Weitsicht fordere.

Konzepte wie „Buy and Hold“ bei Aktien verlören dann klar an Wirksamkeit. Da sowohl Aktien- als auch Rentenmärkte künftig unter Druck kommen, werde aktives Multi Asset Management unverzichtbar. Professionelle Investoren sollten ihr Portfolio künftig sehr breit diversifizieren und mit Gold oder Rohstoffen gegen geopolitische Risiken und Inflation absichern, rät Dr. Heinz-Werner Rapp.

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