Das Internet ist heutzutage hinsichtlich der Beschaffung von Informationen für einen Großteil der Gesellschaft der erste Anlaufpunkt, sei es beruflich oder privat. Wenn es um Versicherungsprodukte und -dienstleistungen geht, suchen sogar mehr als neun von zehn der Unter-Fünfzigjährigen online nach Informationen.
Ein Beitrag von Marcel Kappestein, Geschäftsführer von Avenga Deutschland
Der deutsche Gesetzgeber trägt diesen neuen Gewohnheiten Rechnung und bemüht sich darum, mehr Menschen einen leichteren Zugang zu digitalen Inhalten zu ermöglichen – mithilfe des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG).
Das 2021 verabschiedete BFSG legt fest, dass Versicherungsunternehmen (und viele andere Akteure aus der Privatwirtschaft) ihre digitalen Informationen und Services künftig barrierefrei gestalten müssen. Der Stichtag für die Umsetzung ist der 28. Juni 2025. Unternehmen, die danach die Vorschriften zur Barrierefreiheit nicht umgesetzt haben, müssen mit empfindlichen Bußgeldern bis zu 100.000 Euro rechnen.
Welche Richtlinien gilt es zu erfüllen?
Das BFSG orientiert sich an den vier Grundprinzipien der Barrierefreiheit:
- Sämtliche Informationen und Bestandteile einer Website müssen für alle Menschen wahrnehmbar sein. Dies gewährleisten beispielsweise Bildbeschreibungen oder Alternativtexte für Bilder.
- Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen müssen in der Lage sein, die Webseite leicht zu bedienen. Das bedeutet, dass Web-Inhalte leicht zu navigieren sein müssen und Seitenbesucher mit allen Bestandteilen interagieren können.
- Sprache und Inhalte einer barrierefreien Website müssen für alle Menschen leicht verständlich sein. Dies wird beispielsweise durch klare Formulierungen und die Verwendung von Leichter Sprache sichergestellt.
- Eine barrierefreie Website muss technisch robust und mit verschiedenen Geräten und Browsern kompatibel sein, sowohl heute als auch in Zukunft.
Ob Versicherungsunternehmen diese Kriterien bereits erfüllen oder ob es noch Nachholbedarf gibt, kann mithilfe des sogenannten BITV-Tests überprüft werden.
Warum sollte in digitale Barrierefreiheit investiert werden?
Digitale Barrierefreiheit ist mehr als nur eine lästige Pflicht – sie bietet auch große Chancen für Versicherungsunternehmen:
- Eine gut strukturierte und barrierefreie Webseite erhöht die Lesbarkeit und Benutzerfreundlichkeit für alle. Damit tragen barrierefreie Angebote zu einer effektiveren Kommunikation mit Ihren Kunden bei.
- Darüber hinaus erweitert Barrierefreiheit Ihre Zielgruppe. Portale und Applikationen, die für alle zugänglich sind, unabhängig von körperlichen oder sensorischen Einschränkungen, bieten eine größere Reichweite. Indem Sie barrierefreie, digitale Services anbieten, öffnen Sie sich einem erweiterten Kundenkreis, der bisher möglicherweise aufgrund von Barrieren ausgeschlossen blieb.
- Barrierefreiheit ist auch ein Zeichen Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und wirkt sich positiv auf Ihre Anziehungskraft aus. Indem Sie Benutzerfreundlichkeit, Diversität und Inklusion aktiv unterstützen sowie die Zugänglichkeit Ihrer digitalen Angebote für jeden sicherstellen, demonstrieren Sie, dass Sie die Bedürfnisse ihrer Kunden und Mitarbeiter ernst nehmen. Sowohl Markenbindung als auch Markenimage profitieren davon.
Digitale Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) markiert einen entscheidenden Meilenstein der Digitalisierung und fördert gleichzeitig die gesamtgesellschaftliche Teilhabe an digitalen Services. Unternehmen, die jetzt proaktiv handeln und dem Thema Barrierefreiheit die gebotene Aufmerksamkeit zukommen lassen, eröffnen sich neue oder größere Märkte und sichern sich so langfristig einen spürbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern.
Zum Autor
Marcel Kappestein ist Geschäftsführer von Avenga Deutschland, der deutschen Tochter der globalen Avenga Gruppe. In seiner Position verantwortet er das Deutschlandgeschäft sowie die Wachstumsaktivitäten und die Geschäftsentwicklung im DACH-Raum. Sein Schwerpunkt liegt in der digitalen Transformation von Konzernen und großen Mittelständlern.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Deutschlands Versicherer verfehlen Barrierefreiheitsstandards: Drohen ab 2025 Sanktionen?
Bei der Barrierefreiheit ihrer Internetangebote haben deutsche Versicherer Nachholbedarf, zeigt eine aktuelle Untersuchung der PPI AG. Keines der untersuchten Unternehmen erfüllte die Mindestanforderungen.
De-risking Digitalisation: Effizienz, Rentabilität und Vertrieb
Versicherer haben keine andere Wahl: um relevant zu bleiben, gilt es die digitale Transformation voranzutreiben. Vielen stellt sich die Frage: in welchem Bereich setzt man zuerst die Automatisierung der Prozesse um? Was bei der Suche nach dem strategischen Sweet Spot zu beachten ist.
Alles dreht sich um den Kunden
Gerade Versicherern bieten sich Chancen, wenn sie die Customer Experience in den Mittelpunkt stellen. Stimmen sie Angebote und ihre Kommunikation auf jeden Kunden gezielt ab, kann aus dem Vertragsabschluss eine langfristige, positive Beziehung werden.
So gehen Versicherungen und Banken die Digitalisierung an
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
KI-Regulierung in der Praxis: AfW veröffentlicht Leitfaden für Vermittler
Wie können Vermittler-Unternehmen die europäische KI-Verordnung umsetzten? Diese Frage will der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW mit einem Praxisleitfaden beantworten.
Ostseehochwasser: Verbraucherschützer planen Musterklage gegen Versicherer
Viele Betroffene des Ostseehochwassers im Oktober 2023 fühlen sich im Stich gelassen – trotz Elementarschadenversicherung verweigern Versicherer die Leistung mit Verweis auf Sturmflut-Ausschlüsse. Nun wollen Verbraucherschützer eine Musterfeststellungsklage einreichen.
BGH bestätigt Gefährdungshaftung: Hundehalter haftet, Versicherung kann schützen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Tierhalterhaftung bekräftigt und klargestellt: Hundehalter müssen auch ohne eigenes Verschulden für Verletzungen haften, die durch ihr Tier verursacht werden. Im konkreten Fall forderte eine gesetzliche Krankenkasse erfolgreich Behandlungskosten zurück. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer Tierhalterhaftpflichtversicherung.
Wie sich der Rechtsstreit ums geerbte Haus vermeiden lässt
Die meisten Immobilien gehen nach Todesfällen an mehrere Erben. Uneinigkeit über die Verwertung des geerbten Hauses ist dabei vielfach vorprogrammiert. Ein Partner für Teilerbauseinandersetzungen kann Streit vermeiden und ein wirtschaftliches Ergebnis für Betroffene erzielen. Warum das Modell auch für Versicherer interessant sein kann, erklären Robert Lindenstreich und Florian Kania vom Frankfurter Startup Remedium. Der Text erschien zuerst im expertenReport 05/25.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.