Härtetest für die Geldpolitik von EZB und Fed

Börsengraph. Stift kringelt eine Stelle
© Tino Neitz – stock.adobe.com

Die Sitzungen der Entscheidungsgremien von Fed und EZB im Juli haben gezeigt: Beide Notenbanken wollen die Inflation unbedingt auf das angestrebte 2 Prozent-Ziel zurückführen. Die Geldpolitik bleibt deshalb vorerst restriktiv ausgerichtet. Zinssenkungen wird es bis zum Ende des laufenden Jahres deshalb nicht geben. So stellt sich die Frage: Wann ist der Zeitpunkt erreicht, ab dem weitere Zinsanhebungen für die Erreichung des Inflationsziels nicht mehr notwendig sind, dafür jedoch die wirtschaftliche Dynamik bremsen und die Stabilität des Bankensystems gefährden?

Ein Beitrag von Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe

Setzten die Notenbanken über diesen Zeitpunkt hinaus die geldpolitische Straffung fort, steigt das Risiko einer Rezession. Noch riskanter wären im umgekehrten Fall zu frühe Zinssenkungen. Wenn die Fed tatsächlich ein „Soft Landing“ der US-Wirtschaft managen wollte, müsste sie wegen der Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik bereits deutlich vor einer möglichen Rezession der US-Wirtschaft mit Zinssenkungen beginnen.

Dabei müsste sie darauf vertrauen, dass erstens ihre Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – wahrscheinliche Rezession in etwa 6 bis 12 Monaten – zutreffend ist und zweitens die bislang erreichte Wirkung der Geldpolitik ausreicht, die Inflation trotz Zinssenkungen auf 2 Prozent zurückzuführen. Gelingt ihr das nicht, läuft sie Gefahr, dass die Inflation erneut steigt und die Notenbank den Zyklus der geldpolitischen Straffung wiederaufnehmen muss, was nicht nur erhebliche realwirtschaftliche Folgen hätte, sondern auch ihre Reputation weiter beschädigen würde.

In der Geschichte findet sich kein Beispiel dafür, dass der Fed dieser Balanceakt tatsächlich gelungen wäre. Zudem lassen die jüngsten Schwierigkeiten, die inflationäre Entwicklung frühzeitig als ernsthaft (und eben nicht bloß vorübergehend) einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren, kaum Raum für Optimismus, dass es gerade diesmal anders sein könnte.

Angesichts dieser Unsicherheiten erscheint eine Geldpolitik, die jeweils situationsbezogen in Abhängigkeit von den vorliegenden Inflations-Daten und unter Berücksichtigung der konjunkturellen Dynamik ihre Entscheidungen trifft, auf jeden Fall als angemessen.

US-Rezession wahrscheinlicher als ein „Soft Landing“

Die Fed ist deshalb gut beraten, weiterhin vorrangig das Inflationsziel zu verfolgen und mögliche rezessive Entwicklungen gegebenenfalls in Kauf zu nehmen. Wahrscheinlich wird sie ihren einmal erreichten Maximal-Leitzins für längere Zeit und also bis weit in das Jahr 2024 hinein beibehalten, um das Risiko einer zweiten Inflationswelle zu minimieren.

Dies bedeutet aber in der Konsequenz, dass eine gesamtwirtschaftliche Rezession der US-Wirtschaft eine wesentlich größere Eintrittswahrscheinlichkeit hat als ein „Soft Landing“. Die Frage ist deshalb nicht ob, sondern wann es zu einer solchen Rezession kommt. Aus heutiger Sicht erscheint das erste Halbjahr 2024 als wahrscheinlichster Zeitpunkt.

Die EZB steht vor zwei zusätzlichen Herausforderungen: Erstens muss sie die Heterogenität innerhalb des Euroraums im Blick behalten – die Spanne zwischen der geringsten und der höchsten Kerninflationsrate beträgt im Euroraum derzeit etwa 6,5 Prozentpunkte. Zweitens schwächelt die Wirtschaft im Euroraum schon seit längerem, so dass sich die Frage stellt, wieviel zusätzlicher Dynamikverlust infolge einer weiteren Straffung der Geldpolitik opportun erscheint. Die Diskussionen innerhalb des EZB-Rats dürften im Herbst hörbar kontroverser werden.