Bei der laufenden Bewertung der Auswirkungen der jüngsten Bankenturbulenzen verdienen die Bedingungen in Europa eine besonders genaue Betrachtung. Allein die Bankkredite des Privatsektors machen etwa 115 Prozent des BIP im Euroraum aus, im Vergleich dazu sind es in den USA nur 66 Prozent des BIPs.
Marktkommentar von Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin bei PGIM Fixed Income
Wir glauben, dass eine Ansteckung europäischer Banken eingedämmt werden kann, allerdings möglicherweise auf Kosten einer erhöhten Risikoanfälligkeit für einige Staatsanleihen. Ein Beispiel für die Verflechtung von europäischen Banken und den Staaten ist der Besitz von mehr als 25 Prozent der italienischen Staatsschulden durch italienische Banken. Dies stellt eine Schwachstelle für beide Seiten dar.
Sollte die italienische Verschuldung erneut unter Druck geraten, insbesondere wenn die EZB ihre quantitative Straffung in Angriff nimmt, könnte das neue, noch nicht erprobte Transmissionsschutzinstrument (TPI) der EZB zum Einsatz kommen.
Italien erfüllt derzeit die Kriterien für die Inanspruchnahme dieser Fazilität, mit der den Risiken einer Fragmentierung der Anleihemärkte in Europa entgegengewirkt werden soll. Erste Vorschläge deuten darauf hin, dass das TPI in einem Spread-Bereich von 200-250 Basispunkten ausgelöst werden könnte. Am Montag lagen die 10-jährigen italienischen BTP-Renditen 184 Basispunkte über jenen der 10-jährigen deutschen Staatsanleihen.
Der Euroraum könnte ebenfalls mit Gegenwind durch die strengeren Kreditbedingungen in den USA konfrontiert werden, da die Modellierung der EZB eine ähnliche Wirkung auf die europäische Wirtschaft nahelegt. So könnte eine Straffung der Kreditvergabe in den USA um 50 Basispunkte einer Verringerung um 0,25 Prozentpunkte für das BIP im Euroraum entsprechen, das wir derzeit bei -0,1 Prozent in 2023 und 0,4 Prozent in 2024 sehen.
Folglich können wir daraus eine Spanne für die Erwartungen an die Geldpolitik der EZB festlegen: In einem Szenario, in dem der Schock im US-Bankensektor das Äquivalent von 50-200 Basispunkten ausmacht, deutet dies auf eine Obergrenze für den EZB-Leitzins von durch uns bereit angedeuteten 3,5 Prozent hin. Das andere Ende könnte jedoch bei 2,0 Prozent liegen, was auf Spielraum für künftige Zinssenkungen hindeutet.
Für die USA haben wir kürzlich unsere BIP-Prognosen von 1,5 Prozent auf 0,9 Prozent in 2023 und von 1,3 Prozent auf 0,9 Prozent in 2024 gesenkt, was auf die Auswirkungen der jüngsten Volatilität im Bankensektor zurückzuführen ist.
Positiv betrachtet, hat der jüngste Stress im Bankensektor die Verantwortlichen für Geldpolitik dazu veranlasst, zu prüfen, ihre Reihe von Zinserhöhungen zu verlangsamen, zu stoppen oder rückgängig zu machen, um die Panik zu mildern und die wirtschaftliche Expansion zu verlängern.
Dazu scheint es eine herzeigbare Erfolgsbilanz der Politik zu geben, die verhindern soll, dass eine Finanzkrise eine ansonsten gesunde Wirtschaft zum Einsturz bringt: Der Zyklus 1986-1989 überstand den Börsencrash von 1987, und der Zyklus 1994-2001 überstand die asiatische Schuldenkrise, den Zahlungsausfall Russlands und den Zusammenbruch von Long-Term Capital Management. In diesen Fällen lockerte die Fed die Geldpolitik in der Mitte des Zyklus, nahm aber anschließend die Zinserhöhungen wieder auf, als die Expansionen weitergingen.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Die Fed, die EZB und der Beinahe-Crash der Banken
Die Spannungen bezüglich der US-Regionalbanken, die SVB-Pleite und die Übernahme der Credit Suisse als Ansteckungspunkt in Europa sind eine indirekte Folge und ein unerwünschter Nebeneffekt im Kampf gegen die Inflation, den Fed und EZB um jeden Preis führen wollten.
EZB: Baldiges Ende der restriktiven Haltung?
Die EZB scheint ihren restriktiven Kurs vorerst beizubehalten. Doch es gibt Risiken am Horizont, die ab dem Sommer zu einer deutlichen Aufweichung der Geldpolitik führen könnten. Diese zinspolitischen Veränderungen hätten deutliche Auswirkungen auf das Währungs- und Anleihen-Engagement.
Stürzt Deutschland durch eine Bankenkrise in die Rezession?
Um die Inflation in den USA und in Europa zu bekämpfen, wurden die Leitzinsen mit hoher Geschwindigkeit angehoben. Nachdem der Druck auf die Zentralbanken wächst, wird es Zeit, dass sie ihre Zinspolitik auf den Prüfstand stellen und eine Ansteckungsgefahr auf die Gesamtwirtschaft unterbinden.
Neue Risse im Banken- und Finanzsystem belasten die Märkte
Vordergründig hat die Pleite der SVB mit den Problemen der Credit Suisse wenig zu tun. Doch die Ereignisse zeigen, dass das Banken- und Finanzsystem zunehmend unter dem zügigen Zinsanstieg leidet. Ein geldpolitisches „weiter so“ könnte daher unerwünschte Verwerfungen nach sich ziehen.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Goldpreis erreicht neuen Rekordwert
Der Goldpreis hat mit 3.600 US-Dollar je Feinunze ein neues Allzeithoch erreicht. Welche Faktoren die Rallye treiben – und warum Analystin Sarah Schalück von der apoBank den Trend noch lange nicht am Ende sieht.
Globale Renditeanstiege: Langläufer geraten unter Druck
Die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen steigen weltweit auf neue Höchststände. Der Kapitalmarkt signalisiert: Die Phase fiskalischer Schonung ist vorbei. Emissionsdruck, politische Unsicherheiten und strukturelle Zweifel an der Schuldentragfähigkeit erzwingen eine Neubewertung. Was Anleger jetzt erwarten – und Staaten herausfordert.
KI-Aktien: Ist der Hype überschritten – oder beginnt Europas Chance?
Die KI-Euphorie hat die Börsen im Griff – doch wie tragfähig sind die Bewertungen von Nvidia, Microsoft & Co.? Während US-Tech dominiert, eröffnen sich in Europa Chancen abseits des Rampenlichts. Mike Judith, Partner und Chief Sales Officer bei TEQ-Capital, ordnet den Markt ein – und zeigt, wo Anleger jetzt genau hinschauen sollten.
Depotbanken verwahren fast 3 Billionen Euro
Die Verwahrstellen in Deutschland haben im ersten Halbjahr 2025 fast 3 Billionen Euro für Fonds verwahrt – ein neuer Rekord. Doch hinter dem Wachstum steht auch eine deutliche Marktkonzentration: Fünf Anbieter dominieren fast 70 Prozent des Geschäfts.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.