Die Rekordinflation hat die Europäische Zentralbank (EZB) zum Handeln gezwungen. Nachdem die US-Notenbank Fed vorgelegt hatte, läutete die EZB 2022 auch im Euroraum die Zinswende ein und erhöhte sukzessive die Leitzinsen. Das Ende des Niedrigzinsumfelds kommt den Lebensversicherern zugute, da der hohe Zuführungsbedarf zur Zinszusatzreserve (ZZR) entfallen ist. Stattdessen verzeichnete die Branche 2022 bereits erste Rückflüsse aus dem Reservetopf in Höhe von vier Milliarden Euro. Der Zinsanstieg wirft zugleich die Frage nach einer Erhöhung des Höchstrechnungszinses auf, der erst zu Beginn des vergangenen Jahres noch abgesenkt wurde.
Dies sind Ergebnisse aus der aktuellen Marktstudie zu Überschussbeteiligungen und Garantien von Lebensversicherern, die Assekurata am 23. Februar veröffentlicht hat.
Nachdem das allgemeine Zinsniveau bereits Ende 2021 einen leichten Aufwärtstrend aufwies, läutete die Europäische Zentralbank (EZB) 2022 als Reaktion auf die Rekordinflation im Euroraum auch offiziell die Zinswende ein. In mehreren Schritten erhöhten die Notenbanker seitdem den Leitzins auf aktuell 3,00 Prozent, Tendenz weiter steigend.
„Die höheren Zinsen stellen für die Profitabilität der Lebensversicherer eine Entlastung dar“, kommentiert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata, die geänderten Rahmenbedingungen.
Erste Rückflüsse aus der ZZR bereits ab 2022
Nach Heermanns Einschätzung liegt dies insbesondere an den verbesserten Finanzierungsbedingungen für die Garantieverpflichtungen. Die extrem niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre haben die Lebensversicherer vertragsseitig besonders bei der Erfüllung der Altgarantien in den Beständen getroffen.
Bereits seit 2011 mussten die Lebensversicherer daher eine Zinszusatzreserve (ZZR) aufbauen. Aufgrund der nun deutlich höheren Marktzinsen ist der für ihre Berechnung geltende Referenzzins für 2022 erstmals in der ZZR-Historie nicht weiter gesunken, sondern stabil bei 1,57 Prozent geblieben.
Dies hat zur Folge, dass die Branche bereits 2022 erste Rückflüsse von etwa 4 Mrd. Euro aus der ZZR verzeichnen konnte, was durch den Bestandseffekt aus auslaufenden Altverträgen begünstigt wird. In Summe belief sich der ZZR-Bestand Ende 2022 auf etwa 92 Mrd. Euro, nachdem er im Vorjahr noch um 10 Mrd. Euro auf 96 Mrd. Euro aufgefüllt worden war.
Referenzzins bleibt auch weiter stabil
Wie in den vergangenen Jahren hat die Kölner Rating-Agentur auch diesmal einen Ausblick für die ZZR erstellt. Deren weitere Entwicklung hängt dabei neben der individuellen Bestandsstruktur der Versicherer maßgeblich vom Zinsumfeld ab. Laut der Assekurata-Studie können sich die Versicherer begründete Hoffnung machen, auch in Zukunft ZZR-Mittel abbauen zu können.
Von einem kurzfristigen Rückgang der Marktzinsen sei in Anbetracht der weiteren angekündigten Zinsschritte der EZB und der noch immer sehr hohen Inflation im Euroraum nicht auszugehen, prognostiziert Lars Heermann.
Doch auch im Fall einer erneuten Abwärtsbewegung der Zinsen ist zunächst nicht von einem Rückgang des Referenzzinses auszugehen. Dies ergibt sich aus der zugrunde liegenden Berechnungsmethodik des Referenzzinses, für den Assekurata im Rahmen der Marktstudie drei verschiedene Zukunftsszenarien simuliert hat. Die Verläufe sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Kein neuer ZZR-Bedarf absehbar
In allen drei Szenarien bleibt der Referenzzins in den kommenden Jahren konstant. Im Basis-Szenario, das eine Fortschreibung des aktuellen Zinsniveaus über den kompletten Prognosezeitraum unterstellt, würde der Referenzzins im Jahr 2027 erstmals ansteigen und den Abbau der ZZR zusätzlich beschleunigen.
Im Positiv-Szenario tritt dieser Fall bereits 2026 ein, im Negativ-Szenario würde sich der Referenzzins dann jedoch leicht reduzieren. Aber auch hier wäre die Branche bis einschließlich 2026 in der Abbauphase.
Höchststand der ZZR erreicht
Mit Blick auf die daraus resultierende ZZR-Dotierung rechnet Assekurata im Basis-Szenario für die kommenden Jahre bis 2026 mit Rückflüssen von jeweils 4 bis 5 Mrd. Euro. Danach würde das Volumen ein zweistelliges Milliardenniveau erreichen.
Unter den aktuellen Zinsbedingungen sei die ZZR für die Branche ausfinanziert, schlussfolgert Lars Heermann. Selbst bei langfristig wieder fallenden Zinsen dürfte der Höchststand der ZZR aus 2021 nicht mehr
erreicht werden.
ZZR senkt die Garantiezinsen im Bestand deutlich
Die Rückflüsse aus der ZZR realisieren sich allerdings erst über einen langen Zeitraum. Zudem beschränken bestehende stille Lasten auf den festverzinslichen Anlagen in den Bilanzen die Ertragsflexibilität der Anbieter.
„Die Kapitalanlagebestände der Versicherer sind langfristig ausgerichtet, so dass die höheren Marktzinsen erst langsam zu einem höheren Bestandszins führen“, erläutert Lars Heermann. Deshalb seien auch die aktuellen Überschussdeklarationen noch nicht auf breiter Linie gestiegen.
Dennoch wirken die gestiegenen Zinsen entlastend auf die Ertragslage der Unternehmen. Ende 2022 lag der nominelle Garantiezins im Bestand der Lebensversicherer noch bei durchschnittlich 2,46 Prozent. Unter Anrechnung der ZZR fällt dieser mit 1,40 Prozent jedoch um 106 Basispunkte geringer aus, hat Assekurata in der Studie ermittelt.
„Diese Zinsanforderung können die Lebensversicherer in der Neuanlage nun wieder gut erwirtschaften“, glaubt Lars Heermann und ergänzt: „Die Bedingungen an den Zinsmärkten passen jetzt wieder besser zu den Verpflichtungen auf der Passivseite der Lebensversicherer.“ Letztere sind in den vergangenen Jahren sukzessive zurückgegangen, wozu auch die Ausrichtung auf kapitaleffiziente Produkte und die Absenkungen des Höchstrechnungszinses beigetragen haben.“
Höchstrechnungszins bleibt erstmal konstant
Der gesetzliche Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung ist ein wichtiger Maßstab für die Kalkulation von Lebensversicherungsgarantien. Er wurde zuletzt zum Jahresbeginn 2022 von 0,90 Prozent auf 0,25 Prozent abgesenkt.
Die entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzministeriums (BMF) war seinerzeit noch vom langjährigen Niedrigzinsumfeld geprägt. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Zinslage seitdem deutlich verbessert hat, stellt sich nun die Frage nach einer möglichen Wiederanhebung. Auch hierzu hat Assekurata die Lebensversicherer in der Marktstudie um eine Einschätzung gebeten.
Im Ergebnis erwartet ein Großteil der Teilnehmer vorerst nicht, dass das BMF aktiv wird, und rechnet frühestens ab 2025 mit einer Anhebung. Dies deckt sich mit dem aktuellen Vorschlag der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV),
den Höchstrechnungszins bis 2024 konstant zu halten.
„Auch in dieser Hinsicht ist eine Renaissance der klassischen Lebensversicherung somit noch nicht erkennbar“, sagt Lars Heermann. Falls es dann zu einer Anhebung käme, sind die Prognosen der Studienteilnehmer zur Höhe des neuen Höchstrechnungszinses allerdings sehr unterschiedlich und reichen von 0,50 Prozent bis 1,25 Prozent.
Die Marktstudie kann einschließlich vieler Einzelauswertungen auf der Internetseite der Assekurata bestellt werden.
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