Die digitale Zukunft wartet – doch ganz so einfach, wie mancher Versicherer sich den Weg dorthin vorstellt, ist er in der Realität selten. Digitale Transformationsprojekte sind in der Regel mit einem enormen Kraftaufwand und unerwarteten Hindernissen verbunden. Doch ein Zurück kann es nicht geben; vor allem nicht, wenn Wettbewerber ihre Digitalisierung unbeirrt vorantreiben. Um nicht ins Abseits zu geraten, müssen Versicherungsunternehmen deshalb die größten Hürden rechtzeitig erkennen und ihren Digitalisierungsprozess anpassen.
Ein Beitrag von Peter Helfenstein, Senior Business Development Manager bei Endava
Die Kaufgewohnheiten und Erwartungen von Verbrauchern haben sich in den letzten Jahren erheblich verändert – Waren und Dienstleistungen werden zunehmend online und vorzugsweise direkt per App gekauft. Gleichzeitig wünschen sie sich, von Unternehmen als Individuum wahrgenommen zu werden und auf sie zugeschnittene, personalisierte Angebote zu erhalten.
Diese Entwicklung macht auch vor der Versicherungsbranche nicht halt. Versicherer müssen deshalb zunehmend ihre bestehenden Geschäftsmodelle optimieren und neue entwickeln, um sowohl die Beziehung zu ihren Bestandskunden zu stärken als auch um neue Kunden zu gewinnen.
Doch weder aus strategischer noch aus finanzieller Sicht wäre es sinnvoll, dafür weiterhin auf manuelle Prozesse zu setzen. Stattdessen müssen Versicherungsunternehmen ihre digitale Transformation vorantreiben. Der erste Schritt dabei: das Ziel definieren. Denn hiervon ist abhängig, wie sich der weitere Digitalisierungsprozess gestaltet. Dabei lassen sich drei übergeordnete Kategorien unterscheiden: mehr betriebliche Effizienz, eine höhere Rentabilität beim Underwriting und ein stärkerer Vertrieb.
Die Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich meistern
Welches dieser Ziele ein Versicherer verfolgen sollte – oder ob alle drei gleichermaßen Priorität haben – ist eine strategische Entscheidung und hängt von den jeweiligen Voraussetzungen und Anforderungen des Unternehmens ab. Während einige in den letzten Jahren das Thema Effizienz in den Fokus gerückt haben, mit Straight Through Processing als oberstem Ziel, haben sich andere stattdessen auf den Ausbau ihrer Vertriebskanäle und die Zusammenarbeit mit Partnern konzentriert. Es gilt deshalb herauszufinden, in welchem Bereich der größte Verbesserungsbedarf herrscht.
Dafür ist eine tiefgreifende Analyse unerlässlich, die einerseits versteckte Geschäftsfelder und potenziale aufdeckt, andererseits Schwachstellen und Engpässe in Systemen und Prozessen schonungslos offenlegt. Versicherungsunternehmen sind gemeinhin komplexe Organisationen, deren Strukturen sich oft im Laufe der Zeit entwickelt und gefestigt haben. Allerdings sind diese heute oft nicht mehr zeitgemäß und können dem Digitalisierungsprozess entgegenstehen. Deshalb sollten die Unternehmensverantwortlichen insbesondere mit folgenden Herausforderungen rechnen:
- Widerstand der Mitarbeiter: Veränderungen sind oft schwierig, insbesondere, wenn sie gewohnte Verhaltens- oder Arbeitsweisen betreffen. Die digitale Transformation kann aber nur gelingen, wenn Mitarbeiter neue Tools oder Systeme auch tatsächlich nutzen.
- Komplexität von Produkten: Ein typischer Versicherer hat gerne mal 80 Produkte oder mehr im Angebot, und alle mit individuellen Abstufungen. Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Produktreihen zu finden, kann sich als sehr komplex und zeitaufwändig herausstellen.
- Flut von Anträgen: Versicherungen erhalten oft tausende Anträge pro Woche und kämpfen damit, die Risiken zu evaluieren, um sie den richtigen Teams zuzuordnen. Gleichzeitig fällt es vielen schwer, den Underwritern Daten effizient bereitzustellen, sodass diese zwischen unterschiedlichen Systemen hin und her wechseln müssen.
- Mangel an Dateninnovationen und -experimenten: Versicherer arbeiten mit unterschiedlichen Datenquellen, die über ihre Produkte verteilt sind. Daher ist die Erfassung von Datenpunkten eine langwierige Aufgabe. Jedoch investieren bislang nur wenige Unternehmen in eine Infrastruktur, die notwendig ist, um neue Datenmodelle entwickeln zu können.
Ein Mentalitäts- und Technologiewechsel ist notwendig
Angesichts dieser Herausforderungen müssen Versicherer überlegen, wie sie die Risiken bei ihrem Digitalisierungsprozess verringern können. Einer der entscheidendsten Schritte wird es dabei sein, die Mitarbeiter auf diesen Weg einzustimmen. Dies können Versicherer zum einen durch eine offene, transparente Kommunikation erreichen – wann stehen welche Veränderungen an, welche Tools werden ersetzt, welche beibehalten – oder noch besser, indem sie die Nutzer von Anfang in die Veränderungsprozesse mit einbeziehen.
Zum anderen sollten Manager ihren Teammitgliedern die positiven Auswirkungen neuer Lösungen auf ihren Arbeitsalltag darlegen. Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass sie nicht ersetzt, sondern unterstützt werden, insbesondere bei zuvor mühsamen und zeitraubenden Aufgaben.
Darüber hinaus müssen Versicherer ihre Datensilos endlich aufbrechen und Datenmodelle entwickeln, die es erlauben, Daten aus unterschiedlichsten Quellen miteinander zu verbinden und zu analysieren und den Mitarbeitern direkt oder über Anwendungen nach Bedarf zur Verfügung zu stellen. Dabei müssen sie darauf achten, dass sie ihre Datenmodelle von Anfang an richtig aufstellen, da unterschiedliche Datenmodelle auf Produktebene erneut riesige Ineffizienzen schaffen, die sich später kaum auflösen lassen.
Versicherungen sollten die Gelegenheit zudem nutzen, um ihr Produktportfolio zu optimieren. Denn die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit von Produkten hilft Mitarbeitern und Kunden gleichermaßen. In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, Schwachstellen im User Interface zu beseitigen, die sowohl „Portalermüdung“ bei Maklern als auch hohe Build/Run-Kosten durch mangelnde Konsistenz verursachen.
Fazit
Versicherer haben keine andere Wahl, als ihre digitale Transformation voranzutreiben. Sonst werden sie dabei zusehen müssen, wie immer mehr Konkurrenten an ihnen vorbeiziehen. Doch sollten sie ihren Digitalisierungsprozess nicht überhasten, sondern von Anfang an einen klaren Plan verfolgen, der etwaige Risiken und Herausforderungen berücksichtigt und entsprechende Lösungen beinhaltet. So können sie ihre Mitarbeiter durch einfachere, klarere, schnellere Prozesse entlasten und dadurch das Kundenerlebnis an den heutigen Erwartungen ausrichten.
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