Da scheint der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Das Gesetz zur Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungsrichtlinie (kurz Nachweisgesetz), das am 1. August 2022 in Kraft getreten ist, ist ein Rückschritt für die digitalen Erfolge vieler Unternehmen und Organisationen. Denn es legt die EU-Richtlinie weitaus strikter aus.
Ein Marktkommentar von Sandra Mekler, Managing Partner bei MRH Trowe
Vor allem zwei Punkte sind kritisch zu hinterfragen. Das Nachweisgesetz, das es bereits seit 25 Jahren gibt, sieht vor, dass Arbeitgeber die wesentlichen Arbeitsbedingungen und deren Änderungen schriftlich festhalten und dem Arbeitnehmer aushändigen müssen. Das geschieht in der Regel mit einem Arbeitsvertrag.
Der deutsche Gesetzgeber sieht in der Novellierung nach § 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG nunmehr explizit die strenge Schriftformerfordernis vor – die elektronische Form wird ausdrücklich ausgeschlossen. Heißt, während der Arbeitgeber in den vergangenen Monaten erfolgreich wichtige Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Digitalisierung seiner Prozesse eingeleitet hat, könnten nun wichtige Bemühungen bei der Digitalisierung der Arbeitsverträge einen Rückschritt erleiden.
Nachweisgesetzt betriff auch bAV
Das Nachweisgesetz betrifft auch die betriebliche Altersversorgung, die Teil des Arbeitsentgelts ist. Hierüber muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer schriftlich informieren (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 NachwG). Es ist egal, ob es sich dabei um eine reine Arbeitgeberleistung oder um Zuschüsse zur Entgeltumwandlung handelt. Auch jedwede Änderung unterliegt der Mitteilungspflicht. Leider ist bislang nicht klar, wie streng dies gehandhabt wird.
Anfang Juli hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) an die aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung ein Schreiben gerichtet, wonach die Entgeltumwandlung von der Dokumentationspflicht des Nachweisgesetzes ausgenommen ist. Das Schreiben liefert jedoch keinen Hinweis darauf, wie mit den (gesetzlich verpflichtenden beziehungsweise freiwilligen) Zuschüssen des Arbeitgebers zur Entgeltumwandlung zu verfahren ist.
Es bleibt weiterhin abzuwarten, ob Gerichte der Rechtsauffassung des BMAS folgen werden. Wieder ein neues Gesetz, dessen Umsetzung zunächst schwammig bleibt. Eine kleine Ausnahme gibt es jedoch für Arbeitgeber mit Betriebsrat oder tarifvertragsgebundene Arbeitgeber: Die Angaben zur betrieblichen Altersversorgung können durch einen Verweis auf Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ersetzt werden (§ 2 Abs. 4 Satz 1 NachwG).
Drohendes Bußgeld
Eine weitere Neuerung im Nachweisgesetz ist, dass ein Verstoß gegen die detaillierten Vorschriften nun – nach 25 Jahren – eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 2.000 Euro je Verstoß geahndet werden kann (§ 4 NachweisG). Dabei handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Wenn der Arbeitnehmer heute auf diese Nachweispflicht besteht, muss der Arbeitgeber zügig agieren und mitunter Dokumente in der strengen Schriftform nachreichen. Das ist deshalb fraglich, sieht die EU-Richtlinie doch weder das Bußgeld noch die ausdrückliche strenge Schriftform vor.
Gerade im Zuge der zunehmenden Digitalisierung bedeutet das einen Schritt zurück nach den Anstrengungen, die Unternehmen in den vergangenen Jahren – vor allem im Zuge der Pandemie – für eine papierlose, digitale Arbeitswelt unternommen haben. Dabei stellt sich die Frage, warum Deutschland einen eigenen, strengeren Weg beschreitet und den Unternehmen damit das Leben erschwert. Denn klar ist, dass Digitalisierung inzwischen ein Grundbaustein einer modernen Gesellschaft ist und allen Beteiligten das Leben sehr viel leichter macht.
Es bleibt also zu hoffen, dass die papierlose Form laut EU-Richtlinie doch zugelassen und das Bußgeld abgeschafft wird. Bis dahin bleibt den Arbeitgebern nichts weiter, als auf Nummer sicher zu gehen, sich beraten zu lassen und trotz dem damit verbundenen Aufwand zurück in die Vergangenheit reisen – hoffentlich nur kurzfristig.
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