Der Niedrigzins hat die private Krankenversicherung (PKV) auch 2021 fest im Griff und schlägt mit hohen Beitragsanpassungen in der Voll- und Pflegeversicherung durch. Der Wachstumsmotor Pflegezusatzversicherung scheint dadurch ins Stottern zu geraten – trotz oder gerade wegen der Diskussion um stark steigende Pflegekosten und der inzwischen beschlossenen Pflegereform.
Als Lichtblick erweist sich wachstumsseitig weiterhin die Zahnzusatz- sowie die betriebliche Krankenversicherung, die immer mehr an Fahrt gewinnt. Wirtschaftlich hat die Branche die Corona-Pandemie 2020 gut überstanden. Hierzu trug auch ein pandemiebedingt vergleichsweise moderater Leistungsausgabenanstieg in der Vollversicherung bei.
PKV kommt wirtschaftlich gut durch die Corona-Krise
Durch die pandemiebedingt geringere Zahl an Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten sind die Leistungsausgaben in der Vollversicherung 2020 mit voraussichtlich 2,9 Prozent deutlich moderater angestiegen als in den beiden Vorjahren, in denen die Kostensteigerungen über 4 Prozent lagen, fasst Gerhard Reichl, Fachkoordinator Krankenversicherung der ASSEKURATA Assekuranz RatingAgentur GmbH und Autor der Untersuchung, die Ergebnisse zusammen.
Zusätzlich haben insbesondere die Beitragsanpassungen in der Pflegepflichtversicherung dazu beigetragen, dass die PKV im Geschäftsjahr 2020 ihr versicherungsgeschäftliches Ergebnis deutlich von 4,9 Mrd. Euro auf rund 5,7 Mrd. Euro steigern konnte.
Am Kapitalmarkt hat die Corona-Pandemie dagegen deutliche Spuren hinterlassen. So ging das Kapitalanlageergebnis von 9,5 Mrd. auf circa 8,7 Mrd. Euro zurück, was einer Nettoverzinsung von knapp 2,9 Prozent entspricht.
Dieser Rückgang ließ sich auch nicht durch den Gewinnanstieg im Versicherungsgeschäft kompensieren, wodurch insgesamt auch das Rohergebnis nach Steuern marktweit um 0,3 Mrd. Euro auf rund 5,7 Mrd. Euro sank.
Rekordzuwachs bei den Beiträgen
Beim Personenwachstum in der Vollversicherung hat sich der Trend leichter Bestandsverluste fortgesetzt (2020: -0,1 Prozent). Im Vergleich zu 2011 wechseln mittlerweile deutlich weniger gutverdienende Angestellte und auch Selbständige von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in die PKV. Im Gegensatz dazu erhöhte sich jedoch zuletzt die Zahl der Neuzugänge im Beihilfesegment.
Hier macht sich die steigende Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst positiv bemerkbar,
erläutert Gerhard Reichl. Die Ausweitung des Hamburger Modells (Beihilfeempfänger) sowie das Versichertenentlastungsgesetz (Selbständige) hatten somit bislang bei beiden Kundengruppen bislang keine spürbaren Auswirkungen auf das Neugeschäft der PKV.
Beitragsseitig verzeichnete die Branche ähnlich wie 2010 und 2017 zwar einen Rekordzuwachs von rund 1,8 Mrd. Euro jedoch beruht dieser Anstieg wiederum zu einem Großteil auf Beitragsanpassungen – diesmal vor allem in der besonders zinssensitiven Pflegeversicherung.
Deutliche Entlastung der Zinsanforderung
Da der Rechnungszins im Zuge der durchgeführten Beitragsanpassungen im Branchenschnitt mittlerweile nur noch bei 2,66 Prozent liegt, betrug die Zinsanforderung 2020 lediglich 7,5 Mrd. Euro. Ohne Absenkung, also bei einem Rechnungszins von 3,50 Prozent, hätte sie bei 9,8 Mrd. Euro gelegen.
Dies verdeutlicht die entlastende Wirkung des aktuariellen Unternehmenszinses auf die Unternehmen, für die dadurch eine Fortsetzung der Niedrigzinsphase zumindest ökonomisch kein Problem darstellen dürfte,
erläutert Reichl. Ein Indiz hierfür sind auch die Solvenzquoten, die in der PKV ohne Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassung mit durchschnittlich 397 Prozent deutlich höher ausfallen als in der Lebensversicherungssparte mit durchschnittlich gut 200 Prozent.
Die Kehrseite der Medaille sind jedoch die damit einhergehenden Beitragssteigerungen in der Voll- und Pflegeversicherung, die bei Kunden und Vermittlern für Verunsicherung sorgen und unternehmensseitig das Neugeschäft beziehungsweise das Bestandswachstum negativ tangieren.
Offenbar Nullwachstum in der Pflegezusatzversicherung
Besonders deutlich wird dies aktuell in der Pflegezusatzversicherung, die im Geschäftsjahr 2020 netto nach Verträgen voraussichtlich stagnierte. Ursächlich hierfür ist ein Neugeschäftsrückgang von rund 30 Prozent und ein Stornoanstieg von 70 Prozent jeweils gemessen in Monatssollbeiträgen.
Diese Entwicklung ist – neben der Absenkung des Rechnungszinses – ganz wesentlich auch auf die Verteuerung der Beiträge durch das zweite Pflegestärkungsstärkungsgesetz, PSG II, zurückzuführen, analysiert Gerhard Reichl. So stieg die Zahl der Leistungsempfänger in der sozialen und privaten Pflegepflichtversicherung von 2016 bis 2019 um knapp 45 Prozent von 2,94 Mio. auf 4,25 Mio. Euro und die Leistungsausgaben nahmen um rund 41 Prozent von 29,95 Mrd. auf 42,27 Mrd. Euro zu.
Aus diesem Grund werden die Unternehmen die Beiträge in der privaten Pflegepflichtversicherung für Beamte zum 1. Juli 2021 erneut anheben.
Höchste Beitragsanpassung seit 2010
Bereits zu Beginn des Jahres hatten die Gesellschaften die Beträge in der Vollversicherung marktweit so stark angepasst wie seit 2010 nicht mehr, erläutert Gerhard Reichl. Im Durchschnitt der von Assekurata gerateten Krankenversicherer erhöhten sich die Bestandsbeiträge im Beihilfesegment um 5,7 Prozent und im Nicht-Beihilfebereich um 7,7 Prozent.
Anpassungsdruck in der Voll- und Pflegeversicherung bleibt bestehen
Assekurata-Geschäftsführer Dr. Reiner Will prognostiziert: Nachhaltige Ruhe an der Beitragsfront ist vorerst nicht in Sicht, schon allein aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase, die auch in den kommenden Jahren durch weitere Rechnungszinsabsenkungen für Beitragsanpassungen sorgen dürfte.
Hinzu kommen die steigenden Pflegekosten und die für die nächste Legislaturperiode zu erwartende Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).
Diese dürfte ähnlich wie die Novellierung der Gebührenordnung für Zahnärzte im Jahr 2012 mehr oder weniger starke Beitragserhöhungen für die Vollversicherten nach sich ziehen,
ergänzt Reiner Will. Aber auch auf Seiten der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zeichnen sich schon jetzt Beitragserhöhungen ab.
Inwieweit und für wie lange diese durch entsprechende Erhöhungen des Steuerzuschusses aufgefangen werden können, bleibt vorerst abzuwarten.
Gleiches gilt für mögliche Reformen des Gesundheitssystems nach der Bundestagswahl. Die so genannte Systemfrage wird derzeit, wenn überhaupt, nur am Rande diskutiert. Will merkt an:
Dies liegt wohl unter anderem auch daran, dass sich das deutsche Gesundheitssystem in Zeiten der Pandemie durchaus bewährt und der Versichertenstatus – egal ob gesetzlich oder privat – bei der ärztlichen Behandlung keine Rolle gespielt hat.
Erneut Rekordbeitragswachstum für 2021 prognostiziert
Vor diesem Hintergrund erwartet Assekurata für 2021 in der Vollversicherung keine wesentlichen Veränderungen beim Personenwachstum. Aufgrund der durchgeführten Beitragsanpassungen gehen wir jedoch von einem erneuten Rekordbeitragszuwachs von erstmals über 2 Mrd. Euro aus, zeigt sich Reichl überzeugt. Auch ertragsseitig dürfte 2021 deshalb ein positives Jahr für die Branche werden. So rechne die Asskurata mit einem weiteren Anstieg des versicherungsgeschäftlichen Ergebnisses und damit auch des Rohüberschusses, sofern die Kapitalanlageseite nicht erneut einbricht wie im Vorjahr.
Weiteres Wachstumspotenzial sieht der Krankenversicherungsexperte in den Budgettarifen der betrieblichen Krankenversicherung, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Die Pflegezusatzversicherung dürfte sich dagegen angesichts der empfindlichen Beitragsanpassungen erneut schwer tun, einen nennenswerten Bestandszuwachs zu erzielen.
Wie im vergangenen Jahr stellte die Kölner Rating-Agentur ihren Ausblick für die Versicherungswirtschaft im Zuge von einzelnen Presseveranstaltungen vor. Interessenten können den 40 Folien umfassenden Bericht für die Krankenversicherung nebst einer begleitenden Videopräsentation auf der Internetseite der Assekurata gegen eine Schutzgebühr erstehen.
Bilder: (1) © Andrey Popov – stock.adobe.com (2-3) © ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur GmbH
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