Der Europäische Gerichtshof hat nach einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) entscheiden müssen, ob die Arbeitgeber der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu verpflichtet sind, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistet tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
In der nunmehr zu entscheidenden Angelegenheit ging es daher vorliegend um ein Verfahren, in welchem eine spanische Gewerkschaft gegen die Deutsche Bank in Form einer Verbandsklage Klärung dahingehend begehrte, ob Arbeitgeber verpflichtet sind ein System zur Erfassung, der von ihren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten, mit dem die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit und zum anderen auch die geleistete monatlichen Überstunden überprüft werden können.
Vorliegend gab es zwar ein solches System aufgrund einer Software bei der Deutschen Bank, mit der jedoch lediglich ganztägige Fehlzeiten wie Urlaub oder sonstige freie Tage gemessen werden konnten, jedoch die seitens des Arbeitnehmers geleistete Arbeitszeit sowie die Zahl der geleisteten Überstunden nicht erfasst worden.
Nach Ansicht der spanischen Gewerkschaft ergibt sich eine solche Verpflichtung zur Einrichtung eines Zeiterfassungssystems aus den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatus sowie der Auslegung von Art. 31 Abs. 2 der Charta als auch im Hinblick einer bereits bestehenden Richtlinie.
So heißt es insbesondere in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.
Um jedoch sicherzustellen, dass die in der Charta festgeschriebenen Rechte auch zugunsten der Arbeitnehmer Beachtung finden, wurde insbesondere in der Richtlinie 2003/88 festgehalten, wie ein verbesserter Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährung von täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie einer Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit gewährleistet werden kann. Die Richtlinie war insbesondere auch Grundlage für das Arbeitszeitgesetz in Deutschland.
Deutsches Recht
Danach darf ein Arbeitnehmer in Deutschland 8 Stunden am Tag, und damit 40 Stunden in der Woche arbeiten. Die tägliche Stundenzahl kann auf 10 Stunden angehoben werden und entspricht damit einer 48 Stunden Woche, sofern jedoch innerhalb eines Zeitraums von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen die Arbeitszeit im Durchschnitt 8 Stunden am Tag entspricht (§ 3 ArbZG).
Auch im Hinblick auf die Ruhepausen, hat der deutsche Gesetzgeber in § 4 ArbZG geregelt, dass jeder Arbeitnehmer am Tag eine Ruhepause von mindestens 30 Minuten und bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden am Tag mindestens 45 Minuten Pause einzuhalten hat.
Bezüglich der Ruhezeiten zwischen Arbeitsende und Neubeginn der Arbeitsleistung am Folgetag, hat der deutsche Gesetzgeber unter § 6 ArbZG geregelt, dass hier mindestens 11 Stunden dazwischen liegen müssen.
Ausnahmen sind in Berufsbranche bei Vorliegen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung jedoch möglich.
Arbeitsschutz
Im Lichte dieser Erwägungen musste der europäische Gerichtshof somit prüfen, ob und inwieweit die Einrichtung eines Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, erforderlich ist, um die tatsächliche Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten sicherzustellen.
Da es für den Arbeitnehmer äußerst schwierig ist, die in Art. 31 Abs. 2 der Charta und der Richtlinie 2003/88 aufgestellten Rechte durchzusetzen, kann daher die systematische Erfassung der Arbeitszeit den Arbeitnehmer bei der Durchsetzung seine Rechte unterstützen. Danach bietet ein System, mit dem die von den Arbeitnehmer die geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen wird ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektivieren und verlässliche Daten über die von ihm geleistete tatsächliche Arbeitszeit zu erlangen, um damit seine Rechte durchzusetzen. Eine solche Einrichtung soll daher ein objektives, verlässliches und zugängliches System bieten, in welchem die Sicherheit und der Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers ausreichend Berücksichtigung findet.
Der europäische Gerichtshof hat in seine Entscheidung klar zum Ausdruck gebracht, dass die nationalen Gerichte die Arbeitgeber dahingehend verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dies dient der Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers bei der Arbeit.
Fazit
Der EuGH hat im Hinblick auf seine Entscheidung zwar versucht die Arbeitsschutzrechte und damit die Rechte auf Einhaltung der Höchstarbeitszeit der Arbeitnehmer zu sichern, jedoch in seiner Bewegung nicht mit einbezogen, dass die systematische Erfassung der Arbeitszeiten auf der anderen Seite zur permanenten Kontrolle der Arbeitszeiten führen und sogenannte Vertrauensarbeitszeit damit für den Arbeitnehmer hinfällig wird.
Auch wenn der EuGH versucht hat vorliegend die Arbeitsschutzrechte dahingehend zu stärken, dass dadurch Arbeitgeber wieder an die Höchstarbeitszeit ihrer Arbeitnehmer erinnert werden und insbesondere auch Ruhepausen sowie Ruhezeiten der Arbeitnehmer kontrolliert werden müssen, so steht eine systematische Erfassung, insbesondere elektronische Zeiterfassungssysteme oder Stechuhren im klaren Widerspruch zu der modernen flexiblen Arbeitswelt.
Zwar ist die Einhaltung und Ergänzung von Arbeitszeiten sowie Ruhepausen ein wesentlicher Indikator des Arbeitsschutzes, jedoch kann eine spürbare Kontrolle der Arbeitszeiten auch dem Arbeitsschutzgedanken gegenläufig sein.
Auch nicht geklärt ist, wie eine systematische Arbeitszeiterfassung zu führen ist. Fakt ist jedoch, dass eine systematische Erfassung nicht nur durch elektronische Zeiterfassungssysteme und Stechuhren möglich ist. Es ist daher noch von den nationalen Gerichten zu klären und daher abzuwarten, wie eine systematische Zeiterfassung für die einzelnen Berufsbranchen zu erfolgen ist.
Stephanie Has, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Kanzlei Michaelis
https://www.experten.de/2019/05/16/eugh-urteil-system-zur-arbeitszeiterfassung-verpflichtend/
Themen:
LESEN SIE AUCH
Arbeitszeiterfassung 2022: Das neue Gesetz
Brexit – fast ein Viertel der deutschen Unternehmen fühlt sich unvorbereitet
Deutsche Unternehmen im Visier von Cyber-Kriminellen
Erhöhte Wechselkursrisiken durch Brexit-Referendum
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Trump eskaliert Handelskonflikt mit Jahrhundert-Zöllen
US-Präsident Donald Trump verhängt die höchsten Zölle seit einem Jahrhundert – mit drastischen Folgen für den Welthandel. Experten warnen vor Stagflation, Märkte reagieren nervös. Besonders China und die EU sind betroffen.
Trump-Zölle könnten Deutschland 200 Milliarden Euro kosten
Kommt es unter Donald Trump zu neuen Strafzöllen, drohen der deutschen Wirtschaft Milliardenverluste. Eine aktuelle IW-Studie rechnet mit einem Minus von 200 Milliarden Euro – und auch die Finanzmärkte reagieren bereits spürbar nervös.
BVK begrüßt Trilog zur EU-Kleinanlegerstrategie – Hoffnung auf Entbürokratisierung
Die EU-Kleinanlegerstrategie geht in die entscheidende Phase. Der BVK sieht im gestarteten Trilogverfahren eine Chance, bürokratische Hürden abzubauen und Vermittlerinteressen besser zu wahren. Auch ein möglicher Kurswechsel zugunsten der geplanten EU-Spar- und Investitionsunion steht im Raum.
Mehr Bürokratie statt Klarheit? EU-Pläne sorgen für Verunsicherung bei Versicherern
Die EU-Kleinanlegerstrategie soll private Kleinanleger ermutigen, doch die aktuellen Vorschläge drohen, das Gegenteil zu bewirken. Versicherer sehen sich mit steigenden Kosten und unklaren Anforderungen konfrontiert. Der Versicherer-Verband GDV fordert deshalb pragmatische Lösungen in den Trilog-Verhandlungen.