Das OLG Hamm stellt mit Hinweisbeschluss vom 27. September 2017 (Az.: 20 U 96/17) klar, dass der Berufsunfähigkeitsversicherer im Nachprüfungsverfahren ein ungeschwärztes Gutachten zu übermitteln hat.
In dem zugrunde liegenden Fall bezog eine Versicherungsnehmerin eine Berufsunfähigkeitsrente. In einem Nachprüfungsverfahren stellte der Versicherer fest, dass die Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeitsrente nicht mehr gegeben sind. Die Entscheidung des Versicherers basierte auf einem ärztlichen Gutachten. Dieses Gutachten wurde der Versicherungsnehmerin sodann vor Leistungseinstellung, teilweise geschwärzt, übergeben. Die Versicherungsnehmerin wehrte sich gegen die Leistungseinstellung.
Nachprüfung der Berufsunfähigkeit
Regelmäßig führt die Berufsunfähigkeitsversicherung ein paar Jahre nach Leistungsanerkenntnis ein sogenanntes Nachprüfungsverfahren durch. In diesem Nachprüfungsverfahren werden die behandelnden Ärzte des Versicherungsnehmers nochmals angeschrieben. Der Versicherer prüft den gesundheitlichen Zustand des Versicherten und ob der Versicherte neue berufliche Fähigkeiten erlangt hat, wodurch er einen Beruf ausüben könnte, der seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Der Versicherte könnte dann gegebenenfalls auf die Ausübung dieses Berufes verwiesen werden.
Die Versicherung muss nachvollziehbar in einer förmlichen Mitteilung (Änderungsmitteilung) begründen und beweisen können, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten so deutlich gebessert hat, dass er wieder berufsfähig ist. Der Versicherer muss diese Änderungen nachweisen und auch ein ärztliches Gutachten vorlegen, welches die Berufsfähigkeit des Versicherten bestätigt. Er kann ein Leistungsanerkenntnis nicht einfach im Nachprüfungsverfahren rückgängig machen und die Leistungen plötzlich einstellen. Insofern ist der Versicherte nach einem Anerkenntnis durch die Versicherung geschützt.
OLG Hamm: Berufsunfähigkeitsversicherer muss ungeschwärztes Gutachten übermitteln
Das OLG Hamm macht deutlich, dass der Versicherungsnehmer diejenigen Informationen bekommen muss, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abzuschätzen. Dazu muss der Versicherer dem Versicherungsnehmer die „unverkürzte Äußerung“ des medizinischen Sachverständigen zur Verfügung stellen. „Unverkürzt“ bedeutet dabei „im vollen Wortlaut“. Will der Berufsunfähigkeitsversicherer seine Leistungen also aufgrund eines ärztlichen Gutachtens einstellen, so muss er dem Versicherungsnehmer dieses Gutachten vollständig und damit auch ungeschwärzt übermitteln.
Hier war das Gutachten, das Grundlage der Leistungseinstellung war, teilweise geschwärzt. Die Zwischen- und Endergebnisse der Selbstbeurteilungstestung zu BDI, MWT-G und Rey Memory waren vollständig gestrichen. Es wurde somit keine „unverkürzte Äußerung“ des medizinischen Sachverständigen übersandt. Unerheblich ist dabei, ob es sich hinsichtlich der Zeilenzahl nur um einen „Bruchteil“ des Gutachtens handelt. Schließlich sind die Ergebnisse der Selbstbeurteilungstestung wesentlicher Bestandteil der Begutachtung und deshalb auch dem Versicherungsnehmer zugänglich zu machen.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Im Ergebnis war die Änderungsmitteilung somit formell unwirksam und der Versicherer musste die Rente weiterzahlen. Der Berufsunfähigkeitsversicherer hätte ein ungeschwärztes Gutachten übermitteln müssen, um seine Leistungseinstellung ordnungsgemäß zu begründen und beweisen zu können. Für die Praxis ist damit festzustellen, dass es zwingend erforderlich ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen. Wie man an dieser Entscheidung sieht, ist nicht jede Leistungseinstellung des Versicherers rechtlich haltbar. Gerade wenn der Versicherer auf Basis eines Gutachtens die Leistungen einstellen möchte, so muss auch diese „Basis“ rechtlich nach- und überprüfbar sein, welche wiederum im Einzelfall genauestens juristisch überprüft werden sollte, damit keine Ansprüche des Versicherten vereitelt werden.
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