BU: Kenntnis des Versicherungsnehmers als Voraussetzung für eine Obliegenheitsverletzung

Bein-Gips-Kruecken-308085929-AS-ReimarBein-Gips-Kruecken-308085929-AS-ReimarReimar – stock.adobe.com

Der Bundesgerichtshof hatte sich im Rahmen einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) mit der Rechtsfrage zu befassen gehabt, ob eine positive Kenntnis eines Versicherungsnehmers zum objektiven Tatbestand der Anzeigeobliegenheit gehöre, welcher der Versicherer möglicherweise zu beweisen habe (BGH v. 25.09.2019 – IV ZR 247/18).

Bjoern-Thorben-M.-Joehnke-2019-Joehnke-und-Reichow[1]Bjoern-Thorben-M.-Joehnke-2019-Joehnke-und-Reichow[1]
Björn Thorben M. Jöhnke, Rechtsanwalt, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Ein Versicherungsnehmer verlangte von seinem Versicherer eine Vertragsanpassung gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG hinsichtlich seiner BUZ. Sein Ziel war es, dass nachträglich in seine BUZ aufgenommene Ausschlussklausel wieder aus dem Vertrag herausgenommen wird und sämtliche durch die Vertragsanpassung eingetretenen Änderungen rückgängig gemacht werden.

Im April 2009 beantragte der Versicherungsnehmer eine Lebensversicherung (LV) mit einer BUZ und verneinte dabei die Gesundheitsfrage nach vorausgegangenen Unfällen. Jedoch war in der Frage vermerkt, dass einfache, folgenlos verheilte Knochenbrüche ohne Gelenkbeteiligung unerheblich seien. Der Kläger hatte jedoch im Jahre 2008 einen Wadenbeinbruch mit Gelenkbeteiligung erlitten. Von diesem erfuhr die Beklagte im Rahmen der Leistungsprüfung wegen einer anderen Erkrankung des Klägers, die in den Jahren 2013 bis 2015 zu Leistungen aus der BUZ führte.

Im Dezember 2014 schloss die Beklagte wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Klägers rückwirkend auf den Vertragsbeginn eine Vereinbarung ein, die sämtliche BU-Ansprüche ausschloss, deren Ursache die Unfallverletzung am Außenknöchel des Klägers darstellt.

Sowohl in erster, als auch in zweiter Instanz hatte der Kläger erfolgt. Die vom Versicherer eingelegte Revision zum BGH blieb jedoch erfolglos.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit durch den Versicherungsnehmer nach § 19 Abs. 1 VVG dessen positive Kenntnis von dem nicht angezeigten gefahrerheblichen Umstand voraussetze. Diese positive Kenntnis des Versicherungsnehmers gehöre nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zum objektiven Tatbestand der Anzeigeobliegenheit, den der Versicherer zu beweisen habe.

Ein Versicherungsnehmer verletze seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit auch nicht dadurch, dass er einen Umstand nicht angebe, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Eine fahrlässige Unkenntnis des Versicherungsnehmers vermöge die fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstandes nicht zu ersetzen.

Gerade die Vernehmung des Hausarztes und die Anhörung des Klägers in den Vorinstanzen habe ergeben, dass dem Kläger bei Antragstellung die gefahrerhebliche Gelenkbeteiligung an seinem Wadenbeinbruch nicht bekannt gewesen sei.

Selbst wenn die Unkenntnis des Klägers von der Gelenkbeteiligung ihrerseits auf Fahrlässigkeit beruht haben sollte, liege schon objektiv keine Obliegenheitsverletzung vor, weil eine solche positive Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Umstand erfordere.

Fazit zu der Entscheidung des BGH

Die Entscheidung des BGH ist nachvollziehbar und stärkt die Rechte der Verbraucher, weil sie nämlich die Unterschiede zwischen fahrlässiger Unkenntnis des Versicherungsnehmers von anzeigepflichtigen Umständen und einer objektiven Obliegenheitsverletzung aufzeigt.

Einem Versicherten kann nicht pauschal unterstellt werden, er hätte von allen gefahrerheblichen Umständen positive Kenntnis gehabt. Dieses gilt es so dann spätestens in einem gerichtlichen Verfahren aufzuklären. Wobei auch die behandelnden Ärzte durchaus als Zeugen geladen werden, um eine Aussage dazu zu machen, ob etwaige Umstände / Diagnosen dem Versicherten damalig mitgeteilt wurden.

Demnach ist festzustellen, dass es im Bereich der Berufsunfähigkeit sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen und frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, da ansonsten die vertraglich zugesicherten Ansprüche des Versicherten durch – möglicherweise – ungerechtfertigte Leistungsablehnungen durch Versicherungen vereitelt werden könnten.

Autor: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

LESEN SIE AUCH

Trauriger-ITler-205207646-AS-BojanTrauriger-ITler-205207646-AS-BojanBojan – stock.adobe.comTrauriger-ITler-205207646-AS-BojanBojan – stock.adobe.com

Zum späteren Wegfall einer zunächst eingetreten Berufsunfähigkeit

Der Bundesgerichtshof hatte sich jüngst mit der rechtlichen Frage zu beschäftigen gehabt, wann eine Berufsunfähigkeit denn wegfallen würde, wenn der Versicherer jedoch noch nicht einmal die Ansprüche des Versicherten aus dem Versicherungsvertrag anerkannt hat (Urteil vom 13. März 2019 – IV ZR 124/18).
Detail Fliesenleger bei der ArbeiDetail Fliesenleger bei der ArbeiLunghammer – stock.adobe.comDetail Fliesenleger bei der ArbeiLunghammer – stock.adobe.com

Versicherungsschutz bei fehlerhaftem Handeln des Versicherungsmaklers

Der Bundesgerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob ein Versicherungsmakler pflichtwidrig gehandelt hat, indem er es unterlassen hat, ein bestimmtes Risiko abzudecken. Zu klären war in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Versicherungsnehmer dennoch für dieses Risiko Versicherungsschutz erhalten konnte.
Businessman in time management conceptBusinessman in time management conceptElnur – stock.adobe.comBusinessman in time management conceptElnur – stock.adobe.com
Assekuranz

BU: BGH stellt klar, wann der Versicherungsfall eintritt

Immer wieder muss zu Streitigkeiten mit Berufsunfähigkeitsversicherungen der Bundesgerichtshof Klarheit zum vereinbarten Versicherungsschutz schaffen. So auch in einer ganz aktuellen Entscheidung, die von Wirth–Rechtsanwälte erstritten wurde.
Man asks for help submerged by question marks. 3D RenderingMan asks for help submerged by question marks. 3D Rendering(1) alphaspirit – stock.adobe.com (2) Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbBMan asks for help submerged by question marks. 3D Rendering(1) alphaspirit – stock.adobe.com (2) Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Auskunftsanspruch bei Verstoß gegen Wettbewerbsverbot

Im Jahr 2013 hatte sich der BGH (Urt. v. 26.09.2013 – Az.: VII ZR 227/12) mit der Frage des Inhalts des Auskunftsanspruches des Versicherers gegen den Versicherungsvertreter bei Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot zu befassen.
Anzugtraeger-erschoepft-214567498-AS-NattakornAnzugtraeger-erschoepft-214567498-AS-NattakornNattakorn – stock.adobe.comAnzugtraeger-erschoepft-214567498-AS-NattakornNattakorn – stock.adobe.com
Urteile

BU: Jöhnke & Reichow erreicht Vergleichssumme von AachenMünchener Lebensversicherung AG

Die Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow erwirkt in einem außergerichtlichen Leistungsverfahren „Berufsunfähigkeit“ für den Mandanten die Zahlung einer beträchtlichen Vergleichssumme von der AachenMünchener Lebensversicherung AG. A

BGH: Stornobekämpfung durch Agenturnachfolger

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 28.06.2012 – Az.: VII ZR 130/11) hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wann eine Stornobekämpfung durch Agenturnachfolger eines ausgeschiedenen Versicherungsvertreters als Nachbearbeitungsmaßnahmen des Versicherers ausreichend sein können.