Das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen steht unter massivem Druck. Für das Jahr 2023 musste ein Fehlbetrag von 47,4 Millionen Euro bilanziert werden – das zweite negative Ergebnis in über 50 Jahren. Wie aus dem offiziellen Jahresabschluss (Hessisches Ärzteblatt, 11/2024) hervorgeht, war die Hauptursache eine Serie von Abschreibungen auf Immobilienfinanzierungen. Doch das eigentliche Ausmaß wurde erst durch Recherchen des Handelsblatts sichtbar.
Verbrannte Hoffnungen: Immobilien als Risiko
Laut Handelsblatt beruhen die Verluste vor allem auf verbrieften Mezzanine-Finanzierungen, strukturiert über die Luxemburger Gesellschaft Collect S.A., hinter der der Dortmunder Vermögensverwalter Collineo steht. Das hessische Versorgungswerk zeichnete deren Anleihe in großem Umfang. Die Struktur versprach hohe Zinsen, war aber kaum durch Sicherheiten gedeckt. Ergebnis: 198,8 Millionen Euro Abschreibungen – ein erheblicher Teil der Gesamtverluste.
Zu den betroffenen Projekten zählen prominente Vorhaben wie das alte Polizeipräsidium Frankfurt, The Oval in Düsseldorf oder Elements in Berlin – teils von inzwischen insolventen Entwicklern wie der Gerch Group verantwortet.
Trotz dieser Dimension nennt der offizielle Geschäftsbericht weder Collineo noch Collect beim Namen. Auf journalistische Nachfragen verwies das Versorgungswerk auf Geschäftsgeheimnisse – eine Aussage, die bei vielen Mitgliedern auf Unverständnis stößt.
Strukturelle Lücken: Keine Kontrolle, wenig Transparenz
Die Dachorganisation ABV betonte zwar, dass klare Leitplanken für Kapitalanlagen existieren, verwies aber auch darauf, dass sie keine Aufsichtsbefugnis über konkrete Investments hat. Zwar bieten Stresstests, Fortbildungen und Empfehlungen Orientierung – doch die letztliche Verantwortung liegt allein bei den Versorgungswerken selbst. Der Fall Hessen zeigt, wie riskante Strategien ohne externe Kontrolle zu systemischen Schwächen führen können.
Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung
Versicherte Mitglieder von berufsständischen Versorgungswerken unterliegen im Ruhestand einer abweichenden beitragsrechtlichen Behandlung gegenüber Beziehern gesetzlicher Renten. So ist bei freiwilliger Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung – wie sie typischerweise bei Versorgungsempfängern vorliegt – der volle Beitragssatz zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von derzeit rund 20% allein vom Mitglied zu tragen.
Die Beitragspflicht erstreckt sich dabei nicht nur auf die Rentenleistung aus dem Versorgungswerk, sondern umfasst auch weitere Einkünfte, wie z.B. Mieteinnahmen, Kapitalerträge oder betriebliche Altersvorsorge. Aufgrund durchschnittlicher Monatsrenten zwischen 3.000 und 4.000 Euro ergibt sich für viele Rentenbeziehende eine relevante Beitragsbelastung. Bei zusätzlichem Einkommen kann der maximale Beitragsbemessungsbetrag von derzeit etwa 5.500 Euro erreicht werden.
Anpassungen der Versorgungsrenten erfolgen satzungsgemäß. In vielen Versorgungswerken lag die jährliche Anpassungsrate in den vergangenen Jahren bei null bis einem Prozent und damit regelmäßig unterhalb der allgemeinen Preisentwicklung.
Möglichkeit zur Pflichtversicherung in der KVdR
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) erfolgen. Dazu muss während der zweiten Hälfte des Erwerbslebens zu mindestens 90 % eine gesetzliche Krankenversicherung bestanden haben. Darüber hinaus ist eine Vorversicherungszeit von fünf Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung erforderlich. Diese kann – sofern nicht bereits erfüllt – auch durch freiwillige Beitragszahlungen nachträglich erreicht werden. Derzeit beträgt der Mindestbeitrag etwa 103 Euro monatlich. Ein Wechsel in die KVdR bewirkt eine Begrenzung der Beitragspflicht auf die gesetzlichen Renten- und Versorgungsbezüge. Andere Einkünfte bleiben beitragsfrei.
System unter Reformdruck
Der Fall Hessen reiht sich ein in eine wachsende Liste von Versorgungswerken mit Finanzproblemen – auch das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin geriet 2023 erneut in die Schlagzeilen. Laut dem Finanzportal DPN Online und dem Berufsverband bffk musste das VZB mehr als 90 Millionen Euro auf Immobilienbeteiligungen abschreiben.
Die Kombination aus riskanten Investments, sozialpolitischen Nachteilen und mangelnder Transparenz zeigt: Die berufsständische Altersversorgung braucht mehr Kontrolle, mehr Aufklärung – und eine strukturelle Reform.
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