Jetzt bitte alle die Nerven behalten

Der jüngste Kurseinbruch ist mehr als eine Momentaufnahme nervöser Märkte – er ist das Resultat politischer Unberechenbarkeit und wirtschaftlicher Fehlanreize. Experten-Redakteur Dirk Stein kommentiert die Eskalation auf dem globalen Handelsparkett und die Risiken nationaler Alleingänge.

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Jetzt gilt: Nerven behalten.Foto: Adobestock

Ein massiver Kursverfall zu Wochenbeginn hat die Finanzmärkte weltweit erschüttert. Der DAX verlor am Montagmorgen binnen Minuten rund zehn Prozent, stabilisierte sich jedoch gegen Mittag auf einem Verlustniveau von etwa fünf bis sechs Prozent. Dabei durchbrach der Leitindex die 200-Tage-Linie – ein technisches Signal, das unter Analysten als potenzieller Wendepunkt im Markttrend gilt. In der Summe ergibt sich für den DAX ein Wochenverlust von über acht Prozent – der stärkste Einbruch seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Einzelne Indizes in Asien gerieten noch stärker unter Druck: Der Hang-Seng in Hongkong verlor 13 Prozent, Taipeh verzeichnete den schwersten Einbruch seiner Geschichte. Diese Reaktionen sind Ausdruck einer vernetzten Risikowahrnehmung – keine lokale Krise, sondern ein globaler Schockmoment. Die zugrunde liegende Dynamik jedoch ist wirtschaftspolitisch erklärbar.

Der Auslöser: Eskalation statt Kooperation

Ausgangspunkt der Verwerfungen ist die Entscheidung der US-Regierung, unter Präsident Donald Trump neue umfassende Einfuhrzölle auf Waren aus nahezu allen Weltregionen zu verhängen. Handelsminister Howard Lutnick kündigte an, diesen Kurs auch gegen Widerstand entschlossen fortzusetzen. Die Zollpolitik folgt dabei weniger einer klassischen Industriepolitik als einem populistisch aufgeladenen Bilanzdenken: kurzfristige Einnahmen durch Zölle werden gefeiert, während deren Kosten auf globaler wie inländischer Ebene ausgeblendet bleiben.

Die Märkte erkennen in diesem Vorgehen nicht nur einen Eingriff in bestehende Handelsflüsse, sondern vor allem ein Symptom geopolitischer Unberechenbarkeit – und reagieren entsprechend.

Europas Reaktion: Strategische Besonnenheit

Die EU hat – wirtschaftspolitisch klug – mit einem Angebot zur Abschaffung gegenseitiger Industriezölle geantwortet. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nennt dies ein „Null-für-Null“-Angebot, das insbesondere den Automobilsektor entlasten soll. Die USA haben bislang nicht reagiert. Gleichzeitig bereitet die EU Kommission eine Liste mit 99 US-Produkten vor, auf die ab Mitte April Gegenzölle erhoben werden könnten. Auch Maßnahmen gegen digitale US-Dienstleistungen sind Teil des Instruments gegen wirtschaftlichen Zwang.

Wirtschaftsminister Robert Habeck mahnt zur Deeskalation – und trifft damit den ökonomischen Kern: Ein Zollkrieg entzieht Investitionsentscheidungen die Grundlage. Habecks Vorschlag, gezielt Exportgüter zu verteuern, auf die die USA angewiesen sind – etwa Pharmaprodukte –, deutet auf eine asymmetrische, aber strategisch fokussierte Reaktion hin. Entscheidend ist: Europa darf sich nicht spalten lassen. Gemeinsames Handeln erhöht die Verhandlungsmacht – nationalstaatlicher Eigensinn hingegen schwächt die Position.

Realwirtschaftliche Folgewirkungen

Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind bereits sichtbar. Audi hat seine Lieferungen in die USA gestoppt – ein Schritt, der signalisiert, wie schnell sich Unternehmen an veränderte Rahmenbedingungen anpassen müssen. Zugleich bricht der Ölpreis ein: Ein Minus von 15 Prozent in nur fünf Handelstagen ist kein Indiz für Angebotsüberhänge, sondern für Nachfragesorgen – ein Frühindikator für globalen Konjunkturpessimismus.

In den USA wächst zudem die Nervosität über private Altersvorsorgeportfolios. Anders als in Deutschland hängen viele Renten direkt von der Aktienentwicklung ab. Entsprechend groß ist die politische Sprengkraft eines Börseneinbruchs – und das Erklärungsbedürfnis der Regierung.

Was jetzt zählt

Die aktuelle Marktlage ist ernst, aber nicht ausweglos. Es handelt sich um eine Vertrauenskrise, nicht um eine fundamentale Systemstörung. Die ökonomische Rationalität verlangt nun zweierlei: erstens eine politische Kommunikation, die auf Kooperation und Berechenbarkeit setzt. Zweitens wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Handlungsfähigkeit der Akteure sichern, ohne neue Brüche zu provozieren.

Jetzt gilt: Nerven behalten. Denn wer die Märkte nur als Thermometer der Angst liest, verkennt ihren Charakter als Frühwarnsystem für politische Fehlentscheidungen.

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