Eine Sonderauswertung der Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ zeigt: Die Furcht vor einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung ist sprunghaft angestiegen. Auch Inflation, Wirtschaftseinbruch und Vertrauensverlust in die Politik bereiten den Menschen erhebliche Sorgen.
Die bevorstehende Bundestagswahl und die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen verstärken die Ängste der Deutschen erheblich. Das zeigt eine Sondererhebung der Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ des R+V-Infocenters, für die im Januar 2025 1.000 repräsentativ ausgewählte Bundesbürger befragt wurden. Die Ergebnisse zeichnen ein deutlich pessimistisches Bild: Die Sorge vor gesellschaftlicher Spaltung, steigenden Lebenshaltungskosten und einem wirtschaftlichen Einbruch ist auf neue Höchstwerte geklettert.
Spaltungsangst steigt dramatisch
Ein besonders deutlicher Anstieg zeigt sich bei der Angst vor einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung. 77 Prozent der Befragten äußerten diese Befürchtung – im Sommer 2024 waren es noch 48 Prozent. „Einen derartigen Anstieg einer Angst – um 26 Prozentpunkte – beobachten wir in der Langzeitstudie äußerst selten. Das Ergebnis sollte hellhörig machen“, warnt Grischa Brower-Rabinowitsch, Studienleiter des R+V-Infocenters.
Eine Ursache für diese Entwicklung sieht Prof. Dr. Isabelle Borucki von der Philipps-Universität Marburg in der politischen Debatte um Migration: „Die teilweise undifferenzierte Diskussion erinnert an historische Muster. Migration wird als das zentrale Problem dargestellt und Feindbilder aufgebaut.“ Diese Polarisierung sowie der zunehmend scharfe Ton in der Politik verstärkten das Gefühl gesellschaftlicher Spaltung zusätzlich.
Wirtschaftliche Sorgen nehmen zu
Neben gesellschaftlichen Spannungen blicken die Menschen auch mit großer Sorge auf ihre finanzielle Zukunft. 70 Prozent der Befragten fürchten weiter steigende Lebenshaltungskosten – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Sommer 2024, als dieser Wert noch bei 57 Prozent lag. „Die Inflation mag gesunken sein, aber die absoluten Preise bleiben hoch. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich ihr Lebensstandard real verschlechtert hat“, erklärt Borucki.
Auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bereitet vielen Kopfzerbrechen: 68 Prozent der Deutschen haben Angst vor einer Rezession – ein Plus von 20 Prozentpunkten innerhalb eines halben Jahres. Hintergrund ist die schwache wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands, die laut OECD-Prognose das geringste Wachstum in der EU erwarten lässt. „Hier muss die Politik dringend Antworten liefern“, fordert Borucki.
Schwindendes Vertrauen in die Politik
Die Studie zeigt zudem eine zunehmende Skepsis gegenüber der Politik. 61 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die politischen Entscheidungsträger mit ihren Aufgaben überfordert sind – ein Anstieg um 12 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer 2024. „Das Vertrauen der Deutschen in die Politiker und Politikerinnen ist erschreckend gering“, sagt BrowerRabinowitsch. „61 Prozent der Befragten fürchten, dass diese von ihren Aufgaben überfordert sind. Das gilt für die Regierung genauso wie für die Opposition.“ Schon im vergangenen Sommer war das Vertrauen in die Politiker und Politikerinnen mit 49 Prozent gering, dennoch ist der Anstieg um zwölf Prozentpunkte bemerkenswert. „Politik und Bevölkerung entfremden sich immer mehr. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr vertreten, politische Debatten erscheinen oft realitätsfern und von parteipolitischem Kalkül geprägt“, erklärt Professorin Borucki. Sie fordert mehr Ehrlichkeit und Verlässlichkeit der Politik und eine klare, verständliche Kommunikation. „Ein respektloser und taktisch motivierter Umgang untereinander verstärkt das Misstrauen in die Politik insgesamt.“
Hintergrund zur Studie
Die Sondererhebung „Die Ängste der Deutschen“ wurde vom R+V-Infocenter zwischen dem 23. und 25. Januar 2025 durchgeführt. Die jährliche Hauptstudie untersucht seit 1992 die Sorgen der Menschen zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Weitere Informationen zur Studie sind unter www.die-aengste-der-deutschen.de verfügbar.
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