Finanzinstitute stehen dieses Jahr vor einem bedeutenden Wandel in der Bewertung von Kreditrisiken. Die zentrale Herausforderung für Finanzdienstleister liegt dabei klar auf der Hand: Die Qualität der Daten wird im Kreditrisikomarkt der Zukunft zum Königsmacher avancieren und den Weg zu neuen Marktchancen eröffnen. Es werden also in einem zunehmend regulierten Marktumfeld vor allem die Anbieter erfolgreich sein, die ihre Daten intelligent nutzen und die Balance zwischen Datenschutz und Kundenerlebnis meistern.
Ein Beitrag von Jochen Werne, CEO von Experian DACH
Bereits seit 2021 sind Finanzdienstleister gefordert, die Aufsichtsprioritäten der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) umzusetzen. Zu diesen Prioritäten gehören die umfassende Verbesserung der Praktiken im Kreditrisikomanagement und die Integration neuer Risikofaktoren, insbesondere im Bereich Klima und Umwelt in ihre Risikomanagementstrategien.
Parallel dazu steigen die Anforderungen an das Datenmanagement im Kontext der Kreditwürdigkeitsprüfung. Künstliche Intelligenz (KI) wird dabei eine Schlüsselrolle spielen und Banken werden sich auf den neuen EU AI Act einstellen müssen. In den kommenden 12 Monaten erwartet Experian daher folgende Top-Herausforderungen im Kreditrisikomarkt:
1. Neue Standards in der Kreditrisikobewertung
Bis zum Stichtag am 30. Juni 2024 müssen große Banken ihre Systeme und Infrastrukturen gemäß den EBA Loan Origination and Monitoring Guidelines (EBA-GL LOM) für ein effektives Kreditrisikomanagement und -überwachung angepasst haben. Dies beinhaltet auch das Schließen von Datenlücken. Aber auch die kleineren, national überwachten Finanzinstitute müssen sich diesen neuen Richtlinien jetzt stellen, da seit dem 1. Januar 2024 zusätzliche Elemente der 7. MaRisk-Novelle in Kraft getreten ist, die sich unter anderem an den EBA-Richtlinien orientiert haben.
Finanzorganisationen müssen 2024 ihre bestehenden Praktiken überprüfen und ihre Standards in der Kreditrisikobewertung entsprechend anpassen. Kreditbewertungsmodelle müssen künftig Transparenz, Fairness und Nachhaltigkeit, insbesondere unter ESG-Aspekten, sehr viel stärker berücksichtigen. Der Gamechanger dafür ist die Steigerung ihrer Datenqualität.
2. Neue Wachstumsstrategien
Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Dynamik, des Anstiegs ausfallgefährdeter Kredite und sinkender Zinsmargen müssen Finanzinstitute neue Wachstumsstrategien entwickeln. Investitionen in Technologien wie generative KI und ein vorausschauendes Risikomanagement gewinnen dabei an Bedeutung.
Fortschrittliche Datenanalytik unterstützt Organisationen in verschiedenen Phasen ihres Kundenlebenszyklus. Bereits in der Antragsphase ermöglicht eine hohe Datenqualität eine effizientere Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Im Portfolio-Management hilft fortgeschrittene Datenanalyse, Risiken proaktiv zu steuern und das Kreditportfolio dynamisch zu verwalten. Bis hin zu einer datenbasierten frühzeitigen Risikoerkennung sowie einem optimierten Mahnungs- und Inkassoprozess tragen fortgeschrittene Analytik und hohe Datenqualität dazu bei, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Risiken zu stärken.
3. Resilienter durch Digitalisierung
In den nächsten 12 Monaten wird die Stärkung der Geschäftsresilienz durch Automatisierung und Digitalisierung entscheidend sein, um auf neue Risiken wie KI, Cyberbedrohungen und geopolitische Spannungen zu reagieren. Diese Herausforderungen betreffen nicht nur die Zielkundenlandschaft, sondern sind auch im Kontext neuer ESG-Anforderungen von großer Bedeutung.
Aufgrund ihrer Komplexität und ihres innovativen Charakters können herkömmliche, auf historischen Daten basierende Ansätze diese Risiken nicht bewältigen: Klassische Ansätze der Datenanalyse und Modell-Erhaltung haben zunehmend mit langsamen aufsichtlichen Prozessen auf der einen Seite sowie einem dynamischeren makroökonomischen Umfeld und wachsenden Cyber-Risiken auf der anderen Seite zu tun. Um diese Wettbewerbssituation zu bewältigen, sind zwingend neue Strategien in der Nutzung aller relevanten Daten erforderlich, die fortschrittliche Analytik und die Verbesserung der Datenqualität in den Mittelpunkt stellen.
4. Banken zwischen Risiko und Chance
Seit Ende 2023 will die EU-Kommission mit neuen Regelungen wie PSD3 (dritte Zahlungsdienstrichtlinie), PSR (Verordnungen über Zahlungsdienste) und FIDA (Zugang und Nutzung von Finanzdaten) die „Consent Driven Economy“ weiter vorantreiben und Verbrauchern mehr Möglichkeiten zur Nutzung der über sie vorhandenen Daten zu geben. Als einer der Player mit dem größten Datenschatz stellt dies Banken vor ein hohes Risiko gegenüber neuen Wettbewerbern.
Gleichzeitig bietet sich ihnen dadurch aber auch eine Chance zum vertrauensvollen Partner von Konsumenten zu werden. Diese Regelungen, die auf die Förderung von Open-Banking-Diensten sowie auf eine stärkere Kontrolle des Datenzugriffs und auf Maßnahmen gegen Online-Betrug fokussieren, stellen für Finanzinstitute einen Ansatzpunkt dar, um über die weitere Verwendung von Transaktionsdaten nachzudenken.
Über die Betrugsbekämpfung hinaus eröffnet die fortschrittliche Analytik von Transaktionsdaten, selbst unter Berücksichtigung aller Compliance-Anforderungen, etwa zusätzliche Interaktionsmöglichkeiten mit Endkunden, um das Kundenerlebnis zu verbessern, oder auch die Chance auf die Monetarisierung von Daten
5. Wachstumstreiber EU AI Act
Der EU AI Act wird den Einsatz von KI in der Finanzbranche erheblich beeinflussen und die Technologieausrichtung des Finanzsektors weiter verstärken. KI und maschinelles Lernen (ML) werden zukünftig Entscheidungsprozesse weiter automatisieren und strategische Investitionen werden in diesem Bereich damit künftig noch entscheidender für das Wachstum.
Laut einer von Experian in Auftrag gegebenen Studie von Forrester Consulting sehen dies aktuell bereits 60 Prozent der deutschen Unternehmen ähnlich und haben ein umfassendes KI-basiertes Risikomanagement-Programm im Einsatz. Durch den Einsatz dieser Technologien lassen sich Kredit- und Betrugsrisiken auch in unsicheren Wirtschaftszeiten präziser und effizienter bewerten.
Unternehmen, die diese Entwicklungen umsetzen, positionieren sich als Vorreiter in einem sich rasch entwickelnden, technologiegetriebenen Finanzsektor: So geben auch 78 Prozent der in der Studie befragten Unternehmen in Deutschland an, den Einsatz weiterer Anwendungen von KI und ML zu priorisieren.
6. Weiterführung der Cloud-Migration
Die Cloud-Integration bleibt eine wesentliche, aber unvollendete Transformationsherausforderung in der Finanzwelt. Die fortlaufende Implementierung von Continuous Development und Continuous Improvement insbesondere in den Bereichen Business, Analytics und IT wird zunehmend wichtiger.
Dazu gehört die Identifizierung von Kerngeschäftsprozessen, die signifikant von der Cloud-Migration profitieren, sowie die Definition klarer Prioritäten und Zielsetzungen für den Migrationsprozess. Cloud-basierte Datenanalytik spielt dabei eine zentrale Rolle, um wertvolle Erkenntnisse aus Kundenverhalten, Markttrends und betrieblichen Daten zu gewinnen, die zur Verbesserung der Geschäftsprozesse und fundierteren Entscheidungen führen.
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