Sofern es kurzfristig keine extrem positiven VPI-Daten und erfreuliche Erhebung zur Kreditvergabe der Banken gibt, ist eine Anhebung um 25 Basispunkte mit dem Hinweis auf weitere Zinserhöhungen das wahrscheinlichste Resultat der kommenden EZB-Sitzung am 4. Mai 2023.
Ein Kommentar von Tomasz Wieladek, Chief European Economist bei T. Rowe Price
Die EZB wird im Vergleich zu anderen Zentralbanken weiterhin eine restriktive Haltung einnehmen. Der Dienstleistungssektor im Euroraum setzt sein ohnehin schon robustes Wachstum fort. Zwar waren die PMI-Daten für das verarbeitende Gewerbe schwächer als von vielen erwartet, aber es gibt auch noch andere Erhebungen, die man sich ansehen sollte.
So zeigen beispielsweise Umfragen eine noch nie dagewesene Entspannung in den Lieferketten. Wir wissen, dass der Auftragsbestand des verarbeitenden Gewerbes sehr hoch ist, so dass eine Lockerung der Lieferketten ein problemloses Weiterlaufen der Industrieproduktion bedeuten würde, selbst wenn die Nachfrage nach neuen Aufträgen schrumpfen sollte. Die Realwirtschaft wächst also robust und schneller als bisher erwartet.
Andauernde restriktive Haltung während des Sommers
Diese Entwicklungen haben wichtige Auswirkungen auf die Inflation. Einerseits wird es in den nächsten Monaten zu einer sehr schnellen Deflation bei den Industrieerzeugnissen kommen, während der Personalmangel im Dienstleistungssektor auf der anderen Seite die Inflation hochhält.
In Anbetracht dieser Entwicklung der Inflation und der realen Wirtschaftstätigkeit dürfte der EZB-Rat den ganzen Sommer über eine restriktive Haltung einnehmen. Der Einlagensatz könnte dabei 3,75 Prozent oder mehr erreichen.
Zweitrundeneffekte fallen deutlicher aus
Das altbekannte Nord-Süd-Gefälle im Europäischen Wirtschaftsraum ist wieder da. Die Inflation ist höher, und die Zweitrundeneffekte über die Löhne fallen in den Ländern, welche der Inflation ein größeres Gewicht beimessen, weitaus deutlicher aus. Beispiele hierfür sind Deutschland, Österreich, die Niederlande und die baltischen Länder.
Auf der anderen Seite zeigt sich der Dienstleistungssektor in den Ländern, die in der Geldpolitik mehr Gewicht auf die Produktion legen, wie Italien oder Spanien, deutlich stärker.
Die Daten belegen also weiterhin die jeweiligen Präferenzen der einzelnen Länder, so dass der Konsens über einen geldpolitischen Kurs bis weit in die zweite Jahreshälfte hinein Bestand hat.
Einigung mit den „Falken“
Auch wenn besonders hawkish eingestellten Mitglieder des EZB-Rats eine Anhebung um 50 Basispunkte fordern, besteht meiner Meinung nach eine gute Chance, dass sie ihre Forderungen abschwächen, wenn sich eine quantitative Straffung angedeutet wird. So könnten sie zum Beispiel eine Reihe von Zinserhöhungen um 25 Basispunkte ankündigen oder darauf hinweisen, dass die Reinvestition des Anleihekaufprogramms nach Juni eingestellt wird.
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