Seit im vergangenen September endlich Einigung über den finalen Entwurf der „Markets in Crypto-Assets“ (MiCAR) erzielt wurde, ist die Branche in Aufruhr. Vermutlich wird die Verordnung noch im ersten Halbjahr 2023 in Kraft treten und in zwei Schritten bis Ende 2024 wirksam – doch hält das Gesetz, was es verspricht? Wird die teilweise sehr unterschiedlich gehandhabte Regulation innerhalb der EU nun beendet?
Ein Beitrag von Dr. Wolfgang Richter (Ökonom und Partner) und Holger Schlüter (Rechtsanwalt) von der Kanzlei gunnercooke Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Bereits jetzt steht fest, dass die MiCAR sowohl für natürliche als auch juristische Personen und alle weiteren möglichen Rechtsformen gelten wird, die Kryptowerte emittieren oder Dienstleistungen offerieren. Ein ungewöhnlicher, aber pragmatischer Ansatz: Üblicherweise knüpfen Regelungen für den Kapitalmarkt beim Emittenten an – im Decentralized-Finance-Markt fehlt es daran natürlich –, doch die MiCAR beansprucht auch für Anbieter von entsprechenden Dienstleistungen Gültigkeit.
Darüber hinaus verfolgt die EU das Prinzip der praktisch weltweiten Bedeutung, denn die MiCAR muss bereits dann angewendet werden, wenn das Angebot der Kryptowerte, ihre Emission oder entsprechende Dienstleistungen auf dem Gebiet der Europäischen Union in Anspruch genommen wird.
Wenn man davon ausgeht, dass die meisten Produkte innerhalb der EU erworben werden können, wird dieser Punkt in fast allen Fällen erfüllt sein. Die EU plant somit einen technologieunabhängigen, nicht auf Blockchain-Technologie beschränkten Rechtsrahmen für Investoren und Händler.
MiCAR und die Tokenarten
Grundsätzlich definiert das Gesetzeswerk Kryptowerte als digitale Darstellung von Produkten und Rechten, die mithilfe von Distributed-Ledger- oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden können.
Während das deutsche Kreditwesengesetz (KWG) in § 1 Abs. 11 S. 4 noch festlegte, dass Kryptowerte handelbar sein müssen, ist dies nach der MiCAR nicht mehr der Fall. Wichtig ist ausschließlich, ob die Token übertragbar sind.
Wichtig ist noch eine weitere Definition: Sind die Werte schon von der „Markets in Financial Instruments Directive II“ (MiFID II) als Finanzinstrumente deklariert worden, gilt die MiCAR nicht. Davon betroffen sind vor allem Security Token, aber auch Investment und Asset Token, und damit insgesamt Produkte, die konventionellen Finanzinstrumenten wie Aktien, Schuldtiteln oder Anteilen an Investmentvermögen ähneln.
Allgemeine Grundsätze
Die MiCAR definiert zunächst allgemeine Regeln für alle Kryptowerte und stellt für wertreferenzierte Token und E-Geld-Token Sonderregelungen auf. Demnach dürfen Kryptowerte grundsätzlich nur von juristischen Personen (inklusive OHG und KG) mit Sitz in der Europäischen Union angeboten werden, das Gleiche gilt für Dienstleistungen.
Dieser Grundsatz gilt im Übrigen für alle Kryptowerte. Besonders zu beachten ist hier das Widerrufsrecht, das eine Neuerung darstellt: Menschen, die Kryptowerte direkt vom Emittenten oder Händler erwerben, haben zukünftig (außer bei wertreferenzierten Token und E-Geld-Token) ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Dieses Recht gleicht dem bekannten Widerrufsrecht für Verbraucher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch.
Sonderweg für Currency Token
Während Utility Token keinen direkten Zugang zu Produkten oder Dienstleistungen nur eines einzigen Anbieters gewähren, ist dies bei Currency Token anders. Hier geht es um Werte verschiedener Anbieter, zu den wichtigsten Merkmalen zählt die Geldersatzfunktion.
Currency Token sind im Gegensatz zur restlichen Europäischen Union in Deutschland bereits reguliert, da sie nach § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG als Rechnungseinheiten gelten und damit als Finanzinstrumente. Wie es in dieser Sache in Deutschland weitergeht und ob es eine nationale Anpassung geben wird, ist momentan noch unklar.
In MiFID II gibt es keine gesetzliche Grundlage, Ausnahmen finden keine Anwendung. Es stellt sich die Frage, ob die MiCAR parallel zum KWG anzuwenden wäre, denn das Kryptoverwahrgeschäft inklusive Verwahrung, Verwaltung und Sicherung ist von beiden Regularien erfasst. Die Zeit wird zeigen, wie es hier weitergeht.
Weitere Tokenarten
Token, die einzigartig und nicht austauschbar sind, werden im allgemeinen Sprachgebrauch als Non-Fungible Token (NFT) bezeichnet. Hier gilt die MiCAR ganz klar nicht, doch es gibt Ausnahmen – beispielsweise NFT, die zu sogenannten Collectibles, also Sammlungen, gehören. Es wird erwartet, dass die tatsächliche Rechtsprechung Klarheit über die Anwendung dieser Ausnahme bringen wird.
Das Angebot von wertreferenzierten Token mit Bezug zu mehreren Nominalgeldwährungen und deren Zulassung zum Handel hingegen ist konsequenterweise zulassungspflichtig. Ebenso verhält es sich zu E-Geld-Token: Da sie per Definition ein gesetzliches Zahlungsmittel als Bezugsgrundlage verwenden, sind sie grundsätzlich als E-Geld zu bewerten und zulassungspflichtig. Dies gilt auch, wenn sie dezentral erzeugt wurden und keine Forderung an den ursprünglichen Emittenten stellen.
Erforderlich sind nur der Anspruch der Token-Inhaber auf eine jederzeit mögliche Rückzahlung der E-Geld-Token zum Nennwert sowie die Einhaltung der Sicherungsanforderungen nach der E-Geld-Regulierung. Demzufolge müssen E-Geld-Token die Voraussetzungen sowohl der E-Geld-Richtlinie als auch von MiCAR erfüllen. Es ist keine separate MiCAR-Erlaubnis für die Emission erforderlich, es genügt die Zulassung als Kreditinstitut oder als „E-Geld-Institut“ nach der E-Geld-Richtlinie.
In der MiCAR geht es nicht nur um verschiedene Definitionen und Abgrenzungen, sondern ein großes Ziel ist auch eine verbesserte Markttransparenz. Ähnlich wie bei Wertpapierprospekten sollen Kryptowert-Whitepaper wichtige Kennzahlen für Kunden offenlegen.
Bestehende Vorgaben erweitert die MiCAR um kryptospezifische, da geht es zum Beispiel um Informationen zu den wesentlichen Merkmalen des Kryptowerts, seinen Risiken oder der zugrunde liegenden Technologie. Um dem Sinn und Zweck dieses Verordnungsaspektes zu entsprechen, müssen die enthaltenen Informationen klar und verständlich formuliert sein.
Handelt es sich um wertreferenzierte Token, steigen diese Anforderungen noch, da die bestehende E-Geld-Richtline bisher nur bei E-Geld-Emissionen eine Whitepaper-Pflicht vorsieht. Genehmigungspflichtig sind Whitepaper allerdings nicht: Sie müssen erstellt und der zuständigen Behörde ihres Herkunftslandes mindestens 20 Arbeitstage vor Veröffentlichung zur Kenntnis gebracht werden, mehr ist für Emittenten nicht nötig.
Allerdings wurde die Haftung bei Falschangaben deutlich verändert, denn bei „nicht wertreferenzierten“ Token oder E-Geld-Token trägt nicht mehr nur der Emittent des Kryptowerts die Verantwortung, sondern auch dessen Leitungsorgane. Es wird also eine Außenhaftung begründet.
Für wertreferenzierte Token gilt das zwar nicht, doch müssen Emittenten Interessenskonflikte vermeiden und Meldepflichten gegenüber der zuständigen Behörde bei Veränderungen in ihrem Leitungsorgan erfüllen. Weitere Wohlverhaltenspflichten umfassen weitere Anforderungen zur Unternehmensführung, Eigenmittelanforderungen sowie Vermögenswertreserven zur Unterlegung und Verwahrung des Reservevermögens.
Da E-Geld-Token ohnehin nur von Bank- oder E-Geld-Instituten ausgegeben werden dürfen, ergeben sich hier aus der MiCAR keine direkten Handlungsweisungen.
Pflichten für Emittenten und Dienstleister
Aufgrund der MiCAR sehen Anbieter von Kryptowerten und Dienstleistungen sich hohen neuen Anforderungen gegenübergestellt. Auch sogenannte „significant crypto-asset service provider“ sind davon betroffen. Obwohl die Aufsicht in erster Linie bei den nationalen Aufsichtsbehörden – in Deutschland also der BaFin – liegt, kann die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ebenfalls Maßnahmen gegen Kryptodienstleister ergreifen.
Je nach Art des zugrunde liegenden Tokens fordert die MiCAR andere Lizenz- und Erlaubnispflichten. Strenge Anforderungen gelten beispielsweise für wertreferenzierte Token: Hier benötigen Emittenten eine Erlaubnis, um ein öffentliches Angebot zu starten und zum Handel zugelassen zu werden – es sei denn, sie besitzen bereits eine Lizenz nach MiFID II.
Bei E-Geld-Token hingegen ist nur die bereits bestehende Lizenz als E-Geld- oder Kreditinstitut erforderlich – ein konsequenter Schritt. Dasselbe gilt für Wertpapierfirmen, die gemäß der Richtlinie 2014/65/EU die Zulassung besitzen, eine oder mehrere Wertpapierdienstleistungen im Sinne der genannten Richtlinie zu erbringen. Diese brauchen keine weitere Erlaubnis oder Lizenz, müssen allerdings die Aufnahme von Kryptodienstleistungen gegenüber der BaFin bekannt geben.
Eine Ausnahme gilt auch hier für das Kryptoverwahrgeschäft nach KWG. Hierbei handelt es sich um einen nationalen Sonderweg: Die deutsche Erlaubnis zum Führen des Kryptoverwahrgeschäfts nach KWG hat keine Grundlage in MiFID II oder einer sonstigen europäischen Richtlinie. Für diese Finanzdienstleistungsinstitute besteht die oben beschriebene Erleichterung nicht, sie müssen eine reguläre Erlaubnis gemäß Art. 53ff MiCAR beantragen.
So geht es weiter
Während die MiCAR viele überfällige Regelungen enthält, bringt die Neuordnung des Marktes für viele Teilnehmer zahlreiche Regulierungspflichten, Haftungserweiterungen und damit bürokratischen Aufwand. Hier kommt White Label Banking ins Spiel, also spezielle Infrastruktur und Dienstleistungen von Banklizenzpartnern. Zahlreiche erfolgreiche Anbieter konnten sich bereits in den vergangenen Jahren durch die MiFID-Regulationen etablieren.
Sie funktionieren ihren Kunden gegenüber wie eine Bank und bieten in vollem Umfang Finanzdienstleistungen an. Wie die eigentlichen Emittenten und Dienstleister sind sie in der Lage, regulatorische Anforderungen sowie Organisations- und Dokumentationspflichten zu erfüllen.
Darunter fallen auch MiCAR-relevante Leistungen, daher ist zukünftig mit entsprechenden Geschäftsmodellen zu rechnen, die auch kleineren Unternehmen und Startups erlauben, am Kryptomarkt teilzuhaben.
Es wird eine Weile dauern, bis einzuschätzen ist, ob die MiCAR Anleger tatsächlich besser schützt. Krisen und Insolvenzen sollen durch die Regelung vermieden und Finanzstabilität sowie Innovationsförderung gewährleistet werden – ein großes Ziel.
Dabei ist abzusehen, dass weitere EU-Regelungen des Kryptomarkts in der Europäischen Union beeinflussen werden: Noch im Jahr 2023 wird das DLT Pilot Regime mit Bedingungen für den Lizenzerhalt zum Betrieb eines Distributed-Ledger-Systems in Kraft treten.
Im letzten Abschnitt des Gesetzgebungsprozesses ist darüber hinaus die EU-Geldtransferverordnung, die neue Anforderungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung im Kryptosektor regelt.
Vor allem ein weiterer Gedanke macht die zukünftige Entwicklung interessant: Der weltweite Anwendungsbereich und die Tatsache, dass sich die MiCAR an den Grundprinzipien des Financial Stability Board (FSB) orientiert, könnten dazu führen, dass andere Staaten in ihren Standards der MiCAR folgen werden.
Über die Autoren
Mit seiner umfassenden Expertise in Fragen der digitalen Transformation und in der Finanzbranche berät Dr. Wolfgang Richter neben FinTech-Unternehmen, Blockchain- und Tokenisierungsprojekten auch Banken- und Finanzinstitute, Investment-Management-Gesellschaften sowie Großunternehmen mit spezifischen Technologieanforderungen.
Holger Schlüter, LL.M. Eur., aus dem Bereich IP/IT, Datenschutz und Informationsrecht berät seit vielen Jahren (multi-)nationale Unternehmen in Fragen des Datenschutzrechts und der IT-Sicherheit, insbesondere mit Fokus auf Europarecht und der Nutzung neuer Technologien wie blockchainbasierte Anwendungen.
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