Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Kündigungshilfen

Der BGH entscheidet über die Zulässigkeit, vertraglich gebundenen Kunden durch vorformulierte Kündigungsschreiben bei der ordentlichen Kündigung zu helfen.

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Ein Beitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB

Bei den streitenden Parteien handelt es sich um Wettbewerber auf dem Gebiet der Wärme- und Wasserverbrauchserfassung und deren Abrechnung. Zunächst bestand ein Handelsvertreterverhältnis zwischen dem später klagenden Unternehmen und einem Handelsvertreter. Nachdem dieser sich selbständig gemacht hatte, stellte das Unternehmen fest, dass in einem bestimmten Geschäftsbezirk mehr als 20 Kunden die Verträge gekündigt hatten, wobei die Kündigungsschreiben in Wortlaut und Schriftbild nahezu übereinstimmten.

Daraufhin warf das Unternehmen seinem ehemaligen Handelsvertreter vor, er habe die Kunden systematisch dazu veranlasst, die von ihm vorgefertigten Kündigungsschreiben zu unterschreiben, um dann selbst mit ihnen Verträge zu schließen. Bereits eine derartige Kündigungshilfe an sich sei schon wettbewerbswidrig. Das Unternehmen verklagte den Handelsvertreter sodann auf Unterlassung. Die Klage scheiterte jedoch in allen drei Instanzen.

Kündigungshilfe grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig

Nach Auffassung des BGH (Urteil vom 07.04.2005 Az. I ZR 140/02) war in der Vorgehensweise des Handelsvertreters grundsätzlich kein wettbewerbswidriges Verhalten zu sehen. Es sei mithin grundsätzlich zulässig, einem noch vertraglich gebundenen Kunden durch das Vorlegen eines vorformulierten Kündigungsschreibens, das nach Einfügen des Kündigungstermins nur noch zu unterschreiben ist, bei einer ordentlichen Kündigung zu helfen.

Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher würde allein durch eine solche Dienstleistung nicht unsachlich zum Abschluss eines Vertrages mit einem Mitbewerber veranlasst werden, sodass in diesem Verhalten weder eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf Verbraucher noch eine unlautere gezielte Behinderung eines Mitbewerbers zu sehen sei.

Kein Anspruch auf Erhaltung des Kundenstammes

Der BGH führte weiter aus, dass es vielmehr gerade zum Wesen des Wettbewerbs gehöre, dass Kunden abgeworben würden. Insbesondere habe im Wettbewerb niemand Anspruch auf Erhaltung seines Kundenstammes. Daher sei auch die Bestimmung von Kunden zur ordnungsgemäßen Vertragsauflösung unter Beachtung der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfristen grundsätzlich zulässig.

Hinzutretende besondere Unlauterkeitsumstände

Unzulässig wäre das Verhalten nur dann, wenn weitere besondere Umstände hinzutreten, die als wettbewerbswidrig einzustufen wären. Hierfür müsste der „Kündigungshelfer“ den Verbraucher aber irregeführt, überrumpelt oder sonst unangemessen unsachlich in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt haben. Etwaige hinzutretende besondere Unlauterkeitsumstände wurde in dem hier zu beurteilenden Fall jedoch nicht vorgetragen.

Fazit

Aus Sicht wechselwilliger Handelsvertreter ist die Entscheidung des BGH grundsätzlich zu begrüßen. Gerade in der Versicherungsbranche ist es durchaus üblich, dass Versicherungsvertreter nach dem Wechsel zu einem anderen Versicherer versuchen die Versicherungsverträge ihrer ehemaligen Kunden zu ihrem neuen Versicherer umzudecken. Hierzu stellen sie den Versicherungsnehmern auch oftmals vorformulierte Kündigungshilfen zur Verfügung.

Wie der BGH in seiner vorliegenden Entscheidung betont, können solche Kündigungshilfen wettbewerbsrechtlich zulässig sein, wenn keine weiteren besonderen Umstände hinzutreten. Einzelne Gerichte entschieden jedoch bereits, dass solche besonderen Umstände durch ein im Rahmen einer Kündigungshilfe enthaltenen Kontaktverbots gesehen werden können.

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