Seit Jahren kommt die Altersvorsorge in Deutschland wie ein verbrauchter Straßenmusiker daher. Vom einstigen Glanz und internationalen Ruhm für das Drei-Säulen-System ist nicht mehr viel übrig. Das Rentenniveau sinkt durch den demographischen Wandel unaufhörlich, im Zeitraum von 1990 bis 2020 um ganze sieben Prozentpunkte von 55 Prozent auf 48 Prozent.
Ein immer größerer Teil des Bundeshaushaltes muss als direkter Steuerzuschuss in die Rentenkasse fließen. Wie will es die Politik richten und die Rente für alle Bundesbürger wieder zu einem echten Rockstar gestalten?
Frank Nobis, Experte im Bereich Altersvorsorge und Rente bei be+, untersucht die Wahlprogramme
Der Generationenvertrag – also die Beiträge der Jungen sorgen für die Rente der Alten – ist hochgradig gefährdet. Die 2018 von der großen Koalition ins Leben gerufene Rentenkommission bot in ihrem Abschlussbericht letztes Jahr keine Antworten auf die Probleme.
Fehlende Festlegungen, unkonkrete Aussagen und die Vertagung wichtiger Entscheidungen in die Zukunft machen das Scheitern der Kommission deutlich. Der Frust überträgt sich auf die Bevölkerung und führt zu Resignation.
Wer sich allein auf den gesetzlichen Rentenanspruch verlässt, läuft Gefahr, im Alter vor finanziellen Lücken zu stehen. Es scheint, dass diese Problematik vielen Menschen bekannt ist, jedoch verdrängt wird.
Andere Vorsorgemöglichkeiten hingegen wirken so komplex und undurchsichtig, dass man sich erst gar nicht mit ihnen befasst. Daran ändern auch die durchaus attraktiven staatlichen Förderungen von beispielsweise Riester und bAV nichts. Wir stehen vor großen Herausforderungen.
Im Herbst findet eine richtungsweisende Bundestagswahl statt. Wie wollen sich die Parteien diesen Herausforderungen stellen?
Bündnis 90/Die Grünen
In ihrem Programmentwurf „Deutschland. Alles ist drin.“ thematisieren die Grünen erstmals auf Seite 114 in zwei relativ knappen Absätzen die Rente. Die Partei will das Rentenniveau langfristig bei 48 Prozent stabilisieren.
Gelingen soll das unter anderem durch ein Rückkehrrecht in Vollzeit für Frauen nach Schwangerschaften, ein Einwanderungsgesetz und die Verbesserung der Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer*innen. Ein höherer Zuschuss aus dem Bundeshaushalt soll dabei die Beitragszahler*innen entlasten.
Die GRV soll zu einer Bürger*innenversicherung ausgebaut werden, in die alle einzahlen. Zum Schutz vor Altersarmut will die Partei um Annalena Baerbock die Grundrente zu einer Garantierente ausbauen, wobei jedoch unklar bleibt, wie diese aussehen soll.
Am Renteneintrittsalter von 67 halten die Grünen grundsätzlich fest, wollen aber Flexibilität ermöglichen. Bei der privaten Altersvorsorge will die Partei weg von Riester und Rürup, die sie als zu teuer und undurchschaubar ansehen. Stattdessen soll ein langfristiger und öffentlich verwalteter Bürger*innenfonds angelegt werden, der mit einem Opt-out Verfahren vorgesehen ist.
FDP
Eine „enkelfitte Rente“ fordern die Liberalen in ihrem Wahlprogramm ab Seite 87. Das soll vor allem geschehen, indem die Rente in einer Art Baukastensystem gestaltet wird.
So sollen die drei Säulen je nach Lebenssituation flexibel angepasst werden können. Auch beim Renteneintrittsalter ist der FDP Flexibilität wichtig: Wer das 60. Lebensjahr und mit allen Altersvorsorgeansprüchen mindestens das Grundsicherungsniveau erreicht hat, soll nach schwedischem Vorbild selbst entscheiden, wann die Rente beginnt.
Die GRV möchte die FDP durch eine gesetzliche Aktienrente ergänzen, bei der beispielsweise 2 Prozent des Bruttolohns nicht mehr ins Umlagesystem fließen, sondern in langfristigen und kapitalgedeckten Fonds angelegt werden.
Eine von den Rentenkassen ausgezahlte Basisrente, die höher ist als die Grundsicherung, soll armen Rentner*innen den Gang zum Sozialamt ersparen. Weiterhin soll ein Altersvorsorge-Depot eingeführt werden, das eine Art Mix aus Riester, Rürup und dem amerikanischen Modell „401K“ darstellen soll. Dabei sollen auch Anbieterwechsel möglich sein, um durch Konkurrenz eine möglichst hohe Rendite zu erreichen.
DIE LINKE
Schon auf Seite 22 geht die Linke in drei Seiten ausführlich auf die Rente ein. Sie lehnt eine Sicherung der Rente über die Kapitalmärkte kategorisch ab und will stattdessen das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben.
Die Partei rechnet vor: wer die aktuelle Durchschnittsrente von 1.048 Euro bekommt, erhält dann 1.148 Euro. Bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3.462 Euro koste dies Beschäftigte und Arbeitgeber*innen nur je circa 33 Euro mehr.
Als „linkes Kernprojekt“ bezeichnet die Partei die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die GRV. Eine durch Steuern finanzierte Mindestrente von 1.200 Euro soll dafür sorgen, dass auch Erwerbstätige im Niedriglohnsektor im Alter genug zum Leben haben. Die bAV soll nach Vorstellung der Linken hauptsächlich von den Arbeitgeber*innen finanziert und die Entgeltumwandlung abgeschafft werden.
Außerdem fordert sie das Ende der Doppelbesteuerung der Rente und eine Anhebung des steuerfreien Existenzminimums auf 14.400 Euro, um kleine und mittlere Renten steuerfrei zu machen.
Generell orientiert sich die Partei am Beispiel Österreichs. Das Renteneintrittsalter soll wieder auf 65 herabgesetzt werden, nach mindestens 40 Jahren Beitragszahlung soll der Ruhestand sogar schon mit 60 abschlagsfrei möglich sein.
SPD
Die Sozialdemokraten gehen in ihrem „Zukunftsprogramm“ im dritten Kapitel ab Seite 35 auf die Rente ein. Im Mittelpunkt stehen dabei eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und das Festhalten an der Grundrente. Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalter lehnt die Partei ab, um Abschläge für Menschen zu verhindern, die nicht bis dahin arbeiten können.
Besonders langjährig Versicherte sollen auch in Zukunft vor Erreichen der Regelaltersgrenze abschlagsfrei in den Ruhestand gehen können. Die GRV möchte die SPD auch auf Selbstständige, Beamt*innen, freie Berufe und Abgeordnete ausweiten.
Erwerbsminderungsrentner*innen sollen vor Armutsrisiken geschützt werden. Bei der bAV setzt die Partei auf „tarifvertraglich vereinbarte kollektive Altersvorsorgeformen“. Die Riester-Rente sieht die SPD als gescheitert an, ersetzt werden soll sie durch ein weniger bürokratisches, kostengünstigeres und digitales Angebot nach schwedischem Vorbild.
CDU/CSU
Beim Wahlprogramm der Union mit dem Namen „Das Programm für Stabilität und Erneuerung“ geht es im vierten Kapitel ab Seite 58 um die Rente. Die Vorgaben des Bundesfinanzhofes will die Union schnellstmöglich umsetzen und die Doppelbesteuerung von Renten verhindern.
Der heute für die GRV zuständige Sozialbeirat soll zu einem Alterssicherungsbeirat entwickelt werden, der alle drei Säulen im Blick hat. Konkrete Aussagen zu Beitragssätzen und Rentenniveau lassen sich nicht finden, die Union gibt aber an, Beitragszahler*innen vor Überforderung schützen zu wollen.
Mit Verweis auf die immer weiter steigende Lebenserwartung deutet sie an, eine Erhöhung des Renteneintrittsalter nicht auszuschließen. Für Selbstständige planen CDU/CSU eine Vorsorgepflicht, bei der diese zwischen der GRV und anderen Vorsorgearten wählen können.
Bei der pAV will die Partei ein Standardvorsorgeprodukt, die eine Generationenrente mit einem staatlichen Monatsbeitrag von Geburt an zur Anlage in einem Pensionsfonds beinhaltet. Diese soll ohne Abschlusskosten und mit Opt-Out Verfahren ausgestattet sein. Sollte dieses nicht ausreichend angenommen werden, schließt die Partei ein höheres Maß an Verbindlichkeit nicht aus.
Zwischenfazit zu den Wahlprogrammen
Alle Parteien haben ein gut gemeintes Ziel: eine sichere und stabile Rente und die Verhinderung von Altersarmut. Große Unterschiede offenbaren sich aber auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels.
Die drei Parteien links der Mitte wollen vor allem die GRV stärken. Dazu soll das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent stabilisiert werden, indem auch Selbstständige, Freischaffende und Beamt*innen einzahlen. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters lehnen SPD, Grüne und Linke ab, die Union hält es für notwendig.
Während die Linke eine kapitalgedeckte pAV ablehnt, können Grüne und SPD sich ein Staatfondsmodell nach schwedischem Vorbild vorstellen.
Bei der FDP spielt Flexibilität eine wichtige Rolle. Sowohl die drei Säulen, als auch das Renteneintrittsalter sollen flexibilisiert werden. Die Liberalen möchte sich bei der pAV am amerikanischen Modell „401K“ orientieren, das höhere Renditen als Riester und co. verspricht.
CDU/CSU setzen bei der pAV auf ein Standardvorsorgemodell, das nur per Opt-out verlassen werden kann.
Fazit zu „Rente like a Rockstar“
Wer sich schlussendlich mit seinen Plänen durchsetzt, ist mehr als offen. Eines aber ist jetzt schon sicher: Aufgrund des massiven demografischen Wandels ist es unmöglich, das umlagefinanzierte System der Gesetzlichen Rente auf dem aktuellen Niveau zu erhalten beziehungsweise sogar noch zu stärken.
Diese Wahrheit spricht natürlich keine Partei deutlich aus. Wer in Zukunft mit Mitte 60 in den Ruhestand gehen möchte, muss in der Erwerbsphase privat vorsorgen. Da in einer anhaltenden Niedrigzinsphase kein Zinseszins-Effekt zu erwarten ist, wird in den nächsten Jahren die kapitalgedeckte private Altersvorsorge in den Vordergrund rücken müssen.
Zudem muss die Politik dafür sorgen, dass Vorsorge mit deutlich geringeren Vertriebskosten einhergeht. Denn jeder Prozentpunkt an Kosten reduziert die Rente deutlich.
Die Aufgabe der Politik wird es sein, digitale Produkte zu fördern, die ohne teure Abschlusskosten und Leistungsgarantien auskommen. Das amerikanische Modell „401K“ erzielt beispielsweise vergleichsweise hohe Renditen und könnte in Zukunft als Vorbild dienen.
Welche Möglichkeiten gibt es jetzt schon?
Für Arbeitnehmer*innen bestehen jetzt schon zahlreiche Möglichkeiten, privat fürs Alter sinnvoll vorzusorgen und damit die Rente zu rocken. Mit einem Fondssparplan in einen ausgewogenen Aktienfonds beziehungsweise ETF kann man jetzt schon mit geringen Gebühren für das Alter vorsorgen.
Hätte man zum Beispiel vor 37 Jahren regelmäßig 100 Euro in den MSCI World Index investiert, so hätte man nach Abzug der Kosten (Annahmen 1,5 Prozent p.a.) mehr als 215.000 Euro zur Verfügung gehabt. Dies ergäbe eine Rente von 840 Euro pro Monat bei einer Entnahmezeit von 24 Jahren, also bis zum 90. Lebensjahr.
Doch neben Unsicherheiten über die richtige Vorsorgeoption fehlt vielen Menschen der Überblick über die eigene Altersvorsorge. Abhilfe schaffen soll die digitale Rentenübersicht, bei der auf einem Portal die eigene Vorsorge einsehbar ist. Dafür sollen Informationen aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge gebündelt werden. Das Problem: Ein solches soll frühestens Ende 2023 an den Start gehen.