Wissenschaftler, Künstler, Philosophen machen sich momentan Gedanken über das „Postpandemische Zeitalter“. Und Unternehmer, Führungskräfte und Strategen überlegen sich, wie sich diese Ära wohl in den Unternehmen zeigt und auswirkt. Ein Betrieb ist ja so etwas wie ein Mikrokosmos des Lebens, ein Biotop des menschlichen Zusammenseins. Alles, was es „da draußen“ gibt, existiert in irgendeiner Form auch innerhalb des Firmengeländes.
Ein Beitrag des Schweizer Kommunikationsexperte Stefan Häseli in seinem Fachbeitrag.
Die meisten von uns haben ihn irgendwie gespürt, diesen Ausnahmezustand der letzten 15 Monate. Und was kommt jetzt? Man kann es ahnen, in dem man einfach etwas genauer hinschaut. Es ist einen Versuch wert, zu reflektieren, was bisher so geschehen ist und was noch so alles auf uns zukommen könnte.
Es gibt untrügliche Zeichen, dass sich etwas verändert hat. Doch die meisten – mitunter einschneidenden – Veränderungen lassen sich nicht einfach wieder rückgängig machen. Denn zwischen dem Zustand vorher und der aktuellen Situation liegen 15 Monate Erfahrungen. Diese nehmen wir mit.
Verändert hat sich der wohl jetzt definitive Einzug der Digitalisierung. Heute klingt das naheliegend, im Januar 2020 hätte das wohl keiner in dieser Intensität und Geschwindigkeit prognostiziert.
Es hat sich gezeigt, dass Digitalisierung eben doch weit mehr ist, als der Umstand, dem Außendienst anstatt Broschüren und Ordner ein iPad zum Kundenbesuch mitzugeben. Da stecken viele, wirklich ausschlaggebende Prozesse dahinter, die diese Veränderung möglich machten.
Digitalisierung, Entfremdung, Verzettelung
Verändert hat sich auch die Kommunikation: Durch die Verzettelung der Arbeitsplätze in all die Homeoffices fand man andere Wege der Kommunikation. Die sind an manchen Stellen digitaler, aber oft auch geringer geworden. Kommunikation war zwischenzeitlich weniger persönlich geworden. Man hat sich vielerorts durch diesen Tatbestand menschlich etwas entfremdet.
Das funktionierte in jenen Betrieben noch ganz gut, in denen sich die Menschen vorher schon kannten. In vielen Firmen jedoch war es mit dem Austausch und dem Miteinander im virtuellen Raum nicht ganz so einfach – und erst recht nicht unter den Rahmenbedingungen danach.
Das macht ein Beispiel deutlich: Eine Kadermitarbeiterin und ausgewiesene Fachkraft hatte ihren Job in einem großen Unternehmen im Herbst 2020 angetreten. Sie hat im Mai 2021 wieder gekündigt. Der Grund: Sie hat in diesen acht Monaten nie einen ihrer Kollegen gesehen, nie sich mit der Chefin physisch über Erwartungen auch mal zwischen den Zeilen unterhalten können.
Jeder Kontakt, jeder Austausch und jedes Gespräch hatten sich im digitalen Raum abgespielt. Kurz nach dem ersten Zusammentreffen mit Kollegen und Vorgesetzten im „echten“ Umfeld zeigte sich, dass es gar keine gemeinsame Basis gab. Das Fazit war am Ende:
Ich bin nie wirklich angekommen.
Nun könnte man als Firmenleitung, Unternehmer oder Big Boss ja beruhigt die Hände in den Schoß legen und feststellen: „Jetzt ist’s ja wieder vorbei!“ Doch weit gefehlt: Wir wissen alle, dass „es“ nicht zwingend vorbei sein muss.
Wir wissen (oder zumindest spüren oder ahnen wir), dass gerade das zeitweise remote Arbeiten, das Homeoffice, die Zoom-Sitzungen zum Alltag als Kombination dazu gehören. Das ist per se eine gute Nachricht, denn solche Arbeitsweisen zahlen auf Flexibilität und Agilität ein, die heute so oder so gefragt sind.
Tun Sie nicht so, als sei die Pandemie noch vollständig da
Die Bedeutung der Führung hat hingegen gerade jetzt ein enorm großes Gewicht. Es gibt die Polarität zwischen „vorher“ und „Pandemie-Homeoffice-Zeit“ nicht mehr. Keiner kann mehr so tun, als sei die Pandemie noch da. Niemand kann die Menschen einfach alle ausschließlich im Homeoffice lassen. Man kann aber auch nicht mehr so tun, als sei alles wieder wie früher.
Und nicht umsonst gibt es Menschen, die eine Antwort auf die Frage brauchen: „Wo ist eigentlich das Firmengelände, wenn alle zu Hause sind?“
Postpandemisch bedeutet nicht schwarz-weiß. Es heißt nicht schwanger oder nicht schwanger. Postpandemisch ist in erster Linie so zu verstehen, dass die Situation auf die individuellen Bedürfnisse von Unternehmen, Aufgaben und Mitarbeitende angepasst werden muss.
Es heißt auch, jetzt ein Feld zu betreten, das man noch nie betreten hat. Nie in der Geschichte gab es eine Zeit, in der die berufstätige Bevölkerung nach 15 Monaten Homeoffice, virtueller Zusammenarbeit und remoter Führung wieder (teilweise, etappenweise oder auch irgendwann vollständig wieder) an den Arbeitsplatz zurückgekehrt ist.
Das Gebot der Stunde lautet daher: hinsehen, entscheiden, handeln. Eigentlich ist das ja ein alter Führungsgrundsatz, doch er ist nun mit neuen Inhalten zu befüllen.
Wer als Macher im Unternehmen nicht einen der Top 3-Fehler begehen will, die häufig schon seit Jahren vor der Pandemie gemacht wurden, der sollte außerdem Erwartungen klären, sich darüber austauschen und sein Team miteinbeziehen.
- Tauschen Sie sich über Erwartungen und Anforderungen in der Art der Zusammenarbeit aus, das gilt sowohl für Sie als Führungskraft als auch als Mitarbeiter.
- Was ist Ihnen wichtig?
- Was ist Ihre Erwartung an Ihr Gegenüber?
- Wie können Sie diese Erwartungen erfüllen?
- Welche Art der Kommunikation leben Sie – in Ihrem Unternehmen, in Ihrem Team, in Ihrer Abteilung und auch unter sich Kollegen?
- Welche Art der Kommunikation erfüllt welche Bedürfnisse?
In der postpandemischen Zeit funktioniert alles nur dann, wenn es gegenseitig und miteinander passiert. Es sind viele Fragen, die man sich derzeit stellen und an deren Antworten man arbeiten sollte.
Aus der Erfahrung der letzten Wochen kann ich ganz persönlich zwei Dinge bestätigen: Erstens – es ist eine intensive Arbeit und zweitens – es lohnt sich! Denn schlussendlich bringt genau das dann das gemeinsame Verständnis in dieser postpandemischen, individuellen Unternehmenskultur. Viel Erfolg!