Prozesse automatisieren, Arbeit effizienter gestalten, Leistungen der Mitarbeitenden präzise vermessen und optimieren, damit immer mehr Gewinne erwirtschaftet werden können – das verspricht die Digitalisierung. Das kann alles funktionieren. Muss es aber nicht. Denn die Leistungssteigerung einer Organisation beruht nicht allein auf digitalisierten Prozessen und präzise erfassten Leistungskennzahlen der Mitarbeiter.
Ein Beitrag von Gundolf Wende, Autor von "Mehr arbeiten, weniger leiden. Eine Anleitung zu gesunder Hochleistung in Unternehmen."
Menschen sind grundsätzlich offen und bereit, technische Möglichkeiten oder Neuerungen anzunehmen, mit deren Hilfe sie effizienter arbeiten können. Ein kleiner Aspekt der Digitalisierung ist es, Dokumente digital unterschreiben zu können. Menschen wissen dies zu schätzen, denn es erleichtert ihre Arbeit. Handlungsspielräume erweitern sich. Aufgaben können auf Distanz – beispielsweise im Homeoffice – erledigt werden. Dokumente brauchen nicht mehr ausgedruckt, unterschrieben und eingescannt zu werden. Dies spart Zeit und andere Ressourcen. Letztlich verschafft uns die digitale Technik Freiraum. Diesen Freiraum können wir nutzen, um uns auf unsere ureigenen Fähigkeiten zu konzentrieren: Koordinierungsaufgaben, Kreativität und im besonderen Maße auf Co-Kreativität.
Was kann Digitalisierung?
Digitalisierung bedeutet zunächst einmal nichts anderes, als analoge Informationen in digitale Formate zu überführen. Und dies ist kein neues Phänomen. Bereits zu Beginn der 1980er-Jahre, als die ersten Büro-Computer eingeführt wurden, fand das Erfassen von Informationen in digitaler Form in „größerem“ Maßstab statt. Seitdem haben sich die Möglichkeiten der Digitalisierung vervielfältigt. So lässt sich dadurch die Zusammenarbeit effektiver gestalten, Wissenstransfer findet schneller und besserer statt.
Geschäftsprozesse können automatisiert und Arbeitsprozesse sowie deren Ergebnisse transparent gemacht werden. Transparenz in diesem Sinne kann beispielsweise bedeuten, dass Arbeitsergebnisse der einzelnen Mitarbeitenden im Produktionsbereich auf großen Monitoren jederzeit einsehbar sind. Die Motivation der Mitarbeitenden soll so erhöht und Fehlerquoten reduziert werden.
Es wird oftmals argumentiert, dass es in der Natur des Menschen liege, sich mit anderen zu vergleichen. In einem gewissen Rahmen ist dies auch durchaus richtig – Echtzeitproduktionszahlen sind nicht per se schlecht. Objektive Produktionszahlen können auch eine solide Basis für ein Mitarbeitergespräch bilden. Der entscheidende Parameter ist jedoch der Umgang damit.
Was Menschen wirklich brauchen, um ihr Potenzial zu entfalten?
Insgesamt ist fraglich, ob die beabsichtigten positiven Effekte der Digitalisierung auf die genannte Weise wirklich erzielt werden können. Denn eines ist klar: Ihre wahren Leistungspotenziale bringen Menschen unter den genannten Bedingungen sicherlich nicht zur Entfaltung. Dazu ist mehr notwendig: Es geht darum, den Segen einer Technik wie der Digitalisierung zu erkennen und zum Nutzen eines größeren Ganzen einzusetzen. Menschen merken sehr schnell, wenn sich dieser Nutzen jedoch auf nur einige wenige im Unternehmen reduziert.
Menschen sind emotionale Wesen. Als solche wollen sie ins Unternehmensgeschehen eingebunden werden. Sie wollen emotional miteinander verbunden werden. Sie wollen leisten. Und dies am besten zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Sie benötigen einen größeren Rahmen für ihr Wirken. Sie wollen Sinn in ihren jeweiligen Tätigkeiten sehen. Sie wollen einen Beitrag zum größeren Ganzen leisten. All dies ist jedoch genau das Gegenteil von dem, was mit der Totalvermessung der Mitarbeitenden erzielt wird.
Es liegt in der Verantwortung der Führungskräfte, den größeren Bezugsrahmen herzustellen. Ihnen obliegt die Aufgabe, jedem Einzelnen der Mitarbeitenden zu vermitteln, was der individuelle Beitrag zum großen Ganzen darstellt.
Die Frage lautet: Wie schaffen es Führungskräfte, dieser Verantwortung gerecht zu werden? Basierend auf meiner jahrelangen Erfahrung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das notwendige Wissen und die notwendigen Kenntnisse weder in Seminaren noch in der täglichen Praxis vermittelt wird. Viele Führungskräfte werden nach wie vor „ins kalte Wasser geworfen“ und dort allein gelassen.
Mitarbeitende als Menschen sehen und wertschätzen
Um den größeren Bezugsrahmen herzustellen, ist es wichtig, sowohl die Bedürfnisse der Organisation insgesamt als auch die jedes Einzelnen innerhalb der Organisation zu kennen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Mitarbeitende nicht auf ihre Leistungserbringung reduziert werden. Menschen wollen in ihrer Gesamtheit wahrgenommen und gewertschätzt werden.
Wie geht das nun konkret – Mitarbeitende nicht auf die Leistungserbringung zu reduzieren? Es gilt, emotional einzubinden und mental zu stärken, ihnen den Freiraum zu geben, ihre Aufgaben ohne Störfaktoren von außen erledigen zu dürfen. Dann leisten sie. Und dann sind qualitativ und quantitiv hervorragende Arbeitsergebnisse die logische Schlussfolgerung. Wenn zusätzlich eine Prozessorientierung auf der Basis gesunder Prozesse durchgängig implementiert ist, dann steigt auch die Rentabilität der Organisation.
Eine Organisation, die es schafft, dass die Digitalisierung Spaß macht und zum Nutzen aller Beteiligten eingesetzt wird, erhöht die individuelle Freiheit und Kreativität ihrer Mitarbeitenden. Eine derartige Organisation bezeichne ich als gesunde Hochleistungsorganisation.
Über den Autor:
Dr. Gundolf R. Wende verschmilzt Biologie und Wirtschaft. Heraus kommt dabei ein einzigartiges menschenzentriertes Konzept, das Mensch und Wirtschaft gerecht wird und Hochleistungen ermöglicht – basierend auf seiner langjährigen Erfahrung in der Wirtschaft. Der Keynote Speaker illustriert mit seiner ressourcenorientierten und systemischen Sicht- und Arbeitsweise eindrucksvoll, dass Erfolg und Zufriedenheit erlernbar sind. Sei Buch "Mehr arbeiten, weniger leiden. Eine Anleitung zu gesunder Hochleistung in Unternehmen." erschien 2021 bei BusinessVillage.