Prof. Dr. Hans Peter Schwintowski hat die Fakten der „Bayerischen Lösung“ unter die Lupe genommen und ein Rechtsgutachten dazu verfasst. Der Rechtsprofessor kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Anfang April 2020 präsentierte Bayerische Lösung nicht wirksam sein kann.
Warum das so ist, erklärte Prof. Schwintowski in einem Onlinevortrag gemeinsam mit der Kanzlei Michaelis am Dienstag dieser Woche.
Erinnern wir uns an die Anfänge
Deutschland geht im März 2020 in den ersten Lockdown. Geschäfte und Gastronomie werden geschlossen. Immense Umsatzverluste drohen insbesondere Hotels und Gaststätten. Doch es gibt die Betriebsschließungsversicherung. Wohl dem, der eine abgeschlossen hatte. So die Meinung vieler Versicherungskunden. Doch greift diese auch in Verbindung mit Covid-19?
Drei Versicherer, der Branchenprimus Allianz, die Versicherungskammer Bayern sowie die Haftpflichtkasse Darmstadt vertraten damals sehr zügig die Auffassung, dass dem nicht so sei.
Insbesondere die Argumente aus den damaligen Veröffentlichungen klingen interessant: „Betriebe wurden aus generalpräventiven Gründen geschlossen und nicht, weil vom Betrieb eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht“ (Allianz) oder „auf eine vorsorgliche flächendeckende Schließung ist die Betriebsschließungsversicherung nicht ausgerichtet“ (Versicherungskammer Bayern).
Insofern müssten Kunden, die eine BSV abgeschlossen haben, leider in den sauren Apfel beißen und einfach hinnehmen, dass die BSV nicht leistet und finanziellen Einbußen nicht versichert sind.
Aber da ist ja noch die gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Dieser sind sich diese Versicherer bewusst und machen deshalb einen gutgemeinten Lösungsvorschlag. Natürlich in vorheriger Abstimmung mit verantwortlichen Stellen der bayerischen Politik, bayerischen Wirtschaftsverbänden, dem GDV sowie dem bayerischen Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA.
„Die Bayerische Lösung“ wird aus der Taufe gehoben
Kunden aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe sollen als Entschädigung 15 Prozent der vereinbarten Tagessätze erhalten, für 30 Tage.
Für den Rechtsprofessor wirft dieses Angebot eine Vielzahl an Fragen auf. Wurden doch durch die Umsetzung der zweiten Versicherungsvermittlerrichtlinie im Februar 2018 eindeutige Fakten geschaffen.
§1 a VVG besagt:
„Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln.“
Grundsätze des §1 VVG werden ignoriert
Ehrlich bedeutet, Kunden sachlich und inhaltlich korrekt und richtig zu informieren.
War das so? Versicherungskunden wurde mitgeteilt, dass auf Basis des Bedingungswerks kein Leistungsanspruch aus der BSV besteht. Wie verhält sich dieses Vorgehen mit der Situation, dass ein Jahr nach der Veröffentlichung der Bayerischen Lösung unterschiedlichste Urteile gefällt werden: für oder auch gegen Versicherer.
Ehrlich und korrekt wäre gewesen, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass möglicherweise ein Anspruch besteht, möglicherweise aber auch nicht.
Was ist unter redlich zu verstehen? Redlich ist, wenn erkennbare Missverständnisse für den Versicherungsnehmer von vorneherein ausgeräumt werden.
Diese gebotene Redlichkeit vermisst Prof. Schwintowski. Die Versicherer haben sich so verhalten, als bestünde der objektive Sachverhalt, dass Verluste über Betriebsschließungsversicherungen nicht abgedeckt wären. Dementsprechend beschreibt die Allianz ihre Position auch in Ihrer Pressemeldung:
„Dennoch möchte die Allianz ihren Kunden, die eine Betriebsschließungsversicherung bei ihr haben, in dieser schwierigen Lage helfen. Deshalb hat sie an den vom Bayerischen Wirtschaftsministerium initiierten Gesprächen mit den Interessenverbänden der Kunden, insbesondere dem Bayerischer Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Bayern e.V., der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und Versicherern teilgenommen. Gemeinsam haben sich alle Beteiligten für Bayern auf eine Unterstützung der Hotel- und Gastronomiebetriebe geeinigt.“
Dadurch entstand bei vielen Versicherungsnehmern der grundsätzliche Eindruck, dass unanfechtbar feststehe, dass infolge des Coronavirus keine Versicherungsleistung aus der BSV zu erwarten ist.
Wie steht es um das „bestmögliche Interesse des Kunden“? Die „Bayerische Lösung“ hat lediglich einen Vergleich angeboten und kann diesen Anspruch somit nicht erfüllen.
Jeder ehrbare Kaufmann wird es nicht verantworten können, einen Vergleich, der einen Verlust von 85 Prozent des möglicherweise zu 100 Prozent bestehenden Leistungsanspruch gegen den Versicherer bedeutet, anzunehmen.
Hinzu kommt, dass sich, zum Beispiel bei der Allianz, diese 85 Prozent lediglich auf 30 Tagessätze bezogen hatten. Bestand eine Betriebsschließungsversicherung für mehr als 30 Tagessätze, gingen für den Versicherungsnehmer mehr als 85 Prozent verloren. Nach Prof. Schwintowski sogar mehr als 90 Prozent.
Eine echte Kulanzleistung wäre im „bestmöglichen Interesse des Kunden“ gewesen, resümiert der Rechtsprofessor. Keinesfalls aber ein Vergleichsangebot, bei dem Kunden 85 Prozent ihres Anspruchs verlieren und bei einer Ablehnung des Angebots quasi leer ausgehen.
Ein Angebot im bestmöglichen Interesse des Kunden wäre zudem gewesen, 15 Prozent ohne weitere Beschränkungen an den Kunden auszuzahlen, und offen zu halten, ob im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung höhere Ansprüche geltend gemacht werden.
Der Status quo und weitere rechtliche Folgen
Prof. Schwintowski vertritt mit seinem Gutachten auch die Auffassung, dass Versicherungskunden auf § 249 BGB zurückgreifen und die Wiederherstellung des Zustandes verlangen können, der vorhanden wäre, wenn der sogenannte zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
Oder anders formuliert: Wäre die Bayerische Lösung nicht angeboten und eingetreten, hätten Versicherer eine Kulanzleistung in Höhe von 15 Prozent ausgezahlt. Dem Kunden stünde es offen, für den verbleibenden Anspruch den Rechtsweg einzuschlagen und sich mit dem Versicherer vor Gericht auseinanderzusetzen. Nimmt diese für den Kunden ein positives Ende, dann müssten die Kunden auch die schon geleisteten 15 Prozent nicht zurückzahlen.
Maklerhaftung: Ja oder Nein?
Wenn Makler ihren Kunden zur Annahme der Bayerischen Lösung geraten haben, haften sie nicht. Denn, so Prof. Schwintowski, kein Versicherungsmakler hätte an der Bayerischen Lösung aktiv mitgearbeitet. Es liegt auch keine Pflichtverletzung vor, wenn der Versicherungsmakler die Sachkunde und das Wissen der Bayerischen Staatsregierung, der Ministerien sowie der beteiligten Verbände nicht infrage gestellt hat.
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass Kunden einen Anspruch haben, den getroffenen Vergleich rückgängig zu machen. Auf Nachfrage bei der Kanzlei Michaelis ist zu ergänzen, dass Versicherungskunden, diesen Schritt nicht scheuen müssen. Besteht eine Rechtsschutzversicherung, kann diese in Anspruch genommen werden. Hinzu kommt noch das Angebot des Prozesskosten-Finanzierers.
Fazit: 11 Monate nach der Bayerischen Lösung können die Karten neu gemischt werden. Versicherungskunden aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe sollten, nein sie müssen über ihre Möglichkeiten informiert werden. Versicherungsmakler sind aufgefordert, ihre Kunden darauf anzusprechen.
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