Durch die extremen Zinsbedingungen haben Lebensversicherer mehr Handlungsspielraum bei der Ausfinanzierung ihrer Zinszusatzreserve, denn durch die erneute Talfahrt der Zinsen sind die Bewertungsreserven in den Handelsbilanzen wieder gestiegen.
Allerdings wird auf lange Sicht die Zinsentwicklung zu einer großen Herausforderung werden. Zu diesem Ergebnis kommt Assekurata in dem Ertragskraft-Garantie-Check (EKG-Check).
Für den EKG-Check hat Assekurata zahlreiche Kennzahlen zu Ertrag, Sicherheit und Beständen von 70 Lebensversicherern untersucht.
Die Zinsen an den Kapitalmärkten sind seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie wieder auf historische Niedrigstände gesunken. Selbst Bundesanleihen mit 30-jähriger Laufzeit notieren mittlerweile im negativen Bereich.
Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata, dazu:
„Die Corona-Hilfspakete von Staaten und europäischer Zentralbank drücken die Zinsen nach unten und zementieren sie auf Rekordtiefstständen.“
Dies setzte die Lebensversicherer unter Zugzwang, da sie auch unter diesen schwierigen Bedingungen die Garantieversprechen bedienen und darüber hinaus umfangreiche Zinszusatzreserven (ZZR) stellen müssen.
Assekurata hatte zu Jahresanfang prognostiziert, dass die Lebensversicherer der ZZR in diesem Jahr zwischen 9 und11 Milliarden Euro zuführen müssen. Lars Heermann geht wegen des erneuten Zinsverfalls nun vom oberen Ende der Spanne aus. Er verweist auf den diesjährigen Referenzzins von 1,73 Prozent (Vorjahr: 1,92 Prozent), an dem sich die Lebensversicherer bei der Nachreservierung orientieren müssen.
Um diese 11 Milliarden Euro an ZZR-Zuführungen zu finanzieren, müssen die Unternehmen aus ihren Kapitalanlagen einen Nettozins von gut einem Prozent erwirtschaften, zusätzlich zu den Erträgen zur Bedienung der eigentlichen Garantieverpflichtungen.
Langfristiger Aufbau der ZZR
Allerdings wiegt der langfristige Aufbau der ZZR, den die Analysten in der EKG-Studie für verschiedene Szenarien errechnet haben, viel schwerer. Bei anhaltenden Nullzinsen steigt der Reservetopf bis 2030 auf ein Gesamtvolumen von knapp 170 Milliarden Euro. In Summe sind dies 15 Milliarden Euro mehr als bei den letzten Hochrechnungen zum Zinsniveau am Jahresanfang.
Lars Heermann erklärt:
„Mit dem Ende 2020 aufgebauten ZZR-Bestand von rund 85 Milliarden Euro hätten die Lebensversicherer also in diesem Szenario gerade einmal die Hälfte der Strecke geschafft. Der Weg zur Ausfinanzierung ist damit weiter als gedacht.“
EKG-Quoten trotzen den Extremzinsen
Da der positive Effekt aus der 2018 eingeführten Korridormethode vom negativen Zinstrend nivelliert wird, ist aus Assekurata-Sicht ein sorgfältiges Ertragsmanagement wichtiger denn je. Der EKG-Check untersucht, inwieweit die Lebensversicherer mit ihren Erträgen in der Lage sind, die Rechnungszinsen, also die Garantien und ZZR-Zuführungen, zu finanzieren.
Im EKG-Check 2020 zeigt sich, dass die EKG-Quote 2019 im Marktdurchschnitt mit 512,49 Prozent um fast 100 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Dies bedeutet, dass das Ertragsvolumen der Branche im Extremfall ausreicht, um die Rechnungszinsanforderungen im Geschäftsjahr 2019 mehr als fünf Mal zu finanzieren.
Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr ist maßgeblich auf die gesunkenen Zinsen und den daraus resultierenden Anstieg der Bewertungsreserven in den HGB-Bilanzen zurückzuführen. Diese gehen definitionsgemäß zu 50 Prozent in die EKG-Quote ein und waren bereits in den vergangenen Jahren die wesentliche Finanzierungsquelle der Lebensversicherer für die notwendigen ZZR-Zuführungen.
Stärkere Reaktion der Bewertungsreserven als die ZZR auf den Niedrigzins
Für den weiteren ZZR-Aufbau muss berücksichtigt werden, dass sich der Effekt gesunkener Zinsen schneller in den Bewertungsreserven niederschlägt als in der Zinszusatzreserve.
Während der Referenzzins methodisch über mehrere Jahre in einem definierten Korridor bestimmt wird, wodurch sich die ZZR-Zuführungen vom aktuellen Marktzins entkoppeln, steigt der Marktwert von festverzinslichen Wertpapieren bei sinkenden Zinsen unmittelbar an, was in hohen bilanziellen Bewertungsreserven resultiert.
Anhand der 2019 stark gestiegenen Bewertungsreserven wird deutlich, dass sich die Finanzierungsbedingungen für die ZZR mit dem drastischen Zinsrückgang zunächst sogar verbessert haben. Denn Lebensversicherer können durch die Auflösung von Bewertungsreserven ihre ZZR-Zuführungspflicht bedienen, indem sie vorhandene festverzinsliche Anlagen aus ihren Kapitalanlagebeständen zu aktuell höheren Anleihepreisen veräußern.
Umstellung des Geschäftsmodells notwendig
Lars Heermann sagt:
„Wenn die Bezugszinsen in den kommenden Jahren dauerhaft am Nullpunkt oder sogar darunter liegen, sehen wir in der kurzen Frist keine Gefahr für die Lebensversicherer. Dies sieht allerdings anders aus, wenn die Zinsen langfristig wieder steigen sollten und dann zu wenig Bewertungsreserven zur Deckung der ZZR-Zuführungen vorhanden sind.“
Um dem entgegenzuwirken, kommen die Lebensversicherer aus Sicht von Assekurata nicht umhin, ihr Geschäftsmodell konsequent auf garantieärmere Produkte im Neugeschäft umzustellen.
Auch die Finanzaufsicht BaFin hat in jüngster Zeit zu einer höheren Sorgfalt bei der Kalkulation von Garantien aufgerufen, was die Rating Agentur insoweit als folgerichtig ansieht.
Lars Heermann dazu:
„Unter dem Strich verschaffen die höheren Bewertungsreserven den Lebensversicherern etwas mehr Zeit zum Umbau ihrer Geschäftsmodelle. Angesichts des massiven Zinsfinanzierungsbedarfs ist eine Neuausrichtung aber auch radikal notwendig.“
Große Unterschiede bei wirtschaftlicher Ausgangslage
Für Dr. Reiner Will, Assekurata-Geschäftsführer, kann sich der Umbau durchaus lohnen:
„Trotz niedriger oder sogar negativer Zinsen sehen wir Perspektiven für die Lebensversicherung, weil die Sparquote der Kunden in der Corona-Krise deutlich gestiegen ist. Mit Blick auf die Anbieter zeigt unsere EKG-Studie allerdings, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen individuell sehr unterschiedlich sind.“
Positiv sieht Dr. Reiner Will, wenn ein Lebensversicherer über eine breit gestreute Kapitalanlage mit substanziellen Bewertungsreserven und eine stabile und ausgewogene Ertragsstruktur verfügt.
Dann profitieren nicht nur Altersvorsorgesparer, sondern auch Kunden von Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherungen, da die Gefahr geringer ausfällt, dass der Versicherer zur Abwehr drohender Kapitalanalageverluste einen Teil seiner Risikoergebnisse querverrechnet.
Dr. Reiner Will erläutert:
„Wenn dies passiert, können die Beitragszahlungen der Kunden steigen, auch wenn der eigentliche Tarif sorgfältig kalkuliert und der Bestand insgesamt profitabel ist. Und dass ein negatives Kapitalanlageergebnis keineswegs aus der Luft gegriffen ist, zeigt sich wiederum daran, dass viele Gesellschaften dies bereits heute vielfach nur durch die Auflösung von Bewertungsreserven vermeiden können.“