Nicht in allen Fällen kann für eine Kunden eine Berufsunfähigkeitsversicherung als Vorsorgeinstrument zur Absicherung der Arbeitskraft eingesetzt werden. Vorerkrankungen, eine ungünstige Berufsgruppe oder einfach ein beschränktes Vorsorgebudget erfordern dann Alternativen. Neben der Überschwester Berufsunfähigkeitsversicherung kommt der Erwerbsunfähigkeitsversicherung in vielen Vermittlerbüros nur die Rolle des Mauerblümchens zu.
Natürlich bietet die regelmäßig kostengünstigere Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht den umfassenden Versicherungsschutz wie eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Aber vor allem für Kunden mit einem handwerklichen Beruf kann die Absicherung der Erwerbsunfähigkeit durchaus eine interessante Alternative sein.
Erwerbsunfähigkeit = Erwerbsminderung?
Im ersten Schritt der Tarifprüfung muss die Definition der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen untersucht werden. Auch den Beurteilungs- beziehungsweise Prognosezeitraum und die Voraussetzungen für die Begründung eines leistungspflichtigen Versicherungsfalls sollte der Vermittler sehr genau unter die Lupe nehmen.
Nachdem der Gesetzgeber die Erwerbsunfähigkeitsrente der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1.01.2001 durch die Rente wegen voller Erwerbsminderung substituiert hat, stellt sich die Frage, ob die Begriffe Erwerbsunfähigkeit und Erwerbsminderung synonym zu verwenden sind?
So wurden in der Vergangenheit vielen Arbeitnehmern Invaliditätsleistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung im Fall einer Erwerbsunfähigkeit zugesagt.
Nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (BGBl. I 2000, 1827) sowohl die Berufsunfähigkeitsrente für nach dem 1.01.1961 geborene Versicherte, als auch die Erwerbsunfähigkeitsrente aufgegeben und dafür die Renten wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 und 2 SGB VI) eingeführt hatte, kam es vielen betrieblichen Versorgungsordnungen zu einer Regelungslücke.
Das Bundesarbeitsgericht hatte hierzu entschieden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch dann eine Versorgungsleistung schuldet, wenn einen Invalidenrente für den Fall der Erwerbsunfähigkeit zugesagt wurde, dem Arbeitnehmer aber von der Deutschen Rentenversicherung aufgrund der Neufassung des SGB VI eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde.
In ihren Versicherungsbedingungen lehnen sich die Anbieter von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen mit den Leistungsvoraussetzungen im Versicherungsfall heute an die Rechtsnorm für die Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Für die Alltagspraxis bedeutet dies, dass sich ein leistungspflichtiger Versicherungsfall begründet, wenn die versicherte Person auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als drei Stunden pro Tag erwerbstätig sein kann.
Allerdings gibt es ja bekanntlich keine Regel ohne Ausnahme und dies gilt auch für die Erwerbsunfähigkeitsversicherung: So kann bei einem Anbieter die Schwelle zu einem leistungspflichtigen Versicherungsfall mit einer Erwerbsfähigkeit von weniger als einer Stunde/Tag vertraglich höher aufgelegt werden. Eine andere Gesellschaft zieht die Grenze zwischen Leistungspflicht und Leistungsfreiheit mit einer Erwerbsfähigkeit von weniger als sieben Stunden in der Woche.
Einkommensgrenze für Hinzuverdienst im Versicherungsfall
Auch im Fall der Erwerbsunfähigkeitsversicherung muss die infolge Krankheit, Unfall oder Kräfteverfall eingeschränkte Erwerbsfähigkeit der versicherten Person auch zu einer Einkommenseinbuße führen. Die Lebensversicherer benennen in ihren AVB allerdings keine verpflichtende Einkommensminderung, sondern vielmehr eine Grenze für den zulässigen Hinzuverdienst während des Bezugs von Versicherungsleistungen.
Der Anspruch auf eine fortlaufende Rentenzahlung ist dabei regelmäßig nur gegeben, wenn das Einkommen aus Erwerbstätigkeit der versicherten Person den zulässigen Höchstverdienst für geringfügig Beschäftigte nicht überschreitet. Eine Erhöhung der im Jahr 2019 gültigen Einkommensobergrenze von 450,00 Euro im Monat für Minijober wurde allerdings vom Gesetzgeber nicht umgesetzt, das heißt auch in 2020 gilt für geringfügig Beschäftigte, und damit auch für den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente regelmäßig ein zulässiger Höchstverdienst von 450,00 Euro im Monat.
Alternative: Erwerbsunfähigkeitsversicherung mit anfänglicher Prüfung auf Berufsunfähigkeit
Eine interessante Alternative und zugleich ein Bindeglied zwischen den Welten von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherung findet sich mit Tarifen, die bei erstmaliger Anmeldung eines Versicherungsfalls auf eine Berufsunfähigkeit der versicherten Person prüfen. Sofern die Voraussetzungen für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der versicherten Person vorliegen, besteht ein Leistungsanspruch für maximal drei Jahre. Nach Ablauf dieser Leistungsdauer kann eine fortlaufende Leistungszahlung dann nur noch mit einer bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit der versicherten Person begründet werden.
Sofern sich ein Kunde aus monetären oder anderen Gründen gegen den vom Vermittler angeratenen Abschluss einer Berufsunfähigkeits- und für die Einrichtung einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung entscheidet sollten sowohl die Beweggründe als auch der ausdrückliche Kundenwunsch gewissenhaft in der Beratungsdokumentation vom Vermittler erfasst werden.
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