Hilfe aus dem All: Wie die Zukunft der Risikobewertung aussieht

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Verheerende Flammen und Rufe nach Hilfe – mit dem Anstieg der globalen Erwärmung nehmen Waldbrände an Intensität und Häufigkeit zu. Das stellt auch die Versicherungsbranche vor neue Herausforderungen. Doch eine innovative Lösung aus dem Orbit könnte den Weg in eine neue Ära des Risikomanagements ebnen: Thermaldaten.

Ein Gastbeitrag von Julia Gottfriedsen, Data Science Expertin OroraTech GmbH

Julia Gottfriedsen, Data Science Expertin OroraTech GmbH © Ororatech GmbH

Die globale Erwärmung verändert regionale Klimamuster weltweit und die Auswirkungen sind bereits für viele Menschen spürbar. Zahlreiche Regionen sehen sich mit zunehmend schweren und häufigeren Wetterereignissen konfrontiert. Besonders besorgniserregend ist der enge Zusammenhang zwischen diesen Wetterphänomenen und der Zunahme von verheerenden Waldbränden.

Im Februar dieses Jahres kam es in Chile zu verheerenden Waldbränden, bei denen mindestens 26 Menschen starben und fast 2.000 verletzt wurden. Mit einer Fläche von mehr als 4.000 Quadratkilometern war dies einer der tödlichsten Waldbrände, den das Land jemals erlebt hat. Leider war auch das größte kommerzielle Forstwirtschaftsunternehmen des Landes, ARAUCO, betroffen.

Hilfe bei der Bekämpfung der Katastrophe kam aus dem All – genauer gesagt durch Wärmebilder von Sensoren, die an Satelliten angebracht sind. Zu verschiedenen Tageszeiten, auch in den frühen Morgenstunden, wurden neueste Datensätze, Bilder und Aktualisierungen bereitgestellt. Dies hat entscheidend dazu beigetragen, dass ARAUCO sofortige Maßnahmen ergreifen und eine effektivere Brandbekämpfungsstrategie entwickeln konnte, speziell bei nächtlichen Einsätzen.

Ein wichtiger Aspekt des Risikomanagements für die Versicherungswirtschaft ist die Anwendung von Maßnahmen zur Abschwächung von Katastrophenereignissen. Daten, insbesondere wenn sie von thermischen (Infrarot-) Sensoren erzeugt werden, die im All gesammelt werden, zeigen sehr kleine Brände (4m x 4m) fast in Echtzeit an jedem Ort der Erde. Dies ist ein wichtiger Beitrag zum Thema Risikominderung und Versicherbarkeit.

Wärmebildtechnologie für klare Sicht

Die Integration von Thermaldaten in die Waldbrandbekämpfung ermöglicht eine frühzeitige Erkennung von potenziellen Brandherden und hitzeempfindlichen Bereichen. Durch die Überwachung dieser Gebiete aus dem All können Unternehmen, Regierungen und die Versicherungswirtschaft rechtzeitig reagieren und ihre Ressourcen effektiv einsetzen, um Schäden zu begrenzen. Darüber hinaus liefern Thermaldaten wichtige Informationen über das Ausmaß und die Ausbreitung von Waldbränden, was eine genauere Risikobewertung ermöglicht.

Durch die Kombination von vorausschauenden Analysen und Thermaldaten eröffnen sich somit neue Möglichkeiten für die Versicherungsbranche. Es besteht die Chance, präventive Maßnahmen zu entwickeln, die auf Echtzeitdaten basieren, um Waldbrände zu verhindern oder zumindest ihre Auswirkungen zu minimieren. Denn der beste Brand ist der, der am besten gehandhabt wird. Versicherungsunternehmen können dadurch aber auch maßgeschneiderte Versicherungsprodukte anbieten, die auf die spezifischen Bedürfnisse gefährdeter Gebiete zugeschnitten sind.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Versicherungsunternehmen und Dienstleistern ist daher von großer Bedeutung, um das volle Potenzial dieser Technologie auszuschöpfen. Durch den Austausch von Informationen und die Integration von Thermal- und Klimadaten in ihre Versicherungsmodelle können Versicherungen die Auswirkungen von Waldbränden besser verstehen, geeignete Maßnahmen ergreifen und passgenaue Produkte anbieten.

Veränderung von Versicherungsmodellen

Beim Risikomanagement sind die richtige Einschätzung der Risikolage und die Festlegung und Empfehlung von Maßnahmen zur Abschwächung von Katastrophenereignissen zentrale Aspekte. In dieser Hinsicht erweisen sich Waldbrände als vorteilhaftere Kandidaten im Vergleich zu beispielsweise Erdbeben oder schweren Stürmen. Während diese Gefahren unvermeidbar sind und nur durch Risikominderungsstrategien in Bezug auf ihre Auswirkungen begrenzt werden können, bieten Waldbrände eine einzigartige Möglichkeit zur Risikominderung, die das Feuer selbst betrifft.

Große und zerstörerische Waldbrände beginnen oft als kleine Funken, und erfolgreiche Eindämmungsmaßnahmen erfordern eine frühzeitige Erkennung. Hier kommen Daten von thermischen Sensoren ins Spiel. Sie ermöglichen nicht nur die nahezu Echtzeit-Erkennung von winzigen Bränden, sondern auch die Überwachung von Veränderungen in der Vegetation, Bodenfeuchtigkeit und Temperatur. Durch die Analyse dieser Parameter können kritische Kombinationen ermittelt werden, die als wichtige Eingangsvariablen für die Bewertung des Waldbrandrisikos dienen. In Kombination mit einem umfangreichen globalen historischen Datensatz über Waldbrände bieten diese Informationen einen wertvollen Einblick und ermöglichen eine fundierte Risikobewertung.

In der Vergangenheit basierte die Risikobewertung in Versicherungsmodellen hauptsächlich auf historischen Daten und statistischen Modellen. Versicherungsunternehmen analysierten vergangene Schadensfälle, um Muster und Trends zu identifizieren und daraus Prognosen für zukünftige Risiken abzuleiten. Allerdings stieß diese herkömmliche Methode bei der Bewertung von Waldbrandrisiken an ihre Grenzen. Die Natur von Waldbränden ist komplex und ihre Auswirkungen können von zahlreichen Faktoren abhängen.

Doch auch nach einem Brand können Thermaldaten ein entscheidendes Instrument für die Versicherungswirtschaft sein. Infrarottechnik ermöglicht es etwa, verbrannte Flächen nach einem Vegetationsbrand genau zu kartieren. Dadurch kann der Schweregrad der verbrannten Fläche bestimmt werden. In Kombination mit Gebäudegrundrissen können so die Anzahl der potenziell betroffenen Gebäude berechnet werden.

Diese explizite Überwachung struktureller Veränderungen eines Gebäudes oder einer Betonstruktur nach einem Ereignis kann durch andere Sensortechnologie, wie Synthetic Aperture Radar (SAR) geleistet werden. SAR ist ein Radarsystem mit hoher Auflösung, das aus Flugzeugen oder Satelliten eingesetzt wird, um zweidimensionale Bilder der Erdoberfläche zu erzeugen. Diese Daten müssen dann entsprechend sinnvoll verarbeitet werden, sodass Versicherungsgesellschaften auf sie zugreifen können.

Mithilfe von Thermal-Infrarot-Daten kann zudem auch die Qualität der Daten über die verbrannte Fläche verbessern. Durch die Kombination von aktivem Feuer und verbrannter Fläche erhält man genaues Wissen über verbrannte Flächen mit höherer Genauigkeit und weniger Fehlalarmen im Vergleich zu öffentlichen Datenprodukten, wie der MODIS-basierten Schätzung verbrannter Flächen.

Die Integration von thermischen Daten in das Risikomanagement der Versicherungsbranche ermöglicht so eine fundierte Bewertung des Waldbrandrisikos und trägt zur Minimierung von Schäden und zur Verbesserung der Schadensbegrenzung bei. Durch die aktuellen Daten, in Kombination mit umfangreichen globalen historischen Datensätzen und anderen Informationsquellen, können Versicherungsunternehmen ihre Risikobewertungen weiter optimieren und eine umfassendere Absicherung für ihre Kunden gewährleisten.

Zahlen, Daten, Fakten!

Thermaldaten spielen jetzt schon eine entscheidende Rolle in der Welt der Waldbrände. Sie sind nicht nur essentiell für die frühzeitige Erkennung von Bränden und Brandnarben, also Gebiete, die nach einem Brand beschädigt sind, sondern liefern auch wertvolle Indikatoren, die helfen, Naturgefahren wie Waldbrände, Dürren und Hitzewellen vorherzusagen.

Doch wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen. Bei den Prozessen können Fernerkundungsdaten mit einer Vielzahl anderer relevanter Datenquellen kombiniert werden. Von Landbedeckungskarten über Reanalyse-Wetterdaten und Klimavorhersagen bis hin zu Infrastrukturkarten und sozioökonomischen Datensätzen wie der Bevölkerungsdichte – das gesamte Arsenal an Informationen kann genutzt werden, um ein umfassendes Bild der Risiken zu zeichnen.

Durch die Nutzung der umfangreichen Datenbasis und die Verbindung verschiedener Datenquellen stehen wir an der Schwelle einer neuen Ära des Risikomanagements. Neben der Branderkennung finden thermische Infrarot-Sensordaten und daraus abgeleitete Produkte wie die Landoberflächentemperatur (LST) in der Versicherungsbranche auch andere Anwendung bei der Bewertung verschiedener Umweltkatastrophen. Dazu gehören der Zustand der Vegetation, Hitzewellen und Wetterereignisse wie Wirbelstürme.

Thermische Infrarotdaten ermöglichen die Bewertung des Feuchtigkeitsgehalts des Bodens und der Gesundheit der Vegetation, die als wichtige Indikatoren für Dürrebedingungen dienen. Versicherer können LST- und Vegetationsindizes analysieren, um die Schwere und das Ausmaß von Dürren zu beurteilen, landwirtschaftliche Verluste abzuschätzen und Landwirten und anderen Beteiligten geeignete Deckungs- oder Risikomanagementstrategien anzubieten.

Darüber hinaus helfen thermische Infrarotdaten bei der Identifizierung und Quantifizierung von Hitzewellen durch Überwachung der Oberflächentemperaturen. Diese Informationen sind wertvoll für das Verständnis des Ausmaßes von Hitzewellen und können den Versicherern bei der Entwicklung geeigneter Strategien zur Bewältigung der damit verbundenen Risiken helfen.

Schließlich spielen thermische Infrarot-Sensordaten eine entscheidende Rolle bei der Überwachung der Meeresoberflächentemperaturen (SST), die für die Bewertung von Küsten- und Meeresgefahren unerlässlich sind. SST-Daten können zur Bewertung des Risikos von tropischen Wirbelstürmen oder Sturmfluten herangezogen werden. Diese Informationen sind von unschätzbarem Wert für die Entwicklung geeigneter Schutzoptionen und Risikominderungsstrategien für Küstengemeinden und die Meeresindustrie.

Fazit

Die Kraft der neuen Technologien und insbesondere der Thermaldaten hat das Potenzial, die Versicherungsbranche in Bezug auf Waldbrände grundlegend zu transformieren. Indem Versicherungsunternehmen Zugang zu präzisen Informationen über Brandherde, Ausbreitungsmuster und Schäden erhalten, können sie Risiken besser bewerten, Schutzmaßnahmen entwickeln und ihren Kunden maßgeschneiderte Versicherungsprodukte anbieten. Die Integration dieser Technologien in das Risikomanagement ermöglicht es zudem, Waldbrände frühzeitig zu erkennen, die Reaktionszeiten zu verkürzen und die Wirksamkeit der Schadensbegrenzung zu maximieren.

Die Versicherungsbranche muss diesen Weg der Innovation einschlagen und die Chancen, die sich durch den Einsatz von Daten und neuen Technologien bieten, nutzen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Versicherungsunternehmen, Anbietern von thermischen Daten und Regierungsbehörden ist dabei unerlässlich, um die volle Leistungsfähigkeit dieser Technologie auszuschöpfen und eine nachhaltige Versicherbarkeit gegen Waldbränden zu gewährleisten. Die Zukunft der Versicherungsbranche liegt in einer datengetriebenen und präventiven Herangehensweise an die Risikobewertung und Schadensbegrenzung. Indem auf die Kraft der Sensordaten gesetzt wird, gehen wir mutig den Weg in eine sicherere und widerstandsfähigere Zukunft.

Zu den Autoren

Julia Gottfriedsen leitet das Data Science Team bei OroraTech, wo sie an der Analyse und Verarbeitung von Satellitendaten, ML-Anwendungen und der Erstellung neuer Datenprodukte arbeitet. Mit einem fundierten akademischen Hintergrund in Geowissenschaften, Umweltingenieurwesen und Informatik verfügt sie über ein tiefes Verständnis für statistische Modellierung, maschinelles Lernen und Datenanalysetechniken. 

Zudem konnte Julia Gottfriedsen bereits umfangreiche Erfahrungen in der Privatwirtschaft und an Forschungsinstituten sammeln: Sie arbeitete im Siemens AI Lab in München und Kalifornien, untersuchte extreme Wetterereignisse am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und ist in Forschungskooperationen mit der ESA, der LMU und der TUM München

Bild (2): OroraTech GmbH