Die Berichtssaison des ersten Quartals 2023 ist beendet. Die gute Nachricht: Rund drei Viertel der Unternehmen weltweit übertrafen ihre Gewinnerwartungen. Der Wermutstropfen: Viele Firmen hatten ihre Prognosen in Erwartung einer Rezession bereits gesenkt, die Messlatte war also recht niedrig angesetzt. Für das Gesamtjahr haben die meisten Unternehmen ihre Schätzungen aus Sorge über die Aussichten zudem nicht angehoben, denn die Märkte sind zurzeit von unterschiedlichsten Trends geprägt.
Ein Beitrag von James T. Tierney und Dev Chakrabarti, beide Chief Investment Officer - Concentrated Global Growth bei AllianceBernstein
Die seit Langem erwartete Rezession ist zwar noch nicht eingetreten, doch die makroökonomischen Bedingungen sind unklar. Die hohe Inflation ist hartnäckiger als erwartet, die kurzfristigen Zinsen steigen weiter an und die Turbulenzen im Bankensektor sorgen für zusätzliche Instabilität. Die Unternehmensberichte deuten darauf hin, dass diese teils gegensätzlichen Kräfte die Herausforderungen für Unternehmen weiter verschärfen und es für Anleger damit erschweren werden, belastbare Wachstumsquellen zu finden.
Widersprüchliche Trends
Die Entwicklung des Gewinnwachstums spiegelt das undurchsichtige Umfeld wider. Sechs Sektoren trugen global zum Gewinnwachstum bei, während fünf Sektoren einen negativen Beitrag leisteten, was zu einem insgesamt flachen Wachstum von +0,3 Prozent für den MSCI World führte.
Dabei trugen zyklische Konsumgüter wesentlich zum Wachstum bei, obwohl der Druck auf die US-Verbraucherausgaben durch höhere Zinsen und Rezessionssorgen zunahm. Die Informationstechnologie und das Gesundheitswesen wiederum haben das Gewinnwachstum belastet, auch wenn einige Branchensegmente weiterhin robust sind. Die Geschäftsdynamik unterscheidet sich darüber hinaus auch innerhalb der Sektoren und zwischen einzelnen Unternehmen.
Verbraucher in den USA und Europa unter Druck
Die Verbraucherausgaben veranschaulichen das Dilemma. In den USA verzeichnete der Einzelhandelsriese Costco für März einen Umsatzrückgang von 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. UPS meldete eine Abschwächung des US-Versandvolumens. Die Volumina von Visa und Mastercard deuten darauf hin, dass sich das Wachstum der US-Ausgaben von etwa 12 Prozent im Januar auf 7 Prozent zum Quartalsende verlangsamt hat. Gleichzeitig übertraf Konsumgigant Amazon jedoch die Erwartungen. Auch die Unternehmen der Basiskonsumgüterindustrie zeigten im Allgemeinen eine starke Preissetzungsmacht.
US-Verbraucher haben schwierige Entscheidungen bezüglich ihrer Ausgaben zu treffen. Auch wenn die niedrigeren Energiepreise für eine gewisse Entlastung sorgen, verteuern höhere Zinsen die Hypotheken und die Inflation schwächt die Kaufkraft. Anleger müssen deshalb unterscheiden zwischen Konsumgüterunternehmen, die über eine kritische Masse an unverzichtbaren Produkten verfügen, und anderen Unternehmen mit weniger wichtigen Produkten, deren Absatz unter Druck geraten könnten, sollten die Verbraucher den Gürtel enger schnallen.
Das eine vom anderen zu unterscheiden erfordert eine gründliche Analyse der Produkte, des Wettbewerbs und der Preissetzungsmacht. Auch die europäischen Verbraucher sehen sich mit schwierigen Bedingungen konfrontiert.
Chinesen fragen Luxusgüter nach
In China zeigt sich jedoch ein gegensätzliches Bild: Hier kaufen die Verbraucher kräftig ein. Das hat ausgewählten globalen Konsumgütermarken Auftrieb verliehen, darunter auch Luxusgüterunternehmen wie LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton und L’Oréal.
Technologie: Schwächere Ausgaben
Auch im Technologiesektor ist die Bilanz gemischt. Die IT-Ausgaben für PCs und Kommunikationsdienste waren schwach. CDW, ein US-amerikanischer Technologiehändler für kleine und mittlere Unternehmen, senkte seine Prognose gegenüber den Erwartungen aus dem Frühjahr und rechnet mit einem deutlichen Rückgang der Technologieausgaben in den USA.
Auch die Ausgaben für die Cloud verlangsamen sich, jedoch war das absolute Wachstum besser als erwartet, mit soliden positiven Zahlen von den größten Anbietern. Amazons AWS meldete für das erste Quartal ein Wachstum von 16 Prozent, während Microsofts Cloud-Geschäft Azure eine Verlangsamung des Wachstums von 31 Prozent im ersten Quartal auf immer noch solide 26 Prozent im zweiten Quartal erwartet.
Künstliche Intelligenz boomt
Unterdessen hat die KI-Revolution, die durch die rasche Einführung von ChatGPT vorangetrieben wird, die Hoffnungen in der Branche beflügelt. Die beschleunigte Einführung von Künstlicher Intelligenz wird vermutlich eine neue Welle von Technologieausgaben auslösen, da Unternehmen versuchen, Effizienzgewinne zu erzielen. Unternehmen aus verschiedenen Bereichen des Sektors, darunter Capgemini (IT-Dienstleistungen), ASML (Halbleiter) und Cadence Design (Software), könnten eine wesentliche Rolle bei der breiteren Einführung von Künstlicher Intelligenz spielen.
Gesundheitswesen: Defensiv in einem schwierigen Umfeld
Gesundheitsaktien enttäuschten im ersten Quartal. Die Nachfrage nach medizinischen Leistungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder freiwilligen Operationen nimmt nach dem COVID-Einbruch jedoch wieder zu. Dies hat sich in den Ergebnissen von Unternehmen wie Abbott Laboratories, Johnson & Johnson und Intuitive Surgical niedergeschlagen.
Auch in einem schwierigeren Konjunkturumfeld werden die Menschen weiterhin Ausgaben für Produkte und Dienstleistungen im Gesundheitswesen tätigen. Zudem sind Gesundheitsunternehmen im Allgemeinen gut kapitalisiert. Ausgewählte Gesundheitsaktien bieten deshalb defensive Eigenschaften für ein schwierigeres Umfeld.
Preissetzungsmacht bleibt wichtiges Unterscheidungsmerkmal
Die Gewinnsaison hat gezeigt, wie schwierig das Umfeld für Unternehmen und Anleger ist und dass Portfoliomanager eine Strategie heute nicht einfach an dem Erfolg eines Sektors ausrichten können. Einige Unternehmen sind besser aufgestellt als andere, um sich von der Masse abzuheben.
Investoren sollten deshalb Ausschau nach Unternehmen mit klaren langfristigen Wachstumstreibern halten, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie durch konjunkturelle Unsicherheiten aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Angesichts der anhaltend hohen Inflation wird die Preissetzungsmacht weiterhin ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sein.
Unternehmen mit Produkten, die für Verbraucher auch in schwierigen Wirtschaftslagen unverzichtbar sind, werden Vorteile bieten. Und schließlich werden Unternehmen, die ihre Kosten senken können und eine niedrige Verschuldung aufweisen, besser in der Lage sein, durch unruhige finanzielle Gewässer zu navigieren.
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