Anlässlich des seit dem 8. Mai 2023 zirkulierendem Entwurf der Retail Investment Strategy der EU-Kommissarin Mairead McGuinness hat der Vermittlerverband VOTUM starke Bedenken bei der Einführung einer zentralen Produktkontrolle, die bei ESMA und EIOPA angesiedelt werden soll. Es besteht die Gefahr, dass die EU-Kommission mit dem Ziel des Verbraucherschutzes erneut lediglich den Bürokratiedschungel verdichtet.
„Der vorliegende Entwurf macht den Eindruck, als ob Frau McGuinness die Kapitalmarkt-Union mit der Brechstange erzwingen möchte. Sie will einheitliche Anlage- und Versicherungsprodukte trotz völlig unterschiedlich entwickelter nationaler Märkte. Hierbei setzt sie nicht auf Deregulierung und niederschwellige Marktzugänge, sondern auf noch mehr Bürokratisierung“, gibt Martin Klein, Vorstand VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen in Europa e. V., zu bedenken.
Dem Entwurf nach sollen die europäischen Aufsichtsbehörden ESMA und EIOPA eine Art Produkt-Polizei werden, die insbesondere europaweite Kosten-Benchmarks für Kapital- und Versicherungsanlageprodukte vorgeben. Dieses Benchmarks sollen die Leistungsmerkmale des Produkts sowie die Gesamtkosten und insbesondere die Vertriebskosten betreffen.
Dies könnte einen europäischen Provisionsdeckel bedeuten und damit erneut einen Markteingriff, der - wie der deutsche Gesetzgeber bereits festgestellt hat - nur berechtigt ist, wenn ein umfassendes Marktversagen zu beobachten wäre. Das ist aber tatsächlich nicht der Fall ist.
Martin Klein stellt dazu fest: „Wir haben bereits dem deutschen Gesetzgeber und der BaFin dargelegt, dass einheitliche Provisionsgrenzen für die unterschiedlichen Vertriebswege nicht angemessen sind und nicht zur Verbesserung des Beratungsangebots beitragen. Dies muss nunmehr erneut gegenüber den europäischen Gesetzgebern erfolgen.“
Die Vorgaben der Retail Investment Strategy für die Ausgestaltung von Beratungen seien in sich widersprüchlich, befindet der VOTUM-Vorstand: Zum einen sollen die Berater verpflichtet werden, weitere umfassende Produktanalyse sowohl im Leistungsbereich als auch im Kostensegment vorzunehmen, ohne dass zu erkennen sei, wie ihnen dieser Zusatzaufwand vergütet werden könnte. Zum anderen sollen Berater für ihre Kunden eine Art Zwei-Klassen-Beratungsangebot vorhalten.
Die EU-Kommission habe zwar festgestellt, dass europäische Kleinanleger der Meinung sind, sie verfügen nicht über ausreichend Mittel und Kenntnisse, um am Kapitalmarkt zu investieren und scheuen deshalb das Risiko. Dennoch sollen Berater eine eingeschränkte Beratung anbieten, die nicht auf Kenntnisse und Erfahrungen der Anleger achte und sich auf Standardprodukte beschränke. Das Alles mit dem Ziel, Beratung vermeintlich „billiger“ zu machen. Dies sei Sicht des Verbandes ein weiterer Irrweg, kritisiert Klein.
Einseitiger Fokus auf Provisionsberatung
„Irritierend ist zudem, dass die EU-Kommission erneut nur den Bereich der provisionsbasierten Beratung mit Regulierung überzieht aber kein Wort dazu verliert, das auch im Bereich der Honorarberatung Gefahren für Fehlentwicklungen bestehen. Auf diesem Auge bleibt die EU-Kommission blind. Letztendlich folgt die Kommissarin einer Ideologie anstatt eines faktenbasierten Politikansatzes", befindet der VOTUM-Vorstand.
Er berichtet: "Tatsächlich hat beispielsweise die jüngst veröffentliche Studie des ifa-Instituts dargelegt, dass gerade für Kleinanleger bei einem jährlichen Sparleistungen von 2.000 Euro eine Honorarberatung kostenineffizient ist. Wenn 50 Prozent der Europäer, wie die EU-Kommission darlegt, der Meinung ist, sie habe keine Mittel, um am Kapitalmarkt zu investieren, sollte es das Ziel sein, für diese weiterhin ein provisionsbasiertes Beratungsangebot aufrechtzuerhalten."
Das Fazit des VOTUM Verbands fällt eindeutig aus: „Die Detail-Analyse des umfassenden Regelwerks wird mit kritischer Gründlichkeit geschehen. Was die EU-Kommission als vermeintliches Verbraucherinteresse erachtet, kann tatsächlich das Gegenteil bewirken. Es gilt eine Überbürokratisierung zu verhindern, die letztendlich dazu führt, dass Beratungsleistungen nur noch dem gutverdienenden Anleger angeboten werden können und der Kleinanleger auf der Strecke bleibt!“, so Klein.
Themen:
LESEN SIE AUCH
BaFin läuft sehenden Auges in Kompetenzüberschreitung
Altersvorsorgeprodukte: Wie wird der Kundennutzen gemessen?
Um eine bessere Vergleichbarkeit des Kundennutzens von Altersvorsorgeprodukte zu schaffen, läuft alles auf die Kennzahl „Value for money“ hinaus. Die Aufsichtsbehörden streben dazu massiv die Quantifizierung des Preis-Leistungsverhältnisses ab. Aber wie misst man den Kundennutzen konkret?
Retail Investment Strategy: Der Teufel steckt im Detail
Für die deutschen Versicherungsmakler ist es deutlich zu früh, sich über die Abkehr der EU-Kommissarin McGuinness von einem generellen Provisionsverbot in der EU zu freuen. VOTUM erkennt in dem Entwurf "versteckte U-Boote", die einer genauen Analyse bedürfen.
Provisionsrichtwert: BaFin-Merkblatt verfehlt seinen Zweck
VOTUM bemängelt: Der Entwurf des BaFin-Merkblatts formuliert unter dem Vorwand, den Versicherungsgesellschaften Anleitungen für ihre Produktentwicklungsprozesse zu geben, nahezu ausschließlich Vorgaben und Eingriffe in die Gestaltung der Vertriebsvergütung.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
In der Steuerung des Kreditrisikos liegt ein strategischer Hebel
Protektionismus, Handelskonflikte, geopolitische Risiken – die Unsicherheit an den Märkten bleibt hoch. Passive Kreditstrategien stoßen in diesem Umfeld schnell an ihre Grenzen. Warum gerade aktives Management und ein gezielter Umgang mit Kreditaufschlägen den Unterschied machen können, erklärt Jörg Held, Head of Portfolio Management bei Ethenea.
Mehrheit befürwortet Rüstungsinvestments – Akzeptanz steigt auch bei nachhaltigen Fonds
Private Geldanlagen in Rüstungsunternehmen polarisieren – doch laut aktueller Verivox-Umfrage kippt die Stimmung: 56 Prozent der Deutschen halten solche Investments inzwischen für legitim. Auch nachhaltige Fonds greifen vermehrt zu.
PKV-Initiative „Heal Capital 2“: Neuer Fonds, neue Investoren, neue Start-ups
Digitale Wartung, KI-Zertifizierung, stärkere europäische Vernetzung: Der PKV-Investitionsfonds Heal Capital geht mit neuer Schlagkraft an den Start – und will die digitale Versorgung nachhaltig verändern. Doch welche Start-ups profitieren zuerst?
„Was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es meistens auch“
Von unseriösen Werbeversprechen bis KI-Euphorie: Im zweiten Teil des Interviews mit Tim Grüger geht es um Trends im Daytrading, die Erwartungen von Kunden und den Kampf gegen Finanz-Fake-News. Plus: Was TradingFreaks für die Zukunft plant – und welchen Rat der Gründer Anfängern mit auf den Weg gibt.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.