Diese digitalen Umsatzsteuer-Trends erobern Europa im Sturm

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In ganz Europa unternehmen die Steuerbehörden bedeutende Schritte zur Digitalisierung der Umsatzsteuer-Erhebung. Für fast alle Handelsnationen ist die Umsatzsteuer die bei Weitem wichtigste Steuer, da sie über 30 Prozent der öffentlichen Einnahmen ausmacht. Einfach ausgedrückt: Die Umsatzsteuer macht private Unternehmen zu Steuereintreibern.

Ein Beitrag von Martin Grote, VAT Solution Principal bei Sovos

Martin Grote, VAT Solution Principal, Sovos Compliance GmbH © Sovos Compliance GmbH

Damit sind private Unternehmen traditionell für die Bewertung und Umsetzung äußerst komplexer Vorschriften verantwortlich. Sie müssen wissen, wo und in welcher Höhe Steuern zu entrichten sind. Nicht selten kommt es dabei zu Diskrepanzen zwischen den erwarteten und den tatsächlich eingenommenen Steuereinnahmen.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen hat die Schließung der Umsatzsteuerlücke – oder vielmehr der gähnenden Kluft – für europäische Steuerbehörden oberste Priorität. Aktuelle Daten zeigen, dass diese Lücke während der Pandemie gewachsen ist und EU-weit etwa 11 Prozent beträgt. Dies ist der Hauptgrund für digitale Umsatzsteuer-Reformen, die den Steuerbehörden einen deutlich besseren Einblick in die getätigten Umsätze in ihrem Hoheitsgebiet geben.

Behörden profitieren außerdem von den detaillierten, beinahe Echtzeit-Daten, die mit digitalen Umsatzsteuerreformen einhergehen. Dies kann bei der Ausarbeitung politischer Maßnahmen oder bei der Entscheidung über sehr gezielte wirtschaftliche Interventionen hilfreich sein – wie wir sie während der Pandemie erlebt haben und wahrscheinlich wieder erleben werden.

Vor diesem Hintergrund wollen wir die drei größten digitalen Umsatzsteuertrends untersuchen, die Europa aktuell im Sturm erobern.

Trend Nr. 1: Der Aufstieg der kontinuierlichen Transaktionskontrollen (CTC)

Kontinuierliche Transaktionskontrollen (Continuous Transaction Controls, CTC) verlangen von Unternehmen, dass sie Transaktionsdaten (nahezu) in Echtzeit an eine speziell für diesen Zweck entwickelte Plattform übermitteln. Dieses Konzept ist nicht neu. Es wurde bereits in den frühen 2000er Jahren in Lateinamerika eingeführt.

In Europa verlief die Einführung von CTCs allerdings aufgrund bereits bestehender Infrastrukturen für die Steuererfassung und Fortschritte bei der elektronischen Steuerprüfung langsamer als in anderen Regionen. Italien und Spanien waren in Europa die Vorreiter auf diesem Gebiet, und auch Polen und Frankreich haben vor Kurzem mit der Einführung von CTC begonnen.

Allerdings gibt es kein europäisches Standardmodell. Jede Steuerbehörde kann gemäß den EU-Vorschriften ihr eigenes System einführen, sodass es zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten große Unterschiede in der Steuererfassung geben kann. Das vierstufige Prinzip bleibt jedoch im Kern immer dasselbe:

  1. Der Prozess beginnt damit, dass der Lieferant die Rechnung in einem bestimmten Format an die Steuerbehörden oder an zugelassene staatliche Vertreter übermittelt. Dies beinhaltet in der Regel eine Form der Authentifizierung des Lieferanten und eine Integritätskontrolle der Rechnungsdaten. Die Steuerverwaltung kann entweder einen Genehmigungscode zurückschicken oder die Rechnung direkt an den Käufer senden.
  2. Die Rechnung wird dem Käufer auf eine gesetzlich vorgeschriebene oder zulässige Art und Weise zugesandt.
  3. Nach Erhalt der Rechnung vom Lieferanten ist der Käufer häufig dazu verpflichtet oder aufgefordert eine abschließende Compliance-Prüfung vorzunehmen. Sendet die Steuerverwaltungsplattform die Rechnung an den Käufer, ist die formale Übereinstimmung der Rechnung implizit.
  4. Wenn Schritt 3 durchgeführt wird, gibt die Steuerbehörde oder der staatliche Vertreter ihre Genehmigung oder sie lehnen die Rechnung ab.

Bedenkt man die aktuellen politischen Bemühungen für mehr digitale Transformation in der europäischen Wirtschaft, kann man davon ausgehen, dass in den kommenden Jahren immer mehr Länder CTCs einführen werden.

Trend Nr. 2: SAF-T wird immer wichtiger

SAF-T ist ein internationaler Standard für die elektronische Meldung von Buchhaltungsdaten von Unternehmen an Steuerbehörden oder externe Prüfer.

SAF-T ist auch nichts Neues. Der OECD-Ausschuss für fiskalische Angelegenheiten (CFA) hat den Standard bereits im Jahr 2005 entwickelt. Was jedoch die Aufnahme in diese Liste rechtfertigt, ist die Tatsache, dass weitere europäische Länder den Standard einführen – Rumänien und Ungarn im Jahr 2022. Es ist wahrscheinlich, dass der Trend hin zu „Big Data“-Technologien diese jüngste SAF-T-Revolution ausgelöst hat.

SAF-T verbessert die Art und Weise, wie Steuerverwaltungen sowohl direkte als auch indirekte Steuern prüfen. Damit entfällt für die Steuerbehörden die Notwendigkeit, Unternehmen direkt aufzusuchen, um umfangreiche Unternehmensdaten physisch zu extrahieren und zu prüfen. Stattdessen wird von den Unternehmen erwartet, dass sie die Daten in einem standardisierten, maschinell auswertbaren Format mit detaillierten Transaktionsinformationen und nicht mit aggregierten Daten vorlegen.

Die SAF-T-Richtlinie ist absichtlich flexibel gehalten, sodass die Regierungen der einzelnen Länder sie frei an ihre Prüfsysteme anpassen oder als Grundlage für vorausgefüllte Steuererklärungen verwenden können. Die Flexibilität erstreckt sich auch auf das Datenformat und die Art der Datenoffenlegung.

Trend Nr. 3: Rationalisierung der Lieferkette

Um Kosten zu senken und Abläufe zu rationalisieren, setzen immer mehr Unternehmen auf die Globalisierung und Automatisierung der Lieferkette. Dabei übersehen viele jedoch die Auswirkungen indirekter Steuern wie der Umsatzsteuer. Diese Steuern werden von allen Ländern erhoben, in denen sie tätig sind.

Die überwiegende Mehrheit der Länder erhebt eine Form der Umsatzsteuer, und jedes Land hat seine eigenen Regeln für die Einhaltung und Berichterstattung. Die Umsatzsteuer wird auf jeder Stufe der Lieferkette erhoben und ist in der Regel auf alle Waren und Dienstleistungen fällig.

Richtig angewendet, sollte sie für die meisten Unternehmen kostenneutral sein. In der EU wird die Umsatzsteuer auf vier Arten von Transaktionen erhoben: Lieferung von Gütern, Erbringung von Dienstleistungen, innergemeinschaftlicher Erwerb von Gütern und Einfuhr von Gütern.

Unternehmen müssen bei der Ausarbeitung ihrer Lieferkettenstrategie die Auswirkungen der Umsatzsteuer-Compliance berücksichtigen. Wird diese nämlich ignoriert kann dies schwerwiegenden Folgen für den Betrieb und den Cashflow eines Unternehmens haben.

Wir haben es unter anderem der zunehmenden Digitalisierung im Umsatzsteuer-Reporting zu verdanken, dass sich die EU-Kommission verstärkt auf die Behebung von Fehlern innerhalb der Lieferkette und auf die Bekämpfung von Betrug konzentriert.

Ein Beispiel dafür sind die von der Europäischen Kommission eingeführten „2020 Quick Fixes“-Vorschriften. Damit werden einige der Probleme im Kontext der uneinheitlichen Anwendung der bestehenden Vorschriften angegangen – einschließlich des Transportnachweises, der für die Umsatzsteuer-Befreiung für Lieferungen innerhalb der EU erforderlich ist.

Was bedeuten diese Trends für multinationale Unternehmen?

Da viele Steuerbehörden Änderungen in Bezug auf die Einhaltung der Umsatzsteuer-Vorschriften und die Berichterstattung vornehmen werden, ist der vor ihnen liegende Weg für multinationale Unternehmen mit Unsicherheit behaftet. Dies gilt auch für EU-Unternehmen, die innerhalb der EU-Handel betreiben.

Unternehmen sollten jetzt daran arbeiten, ihre internen Prozesse und Organisationsstrukturen für Compliance und Reporting von Steuern zu digitalisieren. Dies ist der beste Weg, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Über den Autor

Martin Grote kam durch die Übernahme von TLI Consulting zu Sovos. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung von Kunden bei der Optimierung von Umsatzsteuerprozessen und der Umsetzung von Umsatzsteueranforderungen in IT-Systemen. Bevor er TLI Consulting gründete, war Martin Grote viele Jahre als Berater bei PricewaterhouseCoopers tätig. Er spezialisierte sich auf die Umsatzsteuerberatung in Verbindung mit SAP und die Entwicklung von Softwareanwendungen zur Unterstützung der häufigsten Aufgaben rund um die Umsatzsteuer. Darüber hinaus hält Martin Seminare zum Thema Umsatzsteuer-Management, Umsatzsteuer und SAP und ist Mitautor des Buches Umsatzsteuer in SAP ERP.

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