Berufsunfähig durch die Angst vor Corona?

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Wenn berufsbedingt eine erhebliche Gefahr der Erkrankung an „Corona“ besteht, kann dann aus Angst vor Corona schon eine Berufsunfähigkeit geltend gemacht werden? Das Landgericht Münster hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Angst vor einer „Coronainfektion“ zu Berufsunfähigkeit führen kann.

Ein Beitrag von Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte

Kathrin Pagel, Rechtsanwältin, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft

Der Kläger hatte aus Angst vor Corona seine berufliche Tätigkeit eingestellt und Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung geltend gemacht. Aufgrund einer bei ihm festgestellten Lungenerkrankung war ihm mitgeteilt worden, er sei ein Risikopatient. Das bedeute, so wurde ihm erklärt, er habe ein erhöhtes Risiko für Komplikationen im Falle einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2.

Seine berufliche Tätigkeit übte der Kläger bei einer Bank als Immobilienbesichtiger aus. Als solcher hatte er von einem 8-Stunden-Tag anteilig etwa 5,5 Stunden am Tag mit Kunden Besichtigungstermine hauptsächlich in Wohngebäuden wahrzunehmen. Bei dieser Tätigkeit wäre es ihm, so der Kläger, trotz Einhaltung der bekannten Vorsichtsmaßnahmen, wie Abstandsregelungen, nicht möglich, nach gewisser Zeit die Ansammlung von Aerosolen zu vermeiden.

Der Kläger wurde daraufhin wegen der Corona-Risiken arbeitsunfähig krankgeschrieben. Da das Risiko einer Erkrankung an Corona auf nicht absehbare Zeit, also dauernd bestand, meinte der Kläger, er sei berufsunfähig und beantragte Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Nach den zum Vertrag vereinbarten Versicherungsbedingungen liegt Berufsunfähigkeit vor,

„wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 Prozent außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.“

Diese Definition der Berufsunfähigkeit war somit der Beurteilung zugrunde zu legen. Unstreitig bestand eine gesundheitliche Vorbelastung durch die Lungenerkrankung. Im Falle einer Infektion könnte für den Kläger auch die Gefahr des besonders schweren Verlaufs der Erkrankung bestehen. Zur Vermeidung dieses Risikos hatte der Kläger auch seine berufliche Tätigkeit eingestellt.

Allerdings war der Kläger selbst zu diesem Zeitpunkt nicht an Corona erkrankt, das heißt er litt nicht unter einer SARS-CoV-2 Infektion oder deren Folgen. Auch Corona-Spätfolgen, ein sogenanntes Long-Covid-Syndrom, war nicht die Begründung für die Annahme einer Berufsunfähigkeit. Vielmehr berief sich der Kläger ausschließlich darauf, dass er besondere gesundheitliche Risiken seines Berufs vermeiden wolle.

Entscheidung des LG Münster

Aber bloße Gesundheitsrisiken, denen ein Versicherter in seinem Beruf ausgesetzt ist, führen nicht stets zu Berufsunfähigkeit. Das bloße Risiko, wegen einer künftigen möglicherweise eintretenden Erkrankung berufsunfähig zu werden, sei in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht versichert, so das Landgericht Münster (08.04.2021 – 115 O 150/20).

Voraussetzung ist darüber hinaus, dass besondere Umstände vorliegen, die eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.07.2012, BGH Aktenzeichen IV ZR 5/11; juris – für den Fall einer durch Medikamenteneinnahme indizierten Gesundheitsbeeinträchtigung). Ein solches besonderes Gesundheitsrisiko hatte das Landgericht Münster bei dem Kläger jedoch nicht gesehen, gleichwohl aber bestätigt, dass Berufsunfähigkeit im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung grundsätzlich denkbar wäre.

Voraussetzung dafür sei jedoch ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren, der beispielsweise dann bestehen kann, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Infektionsrisiko bezüglich einer Covid-19-Erkrankung in einem Bereich tätig sei, in dem er in besonderem Umfang mit Covid-19-Erkrankten in Kontakt komme (zum Beispiel bei Tätigkeit auf einer entsprechenden Station im Krankenhaus), so das Landgericht Münster.

Eine besondere Gefährdung im Falle des Immobilienbesichtigers wurde durch das Landgericht Münster verneint. Nach der Empfehlung im Arztbrief könne die Infektionsgefahr durch Einhaltung der Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln, Tragen von FFP-2-Masken und Sorge für ausreichende Belüftung in zu besichtigenden Räumlichkeiten herabgesetzt werden, so das Gericht. Weil mit gängigen Maßnahmen der Infektionsgefahr entgegengewirkt werden könne, würde die Gefahr am Arbeitsplatz das allgemeine Lebensrisiko nicht übersteigen.

Will man demnach annehmen, dass sich der Versicherungsnehmer bei Ausübung seines Berufs einem relevanten Risiko mit Gesundheitsgefährdung aussetzt, muss sich dieses Risiko erst konkretisieren, das heißt das allgemeine Lebensrisiko übersteigen.

In einem anderen vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Dachdecker eine besondere Gefahr bei der Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten gesehen, weil ein Sturz schwere Folgen für ihn haben könnte. Der BGH hatte auch hier eine besondere Gefährdungslage verneint. Danach seien trotz Medikamenteneinnahme Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten grundsätzlich ohne eine besondere Gefährdung zumutbar, so der BGH.

Besonders schwerwiegende gesundheitliche Schäden würden in einer solchen Situation nämlich nur dann drohen, wenn eine hinreichend konkrete Gefahr eines Unfalleintritts bestünde. Dieser Gefahr könnte man aber mit gebotenen Unfallverhütungsmaßnahmen in aller Regel entgegenwirken. Eine nur allgemeine Gefahr, dass der Versicherte auch bei gewöhnlichen Stürzen, wie etwa beim Gehen oder etwa Anstoßen des Kopfes an einem harten Gegenstand innere Blutungen mit schwerwiegenden Folgen erleiden könne, sei dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen, so der BGH in seinem Hinweisbeschluss vom 11.7.2012– IV ZR 5/11.

Der Immobilienbesichtiger hatte sich gerade nicht auf psychische Folgen seiner Ängste vor einer Coronaerkrankung, also nicht auf eine psychische Erkrankung berufen. Derartige schwerwiegendere Erkrankungen, also Angststörungen und andere psychische Störungen, wären grundsätzlich als Auslöser für eine Berufsunfähigkeit in anderen Fällen denkbar. Es ist bekannt, dass psychische Erkrankungen als Folge der Pandemielage und damit in Verbindung stehende Ängste zunehmen und sich auch auf die berufliche Tätigkeit von Versicherungsnehmern in vielen Bereichen auswirken.

Fazit

Allein die gegebenenfalls sogar berechtigte Angst vor einer Erkrankung und die Tatsache, dass der Versicherte ein Risikopatient ist, führt für sich allein nicht zu einer Unzumutbarkeit der weiteren Berufsausübung. Es muss zudem eine das allgemeine Lebensrisiko übersteigende konkretisierte Gefahr festzustellen sein, die als spezifisches Berufsrisiko gegeben ist. Ob ein solcher Fall gegeben ist, muss jeweils im Einzelfall betrachtet werden.

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