Betriebsschließungsversicherung in der Covid-19-Pandemie: BGH-Urteil vom 26.01.2022

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Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski und Rechtsanwalt Boris-Jonas Glameyer haben sich mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Betriebsschließungsversicherung auseinandergesetzt. Lesen Sie nachfolgend die Grundlagen der BGH-Entscheidung, die rechtliche Würdigung sowie unsere kritischen Anmerkungen zu dem Urteil vom 26. Januar 2022.

I. Urteil vom 26.01.2022[1]

Dr. Hans-Peter Schwintowski

1. Der Sachverhalt

Am 26.01.2022 hat der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH entschieden, dass ein VN auf der Grundlage der vereinbarten Versicherungsbedingungen keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie erfolgten Schließung, der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein, zustehen.
Der VN war bei der AXA versichert. Die Zusatzbedingungen für die Betriebsschließung (ZBSV 08) lauteten auszugsweise:

„Versicherte Gefahren:
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz—IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr.2).
a) den versicherten Betrieb… schließt

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6, 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten: (unter anderem: virusbedingte hämorrhagische Fieber; Milzbrand; Tollwut; der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen gesundheitlichen Schädigung; die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers …)
b) Krankheitserreger: (unter anderem: Borrelia recurrentis; FSME-Virus; Gelbfiebervirus, Echinococcus sp.; Plasmodium sp.; Campylobacter sp.; Legionella sp.; salmonella, sonstige …)“

Das Coronavirus (Covid-19) oder auch Abarten davon (Sars-CoV oder Sars-CoV-2) waren nicht in der Liste aufgeführt.

Boris-Jonas Glameyer, Rechtsanwalt, Anwaltskanzlei Glameyer

2. Gründe

Der BGH stellte zunächst klar, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden (intrinsischen) Infektionsgefahr voraussetzt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde sich zunächst am Wortlaut orientieren und in § 2 Nr.1 ZBSV 08 dem Zusatz „siehe Nr.2“ entnehmen, dass die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr.2 ZBSV 08 näher bestimmt werden würden. Sodann werde er diese Klausel in den Blick nehmen und unter der Überschrift meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolge. Die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern werde er als abschließend erachten. Daran ändere auch der Begriff „namentlich“ nichts. Auch der erkennbare Zweck- und Sinnzusammenhang der Klausel spreche für die Abgeschlossenheit des Katalogs.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen wolle, die –wie Covid-19 / Sars Cov-2 gerade zeige – unter Umständen erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulationen möglich sei. Aus diesen Gründen halte die Klausel auch eine Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 Abs.1., 2. BGB stand.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnehme dem klaren Wortlaut der Bedingungen, dass die in § 2 Nr.2 ZBSV 08 meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert worden seien. Ihm werde durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz umfasst sei. Deswegen könne auch offenbleiben, ob die in § 2 Nr.2 ZBSV 08 genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6, 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger seien. Insgesamt benachteilige die Klausel den Versicherungsnehmer nicht unangemessen.

II. Das Argument der Abgeschlossenheit des Katalogs

Zentrales Argument für den BGH ist der Gedanke, die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in den AVB sei abschließend. Damit weicht der BGH in einem wichtigen Punkt von der Argumentation einiger Instanzgerichte[2] ab. Das OLG Stuttgart etwa erwartet vom durchschnittlichen VN, dass er den Katalog der meldepflichtigen Krankheiten in den AVB mit dem jeweiligen Infektionsschutzgesetz vergleicht.

Dies erwartet der BGH vom verständigen VN nicht. Der BGH geht davon aus, dass in den vereinbarten AVB ein bestimmter Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger benannt sind. Dieser Katalog sei, so der BGH, für den verständigen VN maßgeblich. Er beschreibe den Versicherungsumfang, ganz gleichgültig, ob das IfSG weitere oder weniger Krankheiten oder Krankheitserreger im Zeitablauf enthalte. Deshalb so der BGH, spiele es auch keine Rolle, ob der Katalog, der in den AVB genannten Krankheiten/Krankheitserreger mit dem jeweils geltenden IfSG im Zeitpunkt des Vertrags übereinstimmend gewesen sei.

Der in den AVB abgedruckte Katalog der Krankheit/Krankheitserreger sei, so der BGH, sowohl für den verständigen VN maßgeblich wie auch für den Versicherer, für den wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos sonst keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich sei.

III. Offene Fragen

Diese auf den ersten Blick nachvollziehbare Begründung trägt allerdings dann und nur dann, wenn der Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger dem verständigen VN eine klare und eindeutige Leistungsbeschreibung gibt und wenn die dort beschriebenen Krankheiten und Krankheitserreger ihrerseits in sich abschließend und nicht etwa offen und dynamisch für weitere, nicht ausdrücklich genannte Krankheiten und Krankheitserreger sind. Ein etwas genauerer Blick in den Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger zeigt aber, dass dieser Katalog keineswegs in sich starr, sondern im Gegenteil offen und dynamisch für weitere Krankheiten und Krankheitserreger ist.

Tatsächlich ist dieser Katalog im Grunde für eine Betriebsschließungsversicherung völlig irreführend, weil eine Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserreger genannt und bezeichnet werden, die gar nicht zu einer Betriebsschließung führen können, bei denen der Katalog also leerläuft[3]. Nur einige könnten tatsächlich eine Betriebsschließung auslösen. Und oft nur dann, wenn es sich um Krankheiten oder Krankheitserreger handelt, die namentlich, so wie in der Liste aufgeführt, gar nicht vorkommen.
Aus der Gesamtliste der Krankheiten und Krankheitserreger sollen einige wenige herausgegriffen werden, um exemplarisch zu zeigen, warum die Annahme des BGH, der Katalog beschreibe für den verständigen VN den Leistungsumfang abschließend, nicht zutreffen kann.

IV. Genauerer Blick auf den Katalog der Krankheiten und Krankheitserreger—Auswahl

Zunächst fällt auf, dass es unter den Aufgezählten eine ganze Reihe von Krankheiten und Krankheitserreger gibt, bei denen eine Betriebsschließung praktisch ausgeschlossen ist, bei denen der Versicherungsschutz also leerläuft. Dazu gehört zum Beispiel das „virusbedingte hämorrhagische Fieber“ das größtenteils durch Viren verschiedener Tropenkrankheiten ausgelöst wird, beispielsweise dem durch Stechmücken übertragenen Gelbfieber- oder Denguefiebervirus.

Auch dazu gehört die Krankheit „Milzbrand“, die nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist, sondern in selten Fällen in Form einer Zoonose von Paarhufern auf den Menschen übertragen wird sowie die „Tollwut“, die fast ausnahmslos durch den Biss eines tollwutinfizierten Tieres übertragen wird.

Darüber hinaus wird Deckungsschutz aufgrund der behördlichen Betriebsschließung auf Grundlage des IfSG innerhalb des Kataloges für den „Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung“ gewährt und zudem für „die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“

All diese Krankheiten können natürlich vorkommen, aber ihnen wohnt nicht das Potenzial einer Betriebsschließung inne. Anders formuliert: eine ganze Reihe der im Katalog genannten Krankheiten können den Versicherungsfall ihrer Natur nach gar nicht auslösen; sie führen den Versicherungsnehmer also letztlich in die Irre und täuschen einen Versicherungsumfang vor der nicht existiert.

Das gilt weiter auch für eine Reihe von Krankheitserregern, wie etwa dem Bakterium „Borrelia recurrentis“, welches von Kleiderläusen auf den Menschen übertragen wird und bei ihm das Läuserückfallfieber auslöst oder dem „FSME-Virus“, der durch einen Zeckenstich auf den Menschen übertragen wird. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch findet auch hier nicht statt.

Gleiches gilt für das „Gelbfiebervirus“, übertragen durch Stechmücken oder für den Hundebandwurm aus der Gattung „Echinococcus sp.“. Entsprechendes gilt für die allermeisten „Plasmodium sp.“ -Erreger zu denen auch die Malariaerkrankung gehört.

Aus alldem folgt zunächst einmal, dass der verständige VN, der einen Blick auf den Katalog der Krankheiten und Krankheitserreger wirft, auf keinen Fall abschließend erfährt, welche Krankheiten und Krankheitserreger möglicherweise eine Schließung seines Betriebes auslösen könnten, für welche er also sinnvollerweise Versicherungsschutz benötigt. Ein Großteil der genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind jedenfalls strukturell nicht in der Lage zu einer Betriebsschließung zu führen. Daraus resultiert die Rechtsfrage, wieso die Leistungsbeschreibung in der Betriebsschließungsversicherung mit einem Katalog gekoppelt wird, der letztlich eine Vielzahl von Sachverhalten umfasst, die gar keine Betriebsschließung bewirken können. Insoweit besteht kein Haftungsrisiko für den Versicherer.

Es bedarf keiner Prämienkalkulation, aber es bedarf einer Klarstellung, dass eine Vielzahl der im Katalog genannten Krankheiten und Krankheitserreger gar kein Betriebsschließungsrisiko bewirken.

Darüber hinaus ist eine Reihe von Fällen gelistet, bei denen es eine Vielzahl von Krankheitserregern gibt, ohne dass der Katalog beschreibt, welche davon tatsächlich versichert sind. Dazu gehört beispielsweise der bakterielle Erreger „Campylobacter sp.“. Um zu verstehen zu geben, dass es verschiedene Arten der Gattung Campylobacter gibt, steht hinter dem Gattungsnamen die Abkürzung „sp.“. Mit dieser wird in der Medizin der Gattungsname für eine nicht näher bezeichnete Spezies innerhalb der biologischen Taxonomie bezeichnet. Dies trifft auch bei noch nicht hinreichend beschriebenen Arten zu. Der verständige VN kann somit gar nicht erkennen, welche dieser Erreger genau versichert sind. Da das Kürzel sp. verwendet wird, kann die Aufzählung notwendigerweise nur beispielhaft und keinesfalls abschließend sein. Auch der Versicherer kann nicht wissen welche Erreger er genau zukünftig versichert. Es ist möglich, dass innerhalb der jeweiligen Gattung weitere Spezies entdeckt werden und hinzutreten. Diese sind nach der Logik des Katalogs automatisch mitversichert, das heißt, der Katalog ist, im Gegensatz zur Einschätzung des BGH, auf keinen Fall abgeschlossen, sondern notwendigerweise dynamisch.

Dies zeigt sich etwa auch anhand der „Legionella sp.“. Legionellen sind gramnegative aerobe Bakterien. Derzeit sind über 60 Arten bekannt, die mindestens 79 verschiedene Serogruppen umfassen. Welche dieser 60 Arten nun versichert sind und welche möglicherweise in Zukunft hinzutreten, ist völlig offen – das kann der verständige VN dem Katalog nicht entnehmen. Der Katalog kann somit nur dynamisch gemeint sein.

Gleiches gilt auch für „Salmonella, sonstige“. Derzeit sind ca. 2500 Serovare bekannt, die eine Gattung mit den beiden Arten Salmonella enterica und Salmonella bongori bilden. Welche der vielen Erreger, die in die Gattung Salmonellen fallen, sind vom Katalog erfasst und welche nicht?

Die Liste der Beispiele könnte fast unendlich fortgesetzt werden. Sie zeigt, dass der angeblich abschließende Katalog der Krankheiten und Krankheitserreger in Wirklichkeit nicht abschließend ist und auch nicht abschließend sein kann, weil Gattungsbezeichnungen verwendet werden und weil die Medizin permanent neue Spezies entdeckt und Gattungen hinzufügt. In späteren Fassungen zunehmend, befinden sich jedoch bereits in der Fassung des IfSG aus dem Jahre 2000 schon sechs Erreger mit dem Zusatz „sp.“ sowie zwei weitere Erreger mit dem Zusatz „sonstige“ oder „andere“.

Wenn die Medizin selbst nicht in der Lage ist zu sagen, welche Erreger tatsächlich zu der bezeichneten Spezies gehören, dann kann auch weder der Versicherer, noch der verständige VN absehen, welche Erreger genau versichert sind. Die Aufzählung kann daher nur beispielhaft und nicht abschließend sein.

Davon geht auch das IfSG selbst aus, denn nach § 6 Abs.1 Nr.5 IfSG ist auch der Verdacht einer Krankheit, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist, zu melden. Das gleiche gilt mit Blick auf Krankheitserreger nach § 7 Abs.2 IfSG, wenn Hinweise auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit bestehen. Genauso war und ist es mit Blick auf Covid.19 bzw. Sars-CoV-2. Diese Erkrankungen sind somit nach dem Katalog, auf den die AVB Bezug nehmen, umfasst.

Das ist auch sachlogisch, denn der Infektionsschutz, der vom IfSG angestrebt wird, kann nur dann angemessen und sinnvoll geleistet werden, wenn nicht nur bekannte Krankheiten und Erreger gemeldet werden, sondern auch solche, die neu entstehen, bei denen also der Verdacht einer Erkrankung, die meldepflichtig ist, naheliegt und bei denen Hinweise auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit bestehen. Letzteres war und ist mit Blick auf Covid-19 und Sars-CoV-2 der Fall.

Im Ergebnis heißt dies, dass ein Versicherer, der in seinen AVB auf den Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem IfSG verweist, damit notwendigerweise auf alle Krankheiten und Krankheitserreger verweist, die möglicherweise in Zukunft meldepflichtig werden und/oder eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, und zu einer Betriebsschließung führen. Diese Dynamik ist dem Katalog der Krankheiten/Krankheitserreger nach den §§ 6, 7 IfSG immanent und zwar deshalb, weil das IfSG seinem Zweck nach für einen Infektionsschutz der Gesamtbevölkerung auch dann sorgen muss und will, wenn Krankheiten oder Erreger neu auftreten und gefährlich sind. Beim Infektionsschutzgesetz (früher Bundesseuchengesetz) handelt es sich um ein Gesetz zur Verhinderung und Bekämpfung von Epidemien und Pandemien, nicht um ein Betriebsschließungsgesetz.

Ein Versicherer, der bewusst zur Bestimmung des Versicherungsumfanges auf den Katalog dieses zur Pandemiebekämpfung geschaffenen Gesetzes Bezug nimmt, kann dem verständigen VN die Gesamtheit aller versicherten Krankheiten und Krankheitserreger deshalb ebenso wenig vor Augen führen, wie es das IfSG kann. Denn weder der Gesetzgeber, noch der Versicherer können in die Zukunft schauen. Niemand weiß, welche Krankheiten und Krankheitserreger in Zukunft meldepflichtig und für die Infektionslage in Deutschland relevant sein können.

Ein Versicherer, der seinen Versicherungsschutz für die Betriebsschließung an den Katalog des IfSG knüpft, tut dies in dem Wissen, dass dieser Katalog nicht abschließend und nicht endgültig, sondern dynamisch und in Bewegung ist. Seine Botschaft an den verständigen VN ist, dass Betriebsschließungen nach dem IfSG versichert sind. Voraussetzung ist, dass es sich um meldepflichtige Krankheiten nach dem IfSG, oder um Erreger handelt, die eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Offen bleibt, ob es sich dabei um bekannte oder um neue Krankheiten/Erreger handelt. Versicherungsschutz besteht, wenn aufgrund solcher Krankheiten oder Erreger der Betrieb behördlich geschlossen werden muss. Dabei ist es gleichgültig, ob die Krankheit oder der Erreger im Betrieb aufgetreten ist, oder ob die Betriebsschließung letztlich eine schützende Präventionsmaßnahme darstellt.

V. Keine Kalkulationsprobleme

Ein Versicherer, der für zukünftige, teilweise unbekannte, dynamische Entwicklungen Versicherungsschutz gewährt, kann und darf dies tun. Typisches Beispiel aus der Versicherungstechnik sind die All-Risk-Deckungen, die in der Sach-, aber auch der Betriebsunterbrechungsversicherung üblich und gebräuchlich sind. Auch in der Haftpflichtversicherung wird regelmäßig geleistet, wenn sich Haftpflichtgefahren verwirklichen, die es möglicherweise aufgrund des technischen Fortschritts in den vergangenen Jahren nicht gab. Entscheidend ist nur, dass die Haftung auf gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts beruht.

So entstehen derzeit durch die Digitalisierung permanent neue Haftpflichtgefahren, von denen ein Versicherer bei Abschluss des Vertrages möglicherweise gar nichts wissen konnte. Umgekehrt verringern sich Haftpflichtgefahren, etwa wenn neue feuerfeste Gebäudedämmungen dazu führen, dass die Gefahr eines Brandes nahezu ausgeschlossen werden kann.

Aus der Perspektive der Versicherungstechnik ist es kein Problem dynamische, sich entwickelnde und verändernde Risiken angemessen zu kalkulieren. Entscheidend ist die Länge des jeweiligen Kalkulationszeitraums, die Größe der Gruppe, auf die die Risiken – nach dem Gesetz der großen Zahl- verteilt werden und die Verwendung angemessener und zutreffender Wahrscheinlichkeitskoeffizienten, etwa im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation oder einer Berechnung nach dem Value-At-Risk-Ansatz. Auf der Grundlage der Erfahrungen aus der Versicherungstechnik, einschließlich der Versicherungsmathematik und der ergänzenden Wahrscheinlichkeitstheorien, können Versicherer neue Märkte (zum Beispiel Cyber-Märkte) betreten und damit auch Risiken zeichnen, für die sie noch keine verlässlichen (vergangenheitsbezogenen) Schadenstatistiken vorhalten, wie sie dies zum Beispiel im Bereich der Cyber-Risk-Versicherungen auch ganz bewusst tun. Das alles ist Handwerkszeug eines guten Versicherungsaktuars.

Richtig ist, dass dabei Fehler geschehen können, die sich aber durch neue Erfahrungen relativieren und korrigieren lassen. Genauso ist es auch mit Blick auf die Betriebsschließungsversicherungen. In der Vergangenheit sind Betriebsschließungen aufgrund der pandemischen Lage, die Corona verursacht hat, nicht üblich gewesen. Deshalb wissen wir heute, dass die Prämien für die Betriebsschließungsversicherung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu niedrig kalkuliert waren. Dies ändert aber nichts daran, dass der Spartenausgleich in der gesamten Kompositversicherung trotz der Betriebsschließungsrisiken ohne Probleme in den Jahren 2020/21/22 erfolgen konnte. Die durchschnittlichen Gewinne der Kompositversicherer lagen weit oberhalb der zu erwartenden Schadenszahlungen für Betriebsschließungen in Deutschland und der Welt.

Abgesehen davon darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich bei vielen der heutigen Versicherungskonzerne nicht mehr um eine klassische Versichertengemeinschaft früherer Prägung handelt, sondern um gewinnorientierte Großkonzerne deren erwirtschaftete Milliardenüberschüsse keinesfalls der Versichertengemeinschaft oder gar dem Versicherungsnehmer über entsprechende Prämienanpassungen zugutekommen, sondern ausschließlich den Gesellschaftern und Aktionären der Konzerne. Auch unter diesem Gesichtspunkt mutet die Argumentation des BGH in Bezug auf die Prämienkalkulation – die der VN im Übrigen weder kennt noch nachvollziehen kann – doch etwas antiquiert an.

Nicht zuletzt muss gesehen werden, dass die Versicherer, wenn sie Pandemierisiken hätten ausschließen wollen, dies ja unproblematisch hätte tun können, wie sie es seit Jahren im Bereich der Reiseversicherungen tun.

VI. Gesamtergebnis

1. Die Annahme des BGH, der Katalog der Krankheiten/Krankheitserreger nach dem IfSG, der in den AVB abgedruckt war, sei abschließend, erweist sich als fehlerhaft. Tatsächlich ist der Katalog – medizinisch notwendig – dynamisch und umfasst deshalb auch Covid-19/Sars-CoV-2.

2. Selbst, wenn man dies nicht so sehen wollte, wäre die Klausel mit der dann als abschließend betrachteten Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger jedenfalls intransparent, da dem VN ein Umfang des Versicherungsschutzes vorgetäuscht würde der in tatsächlicher Hinsicht so gar nicht existiert. Die Klausel wäre wegen ihrer Intransparenz gem. § 307 I S. 2 BGB unwirksam.

Bild (2): © Dr. Hans-Peter Schwintowski (3): © Anwaltskanzlei Glameyer