Schwarzbuch Börse 2021

Der ganz große Skandal ist im Jahr 2021 ausgeblieben. Dennoch bot das Börsenjahr genügend Stoff für das alljährliche Schwarzbuch. Neben den Erkenntnissen aus der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals zeigt sich anhand von vielen Beispielen, wie dem Krypto-Hype und der Diskussion rund um die Einschränkung der Aktionärsrechte im Zuge der Einführung der virtuellen Hauptversammlung, dass der Risikoappetit bei Wirtschaftsprüfern, Politikern und Anlegern ein ungesundes Maß erreicht hat.

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Das Versagen von EY

Die Aufarbeitung der historischen Wirecard-Insolvenz kam im Jahr 2021 dank der sehr guten Arbeit der Mitglieder eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags entscheidende Schritte voran. Neben dem wenig ruhmreichen Wirken von Behörden wie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und der Staatsanwaltschaft München I im Zusammenhang mit der bisher einzigen Insolvenz eines DAX-Unternehmens zeigten sich vor allem gravierende Mängel in der Arbeit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY.

Diese hatte zuvor zehn Jahre lang die Abschlüsse der Wirecard AG geprüft und der Gesellschaft stets ein uneingeschränktes Testat erteilt. Und dies, obwohl seit 2015 die Financial Times und deutsche Wirtschaftsmagazine stetig kritische Punkte vor allem in Bezug auf das Asiengeschäft der Gesellschaft beleuchteten und Wirecard auf zahlreiche Kritikpunkte keinerlei nachvollziehbare Erklärungen liefern konnte.

Wie der vom Untersuchungsausschuss eingesetzte Sonderermittler Martin Wambach feststellte, zeigten sich „Ansatzpunkte, dass der Abschlussprüfer die Vorgaben der Prüfungsstandards des IDW im Bereich der Prüfungsplanung und -durchführung nicht vollumfänglich umgesetzt hat“. Für eine der führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften weltweit ein vernichtendes Zeugnis.

Die WirtschaftsWoche-Journalisten Melanie Bergermann und Volker ter Haseborg, Autoren des Buchs „Die Wirecard-Story“, haben für das Schwarzbuch Börse die zentralen Punkte der Verfehlungen von EY rund um einen Hobby-Kneipier, der als Treuhänder für Gelder der Wirecard in Asien fungierte, zusammengefasst. Die Frage, wieso EY bei Wirecard ein jahrzehntlang wegschaute und damit für sich selbst ein existenzgefährdendes Risiko einging, bleibt bis heute jedoch ungeklärt.

Krypto-Hype erfasst auch die Börsen

Während das Thema elektronisches Bezahlen an der Börse durch die Pleite von Wirecard zumindest hierzulande (leider) kaum noch ein Thema ist, hat im zurückliegenden Jahr der Hype rund um digitale Währungen die Privatanleger erfasst. Neben der direkten Investition in mehr oder weniger seriöse Coins haben auch einige börsennotierte Gesellschaften das Geschäftsfeld für sich entdeckt. Besonders auffällig ist dabei die Northern Data AG.

Die Gesellschaft fiel nicht nur durch die verspätete Publikation der Geschäftszahlen auf, die auch noch deutlich unter der ursprünglichen Prognose lagen, sondern auch durch zahlreiche dubiose Übernahmen. Mit dubiosen Übernahmen machte auch Wirecard regelmäßig Schlagzeilen. Die Kleinaktionäre scheint das aber nicht weiter zu stören: Dank des generellen Risikohungers notiert die Aktie fast doppelt so hoch wie zum Vorjahreszeitpunkt. Ein heißer Tanz auf dem Vulkan, den die Kleinaktionäre hier wagen.

Virtuelle HV: Auch die Politik liebt das Risiko

Während Dieselskandal, Bankenpleiten und der Wirecard-Skandal in dem zurückliegenden Jahrzehnt Anlegern und den Fiskus viel Geld und Nerven gekostet hat, scheinen unsere Politiker aber dennoch weiterhin sehr risikofreudig zu sein. Anstatt die Kontrolle börsennotierter Gesellschaften durch die Eigentümer zu forcieren, hat man deren Rechte im Zuge der Einführung der virtuellen Hauptversammlung deutlich zurückgeschraubt.

Das nutzen natürlich gerade diejenigen Unternehmen, denen man besonders viele Fragen stellen müsste. Bei der virtuellen Hauptversammlung der Munich Brand Hub AG, in der über eine Kapitalerhöhung von 500.000 Aktien auf über 45 Mio. Aktien (!) entschieden wurde, war nicht einmal ein einziges Organmitglied anwesend. Die CureVac NV hat, trotz Impfstoffdesaster, in der regulären Hauptversammlung schon gar keine Fragen der Aktionäre mehr beantwortet.

IPO-Zitrone für abgestürzte Rakete

Anfang Februar war die Aktie der AUTO1 GROUP SE, dem Betreiber von digitalen Plattformen für den Gebrauchtwagenhandel, fulminant an der Börse gestartet. Am ersten Handelstag lag die Aktie mit Kursen um die 55 Euro deutlich über dem Emissionskurs von 38 Euro. Die Party sollte aber ein sehr schnelles Ende finden. Und der Kurs der Aktie kennt seitdem nur noch den Weg gen Süden. Ursächlich hierfür dürfte auch ein Vertrauensverlust sein. Denn die Konsortialbanken unter der Führung von Goldman Sachs hatten im Juni die Lock-up-Verpflichtungen der Altaktionäre frühzeitig aufgehoben. AUTO1 hat sich damit die Auszeichnung als IPO-Zitrone 2021 redlich verdient.

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