Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mit ihrer aktuellen Studie zum Handel mit Turbo-Zertifikaten eine brisante Debatte angestoßen. In der am 21. Mai 2025 veröffentlichten Analyse untersucht die Behörde das Verhalten von mehr als einer halben Million deutscher Kleinanleger. Die Zahlen sind alarmierend: 74 Prozent der Anleger mussten in den Jahren 2019 bis 2023 Verluste hinnehmen – im Durchschnitt 6.358 Euro pro Person. Die kumulierten Verluste summieren sich auf über 3,4 Milliarden Euro.
Dabei ist das Interesse an Turbo-Zertifikaten trotz dieser Entwicklung ungebrochen. Die Zahl der Transaktionen hat sich innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt. Allein im Jahr 2023 tätigten rund 237.000 Anleger Geschäfte mit diesen hochspekulativen Derivaten. Besonders kritisch ist die Marktkonzentration: Fünf Emittenten und ebenso viele Intermediäre dominieren mit jeweils über 75 Prozent Marktanteil das Angebot und den Vertrieb.
Ein Produkt mit Systemrisiko
Turbo-Zertifikate zählen zu den sogenannten Hebelprodukten. Sie ermöglichen es, mit geringem Kapitaleinsatz auf Kursveränderungen von Basiswerten wie Aktien, Indizes oder Währungen zu spekulieren. Die Attraktivität liegt in der Hebelwirkung – kleinen Kursbewegungen können überproportionale Gewinne folgen. Doch die Kehrseite ist gravierend: Wird eine vordefinierte Knock-Out-Schwelle unterschritten, verfällt das Zertifikat und das eingesetzte Kapital ist vollständig verloren.
Die BaFin-Studie offenbart, dass viele Kleinanleger die Risiken dieser Produkte systematisch unterschätzen. Das zeigt sich im Verhalten: Die durchschnittliche Haltedauer liegt bei lediglich acht Tagen – in der Mehrzahl der Fälle sogar unter 24 Stunden. Besonders aktive Händler, die mehr als 1.000 Transaktionen tätigen, verzeichnen eine Verlustrate von erschreckenden 91 Prozent.
Der Markt und seine Anbieter
Der deutsche Markt für Turbo-Zertifikate wird von internationalen Großbanken dominiert. Zu den führenden Emittenten zählen Morgan Stanley, Société Générale, BNP Paribas, HSBC, J.P. Morgan und Vontobel. Diese Anbieter operieren unter dem Dach des Bundesverbands für strukturierte Wertpapiere (BSW), der sich für mehr Transparenz und Anlegerschutz einsetzt. Vertrieben werden die Produkte über digitale Plattformen wie Trade Republic, Scalable Capital und Etoro – Kanäle, die insbesondere für junge, unerfahrene Anleger attraktiv erscheinen.
BaFin plant harte Einschnitte
Die Aufsichtsbehörde zeigt sich entschlossen: Um die teils existenzbedrohenden Verluste einzudämmen, plant die BaFin eine Reihe regulatorischer Maßnahmen. Künftig sollen verpflichtende Risikowarnungen auf die Gefahren dieser Produkte hinweisen. Zudem sollen monetäre Anreize für den Vertrieb verboten werden. Ein zentraler Bestandteil der geplanten Regulierung ist die verschärfte Angemessenheitsprüfung: Nur wer fundierte Kenntnisse über Funktionsweise und Risiken nachweisen kann, soll Zugang zu Turbo-Zertifikaten erhalten.
Ein Weckruf für die Finanzbranche
Die Studie ist mehr als eine Zustandsbeschreibung – sie ist ein Weckruf. Sie zeigt eindrücklich, dass viele Kleinanleger in ein hochspekulatives Produkt gedrängt werden, das weder zu ihrer Risikobereitschaft noch zu ihrem Kenntnisstand passt. Dass der Markt dennoch wächst, offenbart strukturelle Defizite in der Finanzbildung und eine gefährliche Dynamik bei der Produktvermarktung.
Die geplanten Maßnahmen der BaFin könnten einen dringend nötigen Kurswechsel einleiten. Denn die Geschichte der Turbo-Zertifikate ist bisher vor allem eines: eine Chronik wiederholter Verluste mit Ansage.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Solvium löst Fonds vorzeitig auf – Neue Transportlogistik-Beteiligung gestartet
Die Solvium Holding AG wird den 2020 aufgelegten Publikumsfonds „Solvium Logistic Fund One“ vorzeitig auflösen. Trotz der verkürzten Laufzeit um ein bis zwei Jahre soll die angestrebte Zielrendite von mindestens 4,56 Prozent pro Jahr für Anleger erreicht werden.
Altersvorsorgeprodukte: Wie wird der Kundennutzen gemessen?
Um eine bessere Vergleichbarkeit des Kundennutzens von Altersvorsorgeprodukte zu schaffen, läuft alles auf die Kennzahl „Value for money“ hinaus. Die Aufsichtsbehörden streben dazu massiv die Quantifizierung des Preis-Leistungsverhältnisses ab. Aber wie misst man den Kundennutzen konkret?
VOTUM Verband warnt vor weiterer Bürokratisierungsspirale
Anlässlich des Entwurfs der Retail Investment Strategy kritisiert der Verband: Es besteht die Gefahr, dass die EU-Kommission mit dem Ziel des Verbraucherschutzes erneut lediglich den Bürokratiedschungel verdichtet und Kleinanleger dadurch sogar auf der Strecke bleiben.
Prospektfreier Überbezug von Bezugsrechtsemissionen möglich
Altaktionäre können nun allein auf der Grundlage eines Wertpapier-Informationsblatts zusätzlich zu ihren Bezugsrechten weitere Aktien aus der Kapitalerhöhung zeichnen. Die Vermittlung durch ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder alternativ die Veröffentlichung eines Prospekts sind nicht erforderlich.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Zwischen Zauber und Zahlen: Warum deutsche Aktien wieder Chancen bieten
Trotz Konjunktursorgen, geopolitischer Spannungen und struktureller Probleme sehen viele Anleger wieder Potenzial im deutschen Aktienmarkt. Portfoliomanager Olgerd Eichler von MainFirst nennt sechs gute Gründe – mit überraschend positiven Langfristaussichten.
Höhere Pfändungsfreigrenzen ab 1. Juli 2025: Was das für Gläubiger bedeutet
Zum 1. Juli 2025 steigen die Pfändungsfreigrenzen – für Schuldner:innen bedeutet das mehr finanzieller Spielraum, für Gläubiger hingegen weniger pfändbare Beträge und längere Rückzahlungszeiträume. Was das konkret heißt und worauf Gläubiger jetzt achten müssen.
In der Steuerung des Kreditrisikos liegt ein strategischer Hebel
Protektionismus, Handelskonflikte, geopolitische Risiken – die Unsicherheit an den Märkten bleibt hoch. Passive Kreditstrategien stoßen in diesem Umfeld schnell an ihre Grenzen. Warum gerade aktives Management und ein gezielter Umgang mit Kreditaufschlägen den Unterschied machen können, erklärt Jörg Held, Head of Portfolio Management bei Ethenea.
Mehrheit befürwortet Rüstungsinvestments – Akzeptanz steigt auch bei nachhaltigen Fonds
Private Geldanlagen in Rüstungsunternehmen polarisieren – doch laut aktueller Verivox-Umfrage kippt die Stimmung: 56 Prozent der Deutschen halten solche Investments inzwischen für legitim. Auch nachhaltige Fonds greifen vermehrt zu.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.