Der Herbst steht vor der Tür, doch die Schadenfälle infolge der Sommerunwetter sind noch längst nicht vollständig reguliert. Versicherungen, Werkstätten und Schadensteuerer arbeiten seit Wochen auf Hochtouren und es ist anzunehmen, dass die letzten Schadenfälle aus dem Sommer erst zum Jahresende abgeschlossen sein werden. Manches hätte zum Wohle der Geschädigten Pkw-Halter schneller gehen können, würden die Prozesse „smarter“ gesteuert werden.
Das müssen sie künftig auch, denn die Ereignisse der vergangenen Monate bestätigen, dass sich Unbestimmbarkeiten im Schadenmanagement häufen werden. Die Volumenschwankungen und die Volatilität in den Schadenzahlen strapazieren alle Prozessbeteiligte gleichermaßen.
Marktkommentar von Matthew Whittall, CEO der Innovation Group
Waren die Betriebe infolge der Corona-Pandemie bis ins zweite Quartal hinein zu wenig ausgelastet und freute man sich gerade auf Lockerungen der Restriktionen, kamen die Unwetter und mehr Arbeit als gedacht. Verglichen mit Januar 2021 verzeichnete allein die Innovation Group einen Anstieg der Aufträge in Juni um 70 Prozent. Bei Werkstätten hat die massive Auftragsschwemme infolge der Unwetter für gravierende Engpässe gesorgt.
Allerdings nicht bei allen Betrieben gleichermaßen. Während die Werkstätten im näheren Umkreis der Katastrophenregionen noch Monate unter einer Auslastung am Limit leiden werden, haben andere, die vielleicht nur 40 Kilometer weiter entfernt liegen, weiterhin mit Leerläufen zu kämpfen.
Die Werkstätten sehen sich ohnehin schwierigen Situationen aufgrund des komplexer werdenden Reparaturmarkts ausgesetzt. Sie kämpfen nicht nur gegen Auftragsrückgänge von 20 bis 40 Prozent als Folge der Corona-Pandemie, sondern müssen sich operativ neu ausrichten. Die Elektrifizierung der Fahrzeuge erfordert neue Kompetenzen.
Ohne Netzwerkpartnerschaften und digitale Kapazitätsplanungen wird die Zukunft schwer werden. Die Branche wusste zwar immer um die Volatilität der Aufträge, konnte sich früher aber auf die Hochphasen gezielter vorbereiten.
Neben den Schulferien und dem Beginn der Motorradsaison im April waren Urlaubstrends wie der Wohnmobil-Boom beherrschbare Szenarien. Mit der veränderten Wetterlage und immer häufiger auftretenden und länger andauernden Extremwetterlagen wie in diesem Jahr schwindet die Planbarkeit der Auslastung. Umso wichtiger ist es, die Infrastruktur und die Prozessabläufe im Schadenfall zu optimieren. Dabei können drei Trends richtungsweisend sein.
1. Digital Self Service
Bei massiven Auftragsanstiegen und dadurch bedingten Verzögerungen zeichnet sich ab, dass sich Kunden durch smarte digitale Lösungen ermächtigt fühlen, sich selbst zu helfen. Sie sind als Geschädigte nicht länger eine Randfigur im Schadenprozess, sondern können den Verlauf aktiv mitverfolgen. Über eine schnittstellenbasierte, digitale Schadensteuerungsplattform wie Gateway haben Versicherungskunden die Möglichkeit, eigenständig ihren Schaden bei ihrer Versicherung anzulegen und direkt einen Wunschtermin für die Reparatur bei einer Partnerfirma ihrer Versicherung abzustimmen. Der Trend zum digitalen Self-Service erlaubt den Geschädigten ein aktives Handeln und nimmt den Versicherern den Druck bei der Schadenaufnahme.
2. Smarte Kapazitätssteuerung
Nicht jede Werkstatt wird künftig ein Allrounder sein, da die Komplexität im Reparaturmarkt wächst. In Zukunft wird es immer mehr Spezialisierung innerhalb der Kfz-Werkstätten geben. Über ein gezieltes „Skill-based-Routing“ in der digitalen Schadensteuerung können die Sachbearbeiter der Versicherungen schneller die geeignete Werkstatt für die Reparatur des Kundenfahrzeugs finden. Gleiches gilt für eine digitale Terminvergabe, über die ersichtlich wird, welche Werkstatt Kapazitäten frei hat.
3. Live-Tracking
Transparenz in der Kommunikation ist eines der größten Vorteile digitaler Tools. Im Online-Versandhandel erwarten die Kunden heute selbstverständlich, dass sie über den Status ihres Bestellprozesses in Echtzeit informiert werden. Gleiches ist im digitalen Schadenmanagement möglich. Eine Echtzeit-Information über den Stand der Schadenabwicklung erspart den Geschädigten den Anruf bei ihrem Sachbearbeiter und gibt den Versicherungen Zeit für operative Aufgaben.
Um der steigenden Komplexität und Unbestimmbarkeit im Schadenmanagement gerecht zu werden, ist es wichtig, digitale Schnittstellen zwischen Kunden, Versicherern, Partnerwerkstätten und allen Prozesspartnern im Schadensfall konsequent ausbauen.
Die Erfahrung aus der aktuellen Unwetterlage zeigt, dass immer mehr Versicherer und Werkstätten in den digitalen Schadenprozess eintreten. Denn sie sehen, dass Abläufe transparenter und einfacher werden. Voraussetzung ist eine gute Schnittstellenarchitektur, die in einem derart komplexen Prozess wie der Schadenregulierung alle Prozesspartner integriert, ohne ihre Eigenständigkeit zu beschneiden.
Selbst wenn digitale Prozess keine Wetterextreme verhindern, so können sie generelle Abläufe und auch die Kommunikation zwischen allen Beteiligten im Schadenfall transparenter und damit reibungsloser gestalten. Allein dies kann den Komplexitätspegel und den Stress in Hochphasen reduzieren.
Zukünftig kommt die Branche nicht um die digitale Transformation herum. In Extremsituationen wie den aktuellen ist und bleibt aber dennoch ein geschultes Personal wichtig, um den Geschädigten zeitnah zu helfen und Versicherungen und Werkstätten zu entlasten.
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