Der Global Risk Report warnt vor wirtschaftlicher Instabilität und gesellschaftlicher Spaltung

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Der unmittelbare menschliche und wirtschaftliche Preis von COVID-19 ist schwerwiegend. Er droht, die jahrelangen Fortschritte bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit zunichte zu machen und den sozialen Zusammenhalt und die globale Zusammenarbeit weiter zu schwächen.

Arbeitsplatzverluste, eine sich vergrößernde digitale Kluft, gestörte soziale Interaktionen und abrupte Marktverschiebungen könnten für große Teile der Weltbevölkerung mit schlimmen Folgen und verlorenen Chancen verbunden sein.

Die Konsequenzen – in Form von sozialen Unruhen, politischer Spaltung und geopolitischen Spannungen – werden die Effektivität unserer Antworten auf die anderen Schlüsselbedrohungen des nächsten Jahrzehnts prägen: Cyberattacken, Massenvernichtungswaffen und vor allem der Klimawandel.

Im Global Risks Report 2021 werden die Ergebnisse der jüngsten Umfrage zur Wahrnehmung globaler Risiken (Global Risks Perception Survey, GRPS) mitgeteilt. Es folgt eine Analyse der wachsenden sozialen, wirtschaftlichen und industriellen Spaltungen, ihrer Zusammenhänge und ihrer Auswirkungen auf unsere Fähigkeit, große globale Risiken zu bewältigen, die gesellschaftlichen Zusammenhalt und globale Zusammenarbeit erfordern.

Wir schließen den Bericht mit Vorschlägen zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit ab, denen die Lehren aus der Pandemie sowie die historische Risikoanalyse zugrunde liegen. Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage und der Analyse sind unten aufgeführt.

Globale Risikowahrnehmungen

Zu den wahrscheinlichsten Risiken der nächsten zehn Jahre gehören extreme Wetterereignisse, das Scheitern von Klimamaßnahmen und von Menschen verursachte Umweltschäden sowie die Konzentration digitaler Macht, digitale Ungleichheit und das Versagen der Cybersicherheit.

Unter den Risiken mit den größten Auswirkungen im nächsten Jahrzehnt stehen Infektionskrankheiten an erster Stelle, gefolgt von einem Scheitern des Klimaschutzes und anderen Umweltrisiken, sowie Massenvernichtungswaffen, Existenzkrisen, Schuldenkrisen und dem Zusammenbruch der IT-Infrastruktur.

Wenn es um den Zeithorizont geht, innerhalb dessen diese Risiken zu einer kritischen Bedrohung für die Welt werden, sind die unmittelbarsten Bedrohungen – diejenigen, die in den nächsten zwei Jahren am wahrscheinlichsten sind – Beschäftigungs- und Existenzkrisen, weit verbreitete Desillusionierung der Jugend, digitale Ungleichheit, wirtschaftliche Stagnation, vom Menschen verursachte Umweltschäden, Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Terroranschläge.

Wirtschaftliche Risiken stehen im Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren im Vordergrund, einschließlich Vermögensblasen, Preisinstabilität, Rohstoffschocks und Schuldenkrisen; gefolgt von geopolitischen Risiken, einschließlich zwischenstaatlicher Beziehungen und Konflikte sowie Geopolitisierung von Ressourcen.

Im 5-10-Jahres-Horizont dominieren Umweltrisiken wie der Verlust der biologischen Vielfalt, die Krise bei Bodenschätzen und das Scheitern von Klimamaßnahmen; daneben Massenvernichtungswaffen, nachteilige Auswirkungen von Technologie und der Zusammenbruch von Staaten oder multilateralen Institutionen.

Wirtschaftliche Instabilität und gesellschaftliche Spaltung werden zunehmen

Grundlegende Ungleichheiten in den Bereichen Gesundheit, Bildung, finanzielle Stabilität und Technologie haben dazu geführt, dass die Krise bestimmte Gruppen und Länder unverhältnismäßig stark getroffen hat.

Nicht nur, dass COVID-19 bis zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels bereits mehr als zwei Millionen Todesopfer gefordert hatte, auch die wirtschaftlichen und langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen werden weiterhin verheerende Folgen haben.

Die wirtschaftliche Schockwelle der Pandemie – allein im zweiten Quartal 2020 gingen Arbeitsstunden im Gegenwert von 495 Millionen Arbeitsplätzen verloren – wird die Ungleichheit sofort verstärken, aber das gilt auch für eine ungleichmäßige Erholung.

Nur 28 Volkswirtschaften werden voraussichtlich im Jahr 2020 Wachstum verzeichnen.

Fast 60 Prozent der Befragten des GRPS nannten „Infektionskrankheiten“ und „Existenzkrisen“ als die größten kurzfristigen Bedrohungen für die Welt. Der Verlust von Menschenleben und Existenzgrundlagen wird das Risiko der „Erosion des sozialen Zusammenhalts“ erhöhen, das ebenfalls als kritische kurzfristige Bedrohung im GRPS identifiziert wurde.

Wachsende digitale Kluft und Technologieeinsatz geben Anlass zur Sorge

COVID-19 hat die vierte industrielle Revolution beschleunigt und die Digitalisierung der menschlichen Interaktion, des E-Commerce, der Online-Bildung und der Telearbeit erweitert. Diese Veränderungen werden die Gesellschaft noch lange nach der Pandemie prägen und versprechen enorme Vorteile.

Die Möglichkeit der Telearbeit und die schnelle Entwicklung von Impfstoffen sind zwei Beispiele dafür – aber sie bergen auch das Risiko, Ungleichheiten zu verschärfen und zu schaffen. Die Befragten des GRPS bewerteten „digitale Ungleichheit“ als kritische kurzfristige Bedrohung. Eine sich vergrößernde digitale Kluft kann gesellschaftliche Brüche verschlimmern und die Aussichten auf einen integrativen Aufschwung untergraben.

Der Fortschritt auf dem Weg zur digitalen Inklusion ist bedroht durch die wachsende digitale Abhängigkeit, die sich schnell beschleunigende Automatisierung, die Unterdrückung und Manipulation von Informationen, die Lücken in der Regulierung von Technologien und die Lücken bei den technologischen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Eine doppelt zerrissene Generation von Jugendlichen wächst in einem Zeitalter der verlorenen Chancen heran

Während der digitale Sprung nach vorn einigen Jugendlichen Chancen eröffnete, treten viele nun in einer Beschäftigungs-Eiszeit ins Berufsleben ein. Junge Erwachsene weltweit erleben die zweite große globale Krise innerhalb eines Jahrzehnts.

Diese Generation, die bereits der Umweltzerstörung, den Folgen der Finanzkrise, der zunehmenden Ungleichheit und den Störungen durch den industriellen Wandel ausgesetzt ist, steht vor ernsthaften Herausforderungen in Bezug auf ihre Bildung, ihre wirtschaftlichen Perspektiven und ihre psychische Gesundheit.

Laut GRPS wird das Risiko der „Jugenddesillusionierung“ von der Weltgemeinschaft weitgehend vernachlässigt, wird aber kurzfristig zu einer kritischen Bedrohung für die Welt werden. Hart erkämpfte gesellschaftliche Errungenschaften könnten zunichte gemacht werden, wenn die jetzige Generation keinen adäquaten Zugang zu Zukunftschancen findet – und das Vertrauen in die heutigen wirtschaftlichen und politischen Institutionen verliert.

Das Klima ist weiterhin ein drohendes Risiko, da die globale Zusammenarbeit schwächer wird

Der Klimawandel, gegen den niemand immun ist, stellt nach wie vor ein katastrophales Risiko dar. Obwohl die weltweiten Lockdowns in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem Rückgang der globalen Emissionen geführt haben, warnen die Erkenntnisse aus der Finanzkrise 2008-2009 davor, dass die Emissionen wieder sprunghaft ansteigen könnten.

Eine Umstellung auf eine grünere Wirtschaft kann nicht aufgeschoben werden, bis die Schocks der Pandemie abklingen. „Versagen von Klimaschutzmaßnahmen“ ist das folgenreichste und zweitwahrscheinlichste langfristige Risiko, das in der GRPS identifiziert wurde.

Die Reaktionen auf die Pandemie haben neue innen- und geopolitische Spannungen verursacht, die die Stabilität bedrohen. Die digitale Spaltung und eine zukünftige „verlorene Generation“ werden wahrscheinlich den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Landesgrenzen auf die Probe stellen – und die geopolitische Spaltung und die globale wirtschaftliche Instabilität verschärfen.

Angesichts der zunehmenden Häufigkeit von Patt-Situationen und Krisenherden bewerteten die GRPS-Befragten „Staatszerfall“ und „Zusammenbruch des Multilateralismus“ als kritische langfristige Bedrohungen.

Mittelmächte – einflussreiche Staaten, die zusammen einen größeren Anteil an der Weltwirtschaft repräsentieren als die USA und China zusammen – setzen sich oft für multilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Diplomatie, Klima, Sicherheit und neuerdings auch globale Gesundheit ein.

Bleiben die geopolitischen Spannungen jedoch bestehen, werden die Mittelmächte Schwierigkeiten haben, einen globalen Aufschwung zu ermöglichen – in einer Zeit, in der internationale Koordination unerlässlich ist – und die Widerstandsfähigkeit gegen zukünftige Krisen zu stärken.

Die GRPS-Befragten geben einen herausfordernden geopolitischen Ausblick, der von „zwischenstaatlichen Beziehungen“, „zwischenstaatlichen Konflikten“ und „Geopolitisierung von Ressourcen“ geprägt ist – allesamt prognostizierte kritische Bedrohungen für die Welt in drei bis fünf Jahren.

Eine polarisierte Industrielandschaft könnte sich in der Post-Pandemie-Wirtschaft herausbilden

Während sich die Volkswirtschaften von dem Schock und den Impulsen von COVID-19 erholen, stehen die Unternehmen vor einer Gesundschrumpfung. Bestehende Trends haben durch die Krise neuen Auftrieb erhalten: national ausgerichtete Agenden zur Eindämmung wirtschaftlicher Verluste, technologischer Wandel und Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur – einschließlich des Konsumverhaltens, der Art der Arbeit und der Rolle der Technologie sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause.

Die Geschäftsrisiken, die sich aus diesen Trends ergeben, wurden durch die Krise noch verstärkt und umfassen die Stagnation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und das verlorene Potenzial in den Schwellen- und Entwicklungsländern, den Zusammenbruch kleiner Unternehmen, die Vergrößerung der Kluft zwischen großen und kleinen Unternehmen und die Verringerung der Marktdynamik sowie die Verschärfung der Ungleichheit, wodurch eine langfristige nachhaltige Entwicklung erschwert wird.

Da die Regierungen immer noch darüber nachdenken, wie sie aus dem Notstand wieder zu einem Aufschwung kommen, und die Unternehmen sich auf eine veränderte Geschäftslandschaft einstellen, gibt es Möglichkeiten, in intelligentes, sauberes und integratives Wachstum zu investieren, das die Produktivität und die Umsetzung nachhaltiger Agenden verbessert.

Bessere Wege sind verfügbar, um Risiken zu managen und die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen

Trotz einiger bemerkenswerter Beispiele von Entschlossenheit, Kooperation und Innovation haben die meisten Länder mit Aspekten des Krisenmanagements während der globalen Pandemie zu kämpfen. Es ist zwar noch zu früh, um endgültige Schlüsse zu ziehen, aber diese Ausgabe des Global Risks Report untersucht die weltweite Bereitschaft, indem sie vier Schlüsselbereiche der Reaktion auf COVID-19 betrachtet: institutionelle Autorität, Risikofinanzierung, Informationserfassung und -austausch sowie Ausrüstung und Impfstoffe.

Anschließend werden die Reaktionen auf nationaler Ebene betrachtet – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangssituationen in den einzelnen Ländern – und Lehren aus fünf Bereichen gezogen: Entscheidungsfindung der Regierung, öffentliche Kommunikation, Kapazitäten des Gesundheitssystems, Lockdown-Management und finanzielle Unterstützung für die Bedürftigen.

Wenn jedoch die Lehren aus dieser Krise die Entscheidungsträger nur darüber informieren, wie sie sich besser auf die nächste Pandemie vorbereiten können, anstatt die Risikoprozesse, -fähigkeiten und -kultur zu verbessern, wird die Welt wieder für die letzte Krise planen, anstatt die nächste zu antizipieren.

Die Reaktion auf COVID-19 bietet vier Governance-Möglichkeiten, um die allgemeine Widerstandsfähigkeit von Ländern, Unternehmen und der internationalen Gemeinschaft zu stärken:

  • (1) die Ausarbeitung von Analyserahmen, die eine ganzheitliche und systembasierte Sicht der Risikoauswirkungen einnehmen
  • (2) die Investition in hochkarätige „Risiko-Champions“, um die nationale Führung und die internationale Zusammenarbeit zu fördern
  • (3) die Verbesserung der Risikokommunikation und die Bekämpfung von Fehlinformationen
  •  (4) die Erkundung neuer Formen von öffentlich-privaten Partnerschaften zur Risikovorsorge

Das Weltwirtschaftsforum setzt sich für die Verbesserung des Zustands der Welt ein und ist die internationale Organisation für öffentlich-private Zusammenarbeit. Es bindet hervorragende Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in die Gestaltung globaler, regionaler und branchenspezifischer Programme ein.