Viele unterliegen dem Irrglauben, dass ein Versicherungsvertreter, also ein Agent, keiner weitreichenden Haftung unterliegt. Auch viele Mehrfachvertreter fühlen sich unter dem „Haftungsdach“ eines Versicherers sicherer.
In der Tat war es früher einmal so, dass der Vertreter nur dann haftete, wenn er ein besonders persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hatte. Bei einem normalen Vermittlungsvorgang war dies in der Regel nicht der Fall. Außerdem kommt hinzu, dass das Verhalten des Vertreters (Agenten) regelmäßig dem Versicherer zugerechnet wurde. Daher war im Falle eines Prozesses der Versicherer immer der solventere Schuldner.
Durch die Reformierung des VVG erfolgte bei den meisten Vertretern eine unbegrenzte Haftungsübernahme seitens der Versicherer. Ansonsten besteht natürlich auch für den Vertreter die Versicherungspflicht.
Wichtig ist, dass der Vertreter, genauso wie ein Versicherungsmakler, der Anspruchsgrundlage des § 63 VVG unterliegt. Dementsprechend trifft den Vertreter auch eine eigene unbegrenzte Haftung gegenüber seinem Kunden. Es kommt nur hinzu, dass in der Regel der Vertreter und der Versicherer als Gesamtschuldner haften.
In einer aktuellen gerichtlichen Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main (Urteil vom 23.04.2020, AZ: 2-30S 5/18) ging es um folgenden Sachverhalt:
Kunde und Vertreter besprachen eine Immobilienfinanzierung. Der Kunde hatte bereits eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Vertreter empfahl (strittig aber ohne Belang), die ursprüngliche BU-Versicherung zu kündigen und bei dem Vertreter eine neue abzuschließen. So wurde es auch umgesetzt.
Aus der Berufsunfähigkeitspolice ging nicht hervor, dass auch eine Dienstunfähigkeit mitversichert ist. Im Antrag hieß es aber unter sonstige Vereinbarungen: „Dienstunfähigkeitsklausel gilt als vereinbart“.
Erst deutlich nach dem Versichererwechsel merkt der Kunde, dass er in seinem neuen Versicherungsvertrag keine DU-Klausel mehr hat. Er nimmt daraufhin den Versicherer und den Vertreter in Anspruch, die Prämiendifferenz zu einer neu abzuschließenden BU mit DU-Klausel zu bezahlen. Außerdem verlangte er als Schadenersatz die Versicherungsprämie, die er für die neu abgeschlossene BU zahlen musste. Diese Schadenersatzansprüche wurden dem Kläger beide zugesprochen.
Sowohl für den Versicherungsmakler als auch für den Vertreter gilt, dass der VN in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will (OLG Saarbrücken vom 26.04.2017, AZ: 5 U 36/16). Jeder Vermittler muss also den Kunden umfassend aufklären und auf die Vor- und Nachteile des Versichererwechsels hinweisen, informieren und diese ausführlich darstellen. Der Vertreter muss sich auch nicht nur die Police des Vorversicherers zeigen lassen. Er muss den genauen Umfang des Versicherungsschutzes klären und hätte gegebenenfalls auch nach dem Antrag beziehungsweise den weiteren Erklärungen fragen müssen, um den vorherigen Versicherungsschutz umfassend einzuschätzen.
Grundsätzlich kann ein Versicherungsnehmer verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne die Pflichtverletzung stünde (OLG Karlsruhe VersR 2012, 856). Auch ein Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, den neu abgeschlossenen Versicherungsschutz zu überprüfen und zu schauen, ob auch eine Dienstunfähigkeitsklausel enthalten ist. Ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers scheidet aus.
Fazit
Bei einem Versichererwechsel gelten die gleichen Aufklärungs- und Beratungspflichten sowohl für den Versicherungsmakler als auch für den Versicherungsvertreter. Es kann ja auch nicht richtig sein, dass ein Versicherungsnehmer durch die Beratung eines Vertreters (Agenten) schlechter gestellt wird, als würde er durch einen Versicherungsmakler beraten werden. Die Leitsätze des Urteils vom Landgericht Frankfurt am Main fassen die wesentlichen Punkte der Entscheidung noch einmal sehr gut zusammen:
1. Der Versicherungsvermittler hat den VN bei einem Versichererwechsel über die Folgen des Wechsels, insbesondere über damit möglicherweise verbundene Nachteile zu informieren. Unter Umständen muss der Versicherungsvermittler seinen Kunden auch von einem Wechsel abraten.
2. Die Vorbereitung des Kündigungsschreibens durch den Vermittler löst bereits diese Beratungspflicht aus.
3. Auch ein Versicherungsvertreter, der im Vergleich zum Versicherungsmakler nur eine eingeschränkte Produktberatung schuldet und grundsätzlich nicht seine eigene Marktposition schwächen muss, hat den VN gleichwohl über diejenigen Punkte aufzuklären, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind.
4. Bei einem beabsichtigten Versichererwechsel sind die Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung besonders hoch, da der VN in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will.
5. Der VN ist nicht verpflichtet, die ihm übersandten Versicherungsunterlagen des neuen VR zu überprüfen, ob er beim Versichererwechsel falsch beraten wurde.
Häufig entdecken Versicherungsmakler Beratungsfehler, die ein Versicherungsvertreter begangen hatte. Auch hier ist der Versicherungsmakler verpflichtet, seinen Kunden auf die Fehler eines Versicherungsvertreters (Agenten) hinzuweisen, so dass dieser noch die Möglichkeit hat, unverjährte Ansprüche geltend machen zu können. Entscheidet sich dann der Kunde gegen die Geltendmachung dieser Schadenersatzansprüche, dann haftet jedenfalls nach Verjährung dieser Ansprüche nicht der Makler für die unterlassene Aufklärung. Ich empfehle Ihnen, die Beratungsfehler von Vertretern, die Sie erkannt haben, auch unbedingt in die Dokumentation aufzunehmen!
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