Adaptive Versicherungen versprechen Versicherungsschutz in Echtzeit – überall, jederzeit und an die Situation angepasst. Damit reagieren die Anbieter auf die sich verändernden Kundenerwartungen in Zeiten der Digitalisierung. Doch ist das die Zukunft der Versicherungen? Die experten-Report-Redaktion hat mit Stephen Voss, Vorstand der Neodigital Versicherung AG, über adaptiven Versicherungsschutz, digitale Prozesse und Schadenregulierung gesprochen.
Herr Voss, was sind adaptive respektive situative Versicherungsprodukte?
Adaptive Versicherungsprodukte sind intelligente Lösungen, die den gewünschten, erforderlichen und vor allem risikoadäquaten Versicherungsschutz bieten, wenn er erforderlich ist.
Was meine ich damit? Der Kunde ist über einen Grundschutz ab Vertragsbeginn umfassend abgesichert und kann diesen bei Bedarf erhöhen. Damit der Versicherungsschutz überhaupt an die Situation angepasst werden kann, wird bereits bei Vertragsabschluss abgefragt, für welche besonderen Ereignisse/Situationen vom Kunden eine Erhöhung seiner Absicherung gewünscht wird.
Diese Daten sind im System für die Adaption hinterlegt, damit eine Erhöhung der Versicherungsleistung ausgelöst werden kann, wenn die Risikosituation eintritt. Der Vorteil ist, dass eine erhöhte Versicherungsprämie nur für den jeweiligen Zeitraum zu bezahlen ist. Das ist auch der grundlegende Unterschied zu situativen Produkten, die immer nur bezogen auf die jeweilige Situation, also das Ereignis, abgeschlossen werden können.
Ich erkläre das gerne mit zwei Beispielen aus dem Sport. Der Versicherungskunde ist ein begeisterter Skifahrer und leistet sich jedes Jahr seine Skisportwoche. Für diese Zeit ist sein Unfallrisiko erhöht. Mit einem adaptiven Versicherungsprodukt hat er die Möglichkeit, zum gewünschten Zeitpunkt und für die erforderliche Dauer seinen abgeschlossenen Grundschutz zu erhöhen.
Interessant ist auch ein Beispiel aus dem Triathlon. Der Kunde nimmt jährlich an dem Event teil. Mit einer klassischen Unfallversicherung würde er in eine erhöhte Risikoklasse eingestuft werden, die sich deutlich auf die Versicherungsprämie auswirkt.
Ein adaptives Versicherungsprodukt bietet ihm den Vorteil, dass nur für die Zeit der Teilnahme am Triathlon eine erhöhte Prämie fällig wird. Auf diese Art und Weise können auch Risiken abgesichert werden, die vormals nicht versicherbar waren. Beide Beispiele verdeutlichen den entscheidenden Unterschied zum situativen Versicherungsschutz, der jeweils nur in Verbindung mit einem anlassbezogenen Ereignis, einem Umstand sowie einer geografischen Zuordnung abgeschlossen wird und danach sofort wieder erlischt.
Wie schnell und einfach kann der adaptive Versicherungsschutz ausgelöst werden?
Das geht mit wenigen Eingaben ganz fix. Die Erweiterung des Grundschutzes kann per Smartphone oder auch über die Eingaben auf der Smartwatch erfolgen. Mittels intelligenter Prozesse beim Versicherungsunternehmen werden diese Daten übertragen und beim bestehenden Versicherungsvertrag für die zeitbezogene Prämienerhöhung hinterlegt. Damit komme ich auch auf die für uns maßgeblich im Unternehmen definierte Strategie zu sprechen: Digitale Produkte und Prozesse müssen in unseren Augen beim Antrag beginnen und die komplette Prozesskette bis zur Leistungsprüfung respektive der Schadenregulierung beinhalten.
Ein digitaler Abschlussprozess ist für uns, lassen Sie es mich salopp formulieren, nur die halbe Miete und wird den Kunden nicht begeistern. Deshalb bieten wir als digitales Versicherungsunternehmen für unsere Produktwelt die erforderliche Automatisierung, damit der Kunde die Vorteile des adaptiven Schutzes nutzen kann.
Welche digitale Infrastruktur benötigt ein Versicherungsunternehmen dafür?
Wir verfügen über ein sehr flexibles digitales Grundmodell. Bei der Konzeption der Prozesse wurde die jeweils höchstmögliche Detailebene berücksichtigt und für weitere Anforderungen und Adaptionen hinterlegt.
Somit wurde bereits im Produktdesign der Grundstein gelegt, um später unterschiedliche Anforderungen und deren Variablen erfüllen zu können. Im Grundsatz muss eine minutengenaue Abrechnung und sogar die Garantie möglich sein, dass die Erweiterung des Versicherungsschutzes gilt, wenn es zu Übertragungsproblemen kommt. Zum Beispiel, weil es keinen Handyempfang gibt. Der Effekt dieser Vorgehensweise ist, dass wir für neue Produktlinien eine noch schnellere Time to Market realisieren können.
Auch hierzu ein Beispiel aus der Privathaftpflicht. Wir hinterlegen Informationen, auf welcher Leistungsebene der Schaden entstanden ist (als Fremd- oder Eigenverschulden), für interne Auswertungen in unserem Schadensystem. Daraus ziehen wir wertvolle Rückschlüsse auf die Leistungsklauseln und die Tarifgestaltung für unsere AVB. Vorteile dieser Datenhaltung sind zudem Transparenz und Effizienz, um noch besser auf Kundenanforderungen eingehen zu können. Diese Produkt- und Prozesskonzeption liefert ferner wichtigen Input für unser Research- und Development-Team. Übrigens ein Thema, das in unserer Branche im Vergleich zu anderen Industriebereichen lange vernachlässigt wurde.
Wie dürfen wir Ihr letztes Statement verstehen?
Nun, ich präferiere die Vorgehensweise „Lernen von den Besten“. Klar, stellt sich hier die Frage: Wer oder was ist das Beste oder worauf nehmen wir Bezug? Ich verweise gerne auf die deutsche Automobilbranche, den großen Motor der deutschen Wirtschaft. Bereits in den 90er-Jahren arbeitete man mit einheitlichen Protokollen und Formaten für die Datenübertragung, sowohl im Entwicklungs- als auch im Logistikbereich. Und man forcierte die übergreifende Produktmodellierung und ein kollaboratives Engineering. Nur so konnten Produktentwicklungszyklen verkürzt und teilweise sogar halbiert werden. Kein Automobilhersteller fertigt heute Werkzeuge, Sitze, Schrauben, Armaturen oder Chassis selbst. Man vertraut auf professionell arbeitende Zulieferbetriebe, die sich alle einem weitreichenden Qualitätsmanagement unterziehen.
Nun sollten wir uns die Frage erlauben: Und wir in der Assekuranz? Viele pflegen, sicherlich auch der Vergangenheit und der Systemrelevanz geschuldet, ihre eigenen Systeme. Am Ende wird der Verbraucher entscheiden, wo die Reise hingeht. Wie übrigens auch in der soeben zitierten Automobilbranche. Obwohl uns diese um Längen bei der Automatisierung und Technisierung voraus ist, wird sie durch veränderte Mobilitätskonzepte gefordert sein, ihre weltweite Marktposition zu halten. Also sollten wir in der Assekuranz unser Bestes für sich verändernde Kundenanforderungen in einer digitalen Welt geben.
Stichwort digitale Welt und veränderte Kundenanforderungen: Welche Klientel steht adaptiven Versicherungsprodukten offener gegenüber?
Ich sehe hier keine Zielgruppe, die wir am Alter des Kunden festmachen können. Wir sprechen damit vielmehr den Kundentyp an, der die Vorteile von Online-Angeboten für sich zu nutzen weiß. Dem sind keine Grenzen gesetzt und ja, für die Zukunft sehen wir natürlich Vorteile bei der Ansprache der nachfolgenden Generationen. Sie ist es gewohnt, Antworten und Lösungen im Internet zu finden, nimmt Online-Angebote auch gerne an. Aktuell ist der Großteil unserer 50.000 Kunden noch jüngeren Alters.
Welche Daten muss ein Kunde von sich beim Abschluss hinterlegen?
Nachdem wir risikoadäquate Produkte anbieten, gibt es drei Pflichtangaben, die ich wieder an einem Beispiel aufzeigen möchte. In diesem Fall die Tierhalterhaftpflicht. Ein Kunde, 25 Jahre alt, möchte seinen Schäferhund versichern, er lebt in Berlin-Mitte. Diesen Wunsch hat auch ein Tierhalter, 56 Jahre alt, der am Tegernsee lebt, nur eben für seinen Pudel.
Damit die Versicherungsprämie risikogerecht angeboten werden kann, fragen wir für ein Angebot Daten zur versicherten Person (Tier), PLZ und das Alter ab. So entstehen faire Preis-Leistungs-Angebote auf Basis der statistischen Daten aus den Risikoprofilen, auch mit der Möglichkeit, täglich zu kündigen. Wir definieren unser Leistungsversprechen auch in der digitalen Welt gemäß dem Grundsatz: Leistungen aus dem Versicherungskollektiv in einem angemessenen Zeitraum.
Eine Frage zum angemessenen Zeitraum: Wie zeitnah regulieren Sie Schäden?
Unser Servicelevel ist klar definiert: Sofern alle Unterlagen vorhanden sind, regulieren wir innerhalb von 72 Stunden.
Dieses Zeitlimit gilt auch für die Leistungsprüfung in der Unfallabteilung – vorausgesetzt, alle Berichte wurden eingereicht. Sicherlich kommt uns hier zugute, dass unser Team über jahrelange Expertise in der Versicherungsbranche verfügt und umfassende Erfahrungen gesammelt hat. Für uns ist dieser Standard richtungsweisend. Onlineaffine Kunden, die bei Amazon & Co. einkaufen, setzen Transparenz und ein schnelles Servicelevel voraus.
Wo bleibt dann der Versicherungsmakler?
Auch hierzu vertreten wir eine klare Auffassung: Weniger Versicherungsvermittler werden mehr Kunden in einem größeren geografischen Umfeld betreuen müssen. Ohne entsprechende digitale Prozesse im Maklerbüro oder in der Versicherungsagentur wird keine nachhaltige Wertschöpfung möglich sein. Soll heißen, der Versicherungsmakler wird in seiner Beratung projekt- und objektbezogen vermehrt Tools einsetzen müssen.
Sind die Versicherer und die Versicherungsmakler bereit für Lösungen wie diese?
International agierende Konzerne werden immer einen oder mehrere Schritte voraus sein. Hier stellt sich diese Frage nur bedingt. Kleinere und mittelständische Unternehmen müssen intensiv an ihrem Profil und der Positionierung arbeiten, bevor der Veränderungsdruck zu groß wird. Neue Kunden kommen so einfach nicht nach und bestehende überaltern. In Summe ergibt dies eine Negativselektion. Absolut auf das klassische Modell der Versicherungswelt zu setzen, hat in meinen Augen keine Zukunft. Insofern ist jeder gut beraten, besser heute als morgen so zu bauen, dass er fit für die Zukunft ist.
Herr Voss, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Bilder: © Neodigital Versicherung AG (2) © experten-netzwerk GmbH
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