Wenn ein dringender Beratungsbedarf erkennbar ist, müssen Sachbearbeiter ihre Beratungspflicht auch über den eigenen Fachbereich hinaus erfüllen, entschied der Bundesgerichtshof.
Der schwerbehinderte Kläger konnte kein seinen Lebensbedarf deckendes Erwerbseinkommen erzielen, woraufhin seine zur Betreuerin bestellte Mutter im Dezember 2004 bei dem Landratsamt laufende Leistungen der Grundsicherung beantragten.
Kläger hat Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente
Eine neue Sachbearbeiterin informierte die Mutter, dass der Sohn Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen voller Erwerbsminderung hat, was auch nach Antrag des Klägers vom Deutschen Rentenversicherung Bund bewilligt wurde.
In dem Rentenbescheid wurde unter anderem festgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen bereits seit dem 10. November 2004 erfüllt seien.
Klage auf Schadenersatz
Weil der Kläger nicht über sein Recht auf Erwerbsunfähigkeitsrente aufgeklärt wurde, verlangt er Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen der gewährten Grundsicherung und der ihm zustehenden Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Das Landgericht Dresden gab dem Kläger Recht, das Oberlandesgericht Dresden wiederum gab der Berufung der Beklagten statt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der III. Zivilsenat hat auf die Revision des Klägers das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Unter den gegebenen Umständen war anlässlich der Beantragung von Leistungen der Grundsicherung zumindest ein Hinweis vonseiten des Beklagten notwendig, dass auch ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Betracht kam und deshalb eine Beratung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geboten war.
Besondere Beratungs- und Betreuungspflichten
Im Sozialrecht bestehen für die Sozialleistungsträger besondere Beratungs- und Betreuungspflichten. Eine umfassende Beratung des Versicherten ist die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten.
Auf der Grundlage der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen bestand im vorliegenden Fall ein dringender Beratungsbedarf in einer wichtigen rentenversicherungsrechtlichen Frage. Dies war für die Grundsicherungsbehörde beziehungsweise das Sozialamt des Beklagten ohne weitere Ermittlungen eindeutig erkennbar.
Urteil vom 02. August 2018 (Bundesgerichtshof, III ZR 466/16)
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