Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am 6. Juni 2025 einen weiteren geldpolitischen Lockerungsschritt vollzogen und die drei Leitzinssätze um jeweils 25 Basispunkte gesenkt. Der Einlagensatz – zentraler Steuerungsmechanismus der EZB – liegt damit bei 2,00 %. Diese Entscheidung markiert nicht nur die achte Senkung seit Mitte 2024, sondern auch eine bestätigte Kurskorrektur im Angesicht einer inflations- und wachstumspolitisch veränderten Großwetterlage.
Inflationsziel in Reichweite – Projektionen zeigen disinflationäre Tendenz
Die geldpolitische Entscheidung basiert auf einer deutlich revidierten Inflationsprognose. Nach aktualisierten Eurosystem-Schätzungen wird die durchschnittliche Teuerung 2025 bei 2,0 %, 2026 bei 1,6 % und 2027 erneut bei 2,0 % liegen. Die Revision um jeweils 0,3 Prozentpunkte gegenüber der März-Prognose spiegelt vor allem antizipierte Rückgänge bei den Energiepreisen und die Aufwertung des Euro wider. Auch die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) bleibt mit 2,4 % für 2025 erhöht, signalisiert jedoch mit 1,9 % für 2026 und 2027 eine Rückkehr zu Preisstabilität im EZB-Sinne.
Die meisten Indikatoren der zugrunde liegenden Inflation weisen laut EZB auf eine nachhaltige Annäherung an das mittelfristige Ziel hin. Zwar bleibt das Lohnwachstum angesichts der Nachwirkungen vergangener Inflationsschocks hoch, doch zeigen sich klare Abschwächungstendenzen. Unternehmensmargen wirken zusätzlich stabilisierend auf die Weitergabe der Kosten.
Wachstumsaussichten: asymmetrisch und politikgetrieben
Mit einem prognostizierten realen BIP-Wachstum von 0,9 % für 2025 und einem moderaten Anstieg auf 1,3 % bis 2027 signalisiert die EZB ein fragiles, aber grundsätzlich resilient wirkendes Basisszenario. Während geopolitische Spannungen, insbesondere im Handel, als belastende Faktoren identifiziert werden, dürften steigende öffentliche Investitionen – namentlich in Verteidigung und Infrastruktur – als zentrale wachstumsstützende Impulse wirken.
Zudem erwartet die EZB eine Erholung des privaten Konsums, getragen von steigenden Realeinkommen und einem robusten Arbeitsmarkt. Die geldpolitische Lockerung soll dabei als flankierende Maßnahme günstigere Finanzierungsbedingungen schaffen und die gesamtwirtschaftliche Widerstandskraft gegen externe Schocks stärken.
Datenabhängige Steuerung – keine Festlegung auf Zinspfad
Vor dem Hintergrund „außergewöhnlich hoher Unsicherheit“ betont die EZB erneut ihren datengetriebenen Ansatz: Der geldpolitische Kurs werde Sitzung für Sitzung überprüft und an aktuelle makroökonomische Entwicklungen angepasst. Eine Vorfestlegung auf einen bestimmten Zinspfad sei ausgeschlossen. Vielmehr sollen künftige Zinsbeschlüsse auf Grundlage von drei Pfeilern erfolgen: den Inflationsaussichten, der Dynamik der Kerninflation sowie der Effektivität der geldpolitischen Transmission.
Damit sendet die EZB ein doppeltes Signal: Einerseits die Bereitschaft, den geldpolitischen Lockerungspfad fortzusetzen – andererseits eine klare Konditionierung auf empirisch belegte Stabilitätsfortschritte.
Quantitative Straffung bleibt intakt – Transmissionsschutz als Sicherheitsnetz
Begleitend setzt die EZB ihre Balance-Sheet-Politik fort: Rückflüsse aus dem APP und PEPP werden weiterhin nicht reinvestiert. Die quantitative Straffung bleibt somit ein integraler Bestandteil der Normalisierungsstrategie. Ergänzt wird dies durch das Transmission Protection Instrument (TPI), das als Reaktionsmechanismus für unfaire Marktverwerfungen im Euroraum vorgehalten wird.
Bewertung
Die Zinssenkung steht im Zeichen geldpolitischer Normalisierung, ohne den Charakter eines „pivot“ im klassischen Sinne anzunehmen. Der EZB-Rat erkennt die Fortschritte bei der Disinflation, bleibt aber vorsichtig angesichts globaler Unwägbarkeiten. Entscheidend wird sein, inwieweit sich die disinflationären Kräfte verfestigen, ohne die fragile Konjunktur weiter zu belasten.
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