Friedrich Merz ist zum Kanzler gewählt! Seine Wahl im zweiten Durchgang, trotz rechnerischer Mehrheit im Bundestag, offenbart eine politische Schwäche, die über parteitaktische Reibungen hinausgeht. Es war eine Wahl mit Warnzeichen. Merz steht einer Regierungskoalition vor, deren Rückhalt im Parlament bröckelt und deren politisches Fundament von außen wie innen unter Druck gerät. Die eigentliche Gefahr aber lauert an den Rändern: Eine radikalisierte AfD, die von der Schwäche der Mitte profitiert – und ein Kanzler, der klare Antworten geben muss, um sie nicht weiter zu füttern.
Eine fragile Mehrheit – ein fragiler Regierungsauftrag
Mit nur 325 Stimmen im zweiten Wahlgang wurde Merz zum Kanzler gewählt. Im ersten Anlauf war er gescheitert – ein historischer Vorgang. Die Ursachen liegen in der fehlenden Geschlossenheit der Koalition, aber auch in einem politischen Klima, in dem Misstrauen, Polarisierung und parteiinterner Opportunismus längst Normalität geworden sind.
Merz kann sich diese politische Instabilität nicht leisten. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD trägt keine inhaltliche Klammer mehr, sondern ist ein Zweckbündnis. Ihre Zukunft hängt davon ab, ob es gelingt, klare politische Führung zu zeigen – nicht im Sinne bloßer Disziplinierung, sondern durch ein inhaltliches Angebot, das Vertrauen schafft. Nur so lässt sich die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die rechte und linke Populisten täglich weiter aushöhlen.
Wirtschaftskrise und Populismus: Ein toxisches Gemisch
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gedeiht der Populismus besonders gut. Die AfD hat dies verstanden – und füllt das Vakuum, das ausbleibende Reformen, soziale Ungleichheit und rhetorische Beliebigkeit hinterlassen haben. Die Gefahr ist real: Eine weitere ökonomische Zuspitzung könnte nicht nur den sozialen Zusammenhalt gefährden, sondern den politischen Boden für autoritäre Tendenzen bereiten.
Merz muss deshalb handeln – und zwar mit einer Wirtschaftspolitik, die greifbar ist. Steuerliche Entlastung, Digitalisierung, Innovationsförderung: Das muss nicht nur versprochen, sondern konkret umgesetzt werden. Ein wirtschaftlicher Wiederaufschwung ist kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für politische Stabilität – und die einzig wirksame Antwort auf rechte Agitation.
Geopolitik: Der Dialog darf nicht aus dem Blick geraten
Der Krieg in der Ukraine bleibt ein moralisches wie strategisches Dilemma. Doch wer jede Frage nach Diplomatie als Schwäche auslegt, betreibt gefährliche Rhetorik. Merz muss – bei aller Entschlossenheit in der Unterstützung Kiews – zugleich Räume für einen politischen Diskurs über Kriegsziele, Nachkriegsordnung und europäische Sicherheitsarchitektur öffnen.
Denn wenn Politik den Eindruck vermittelt, nur noch entlang militärischer Logiken zu funktionieren, überlässt sie das Terrain der Differenzierung den Populisten. Es ist nicht nur legitim, sondern notwendig, auch über Diplomatie zu sprechen – gerade dann, wenn sie fern scheint. Ein kluger Kanzler erkennt den Wert des Unausgesprochenen – und öffnet Spielräume für strategische Zurückhaltung, ohne sie mit Schwäche zu verwechseln.
Klare Sprache ist gefragt
Merz steht vor einem doppelten Prüfstein: wirtschaftlich muss er das Land stabilisieren, politisch darf er die AfD nicht zum Profiteur einer verunsicherten Mitte machen. Das bedeutet: klare Politik, nachvollziehbare Entscheidungen, und eine Sprache, die Vertrauen aufbaut – nicht Angst verstärkt. Wer der AfD das Feld überlässt, weil er selbst keine Orientierung gibt, macht sich mitschuldig an ihrer Stärke.
Ein Kanzler, der in unsicheren Zeiten führen will, darf nicht nur nach Mehrheiten rechnen – er muss sie formen. Und er darf das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren: Ein demokratisches, wirtschaftlich starkes und geopolitisch handlungsfähiges Deutschland – das ist die eigentliche Aufgabe seiner Kanzlerschaft.
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