Politische Unsicherheiten, Naturgefahren, aber – allen voran – Verluste, die aus ESG-Verpflichtungen erwachsen, werden die Risikomanager in deutschen Unternehmen nächstes Jahr beschäftigen.
Zu diesem Schluss kommt der international tätige Versicherungsmakler WTW und mahnt Unternehmen, ihr Risikomanagement grundlegend zu verändern. Mathias Pahl Head of Corporate Risk & Broking bei WTW, erklärt:
Es kommen zu viele neue, bisher unbekannte Risiken auf Organisationen zu, als dass man weiterhin 'Risikomanagement im Rückspiegel' betreiben könnte.
Risikoentscheidungen zu Klima- oder Cybergefahren können nicht auf Vergangenheitswerten basieren – die sogenannten 'Emerging Risks' zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch fehlende historische Daten kaum oder nur schwer zu bewerten sind, so Pahl.
Neue Risikofelder – das kommt auf die Unternehmen zu
In diesem Jahr werden neu aufkommende Risiken an Bedeutung gewinnen. Pahl erläutert: Die Aufgabe der Unternehmen liege darin, deren Wahrscheinlichkeit für die eigene Organisation zu antizipieren, die möglichen Folgen abzuschätzen und im Rahmen einer Gesamt-Risikostrategie abzusichern.
ESG: Nachhaltigkeitsverpflichtungen
ESG-Kriterien fließen zunehmend in die Unternehmensbewertung ein und werden zum Erfolgsfaktor bei der Beschaffung von Kapital. Monika Behrens, Geschäftsführerin der Willis Towers Watson Versicherungsmakler GmbH, erläutert:
ESG zwingt zum Umdenken, denn die Kriterien zählen seit diesem Jahr auch in der Versicherung zum regulatorischen Standard. Firmen, die diese Standards nicht erfüllen, riskieren, dass sie künftig keinen adäquaten Versicherungsschutz mehr erhalten.
Insgesamt steigt der Druck auf Unternehmen, nachhaltiger zu werden, um ihre eigene Auswirkung auf das Klima zu minimieren.
Auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das ab 2023 in Kraft tritt, fordert nachhaltiges Handeln: Es verpflichtet zu einer Risikoanalyse der eigenen Lieferkette im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden. Behrens weiter:
Damit Unternehmen resilient gegen die Herausforderungen aus Klimakrise und Nachhaltigkeit werden können, ist künftig die Kooperation von Risk Management und Sustainability Management in einer Organisation besonders wichtig.
Klimarisiken
Bereits heute führen Überschwemmungen, Hitzewellen oder kriegerische Auseinandersetzungen um Wasser die Liste der Klimarisiken an. Jedes Unternehmen kann die daraus resultierenden Bedrohungen nur individuell für sein Geschäft und seine Standorte bewerten. Dafür sind moderne Tools und umfassende Datenbanken nötig, die aufzeigen können, mit welchen Schäden etwa in einer bestimmten Region gerechnet werden muss. Behrens fügt hinzu:
Wer Klimagefahren erkennt, sollte zweigleisig fahren. Es gilt einerseits, Risiken durch Präventionsmaßnahmen abzumildern, andererseits mögliche Verluste durch Versicherungslösungen abzudecken.
Cyber-Gefahren
Aufgrund massiv gestiegener Cyber-Schäden zeichnen Versicherer dieses Risiko immer zurückhaltender. 2022 werden die verfügbaren Kapazitäten weiter reduziert, sodass vor allem Großunternehmen kaum noch ausreichend Versicherungsschutz erhalten.
Um weiterhin Cyber-Deckungen zu bekommen, müssen Unternehmen proaktiv die Schwachstellen in ihren IT-Systemen identifizieren und ausbessern, rät Behrens. Auch sollten sie verstärkt und wirksam in Prävention investieren, beispielsweise in die Schulung und Sensibilisierung ihrer Mitarbeiter.
Politische Risiken
Unternehmensverluste durch politische Turbulenzen – etwa durch Kriege, den Brexit oder COVID-19 – nehmen weltweit zu. Unternehmen sollten politische Spannungsfelder genau beobachten, um auf mögliche Auswirkungen gefasst zu sein. Behrens weiter:
Digitale Risikotools, die sich großer Datenmengen bedienen, können beispielsweise die Kosten für politische Risiken in bestimmten Rechtsräumen oder Industrien bewerten.
Für viele Unternehmen steigt mit der Corona-Pandemie auch das Insolvenzrisiko. Letztlich müssen laut Behrens selbst Unternehmen, die wirtschaftlich nicht unter der Pandemie leiden, 2022 herausstellen, wie sie beabsichtigen, den pandemiebedingten Risiken entgegenzuwirken.
Pandemie bedroht Stabilität in Unternehmen
Die Folgen von Corona sind in vielen Unternehmen noch nicht abschätzbar und spiegeln sich auf vielen Ebenen wider: Vielen gemeinsam ist die Sorge vor der wachsenden Inflation. Diesbezüglich müssen bestehende Verträge und Versicherungssummen noch einmal überprüft werden, insbesondere in den Bereichen Sachversicherung und bei der Versicherung von Kostenpositionen.
Darüber hinaus sind neu aufkommende Mitarbeiterrisiken hoch. So zeigt der jüngste Benefits-Trends Survey von WTW, dass die Wechselbereitschaft von Mitarbeitern Ende 2021 sehr viel höher ist als vor der Pandemie. Eine stärkere Berücksichtigung von Benefits-Angeboten zur Mitarbeiterunterstützung und -bindung sind daher in Zukunft unerlässlich. Risikomanager müssen auch diese Felder fortwährend beobachten, um schnell handeln zu können.
Wechsel vom reaktiven auf proaktives Risikomanagement notwendig
Das neue Jahr konfrontiert Risk Manager mit vielen Einschränkungen: Reduzierung von Kapazitäten, Erhöhung der Prämien und begrenzte Versicherungsbedingungen. Zugleich steigen die Anforderungen des Gesetzgebers wie auch seitens der Versicherer an Nachhaltigkeit und Resilienz gegenüber neuen Bedrohungen. Risikoexperte Pahl sagt:
Die To-Do-Liste für 2022 umfasst daher vor allem eine umfassende Analyse aller Risiken, unter Berücksichtigung der Emerging Risks.
Man müsse sich früh mit den neuen Risiken beschäftigen und in die Prävention investieren. Nur wer vorausschauend handelt, kann sich laut Pahl ausreichend absichern.
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