Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin liefert zahlreiche Detailanalysen zur sozialen Wohnsituation der insgesamt rund 8,4 Millionen Mieterhaushalte in den deutschen Großstädten, unter anderem nach Einkommen, Haushaltsgröße, Kindern im Haushalt, Alter oder Migrationsstatus, und sie schlüsselt auf, in welchen Mietpreisklassen wie viele Wohnungen fehlen.
Die hohe Mietbelastung, die insbesondere viele Haushalte mit niedrigen Einkommen tragen müssen, führt knapp 1,1 Millionen oder 12,9 Prozent aller Mieterhaushalte in den deutschen Großstädten in eine extrem prekäre wirtschaftliche Lage.
Diesen Haushalten mit rund 2,1 Millionen Menschen bleibt weniger als das im Sozialrecht festgelegte Existenzminimum übrig, nachdem sie Miete und Nebenkosten (bruttowarm) bezahlt haben.
Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Besonders stark betroffen sind Haushalte von Alleinerziehenden: In dieser Gruppe bleibt einem guten Viertel nur ein Resteinkommen unterhalb des ALG II-Regelbedarfs beziehungsweise Existenzminimums.
Gleichzeitig verstärken hohe Wohnkosten die Einkommensspreizung in den Großstädten sehr deutlich: Mieterhaushalte der höchsten Einkommensklasse haben vor Abzug von Warmmiete und Nebenkosten im Mittel 4,4-mal so viel monatliches Nettoeinkommen wie die Haushalte der niedrigsten Klasse.
Nach Zahlung der Bruttowarmmiete steigt dieser Faktor auf das 6,7-fache.
Grund dafür: Ärmere Haushalte müssen einen weit überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden, obwohl sie auf deutlich weniger Wohnraum in schlechter ausgestatteten Wohnungen leben.
Ein Forschungsteam um den Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm hat dafür die neuesten verfügbaren repräsentativen Wohn-Daten ausgewertet, die aus dem Mikrozensus 2018 stammen. Die Forscherinnen und Forscher resümieren:
Die Wohnverhältnisse sind nicht nur Ausdruck, sondern selbst Faktor der sozialen Ungleichheit in unseren Städten. Die ohnehin schon bestehende Einkommenspolarisierung wird durch die Mietzahlung verstärkt. Und: Wohnen kann arm machen.
77 Großstädte im Ranking
Zudem zeigt sie in einem Ranking für alle 77 Großstädte, wie gut oder schlecht die ansässige Bevölkerung mit für sie in Preis und Größe angemessenen Wohnungen versorgt ist.
Da dabei sowohl die lokalen Miethöhen als auch das Einkommensniveau in der jeweiligen Stadt zentrale Faktoren sind, schneiden so unterschiedliche Städte wie Chemnitz, Dresden, Koblenz, Leipzig, Ingolstadt, Erfurt, Bottrop oder Magdeburg vergleichsweise gut ab, wobei überdurchschnittlich viele ostdeutsche Großstädte vorne im Ranking platziert sind.
Allerdings weist selbst das erstplatzierte Chemnitz lediglich einen „Versorgungsgrad der Realversorgung“ von knapp 65 Prozent auf. Das bedeutet, dass auch dort aktuell rund ein Drittel der Haushalte in für sie zu teuren oder zu kleinen Wohnungen lebt.
Im Mittel der deutschen Großstädte liegt dieser Anteil bei knapp 53 Prozent. Das entspricht bundesweit 4,4 Millionen Großstadt-Haushalten in zu kleinen oder zu teuren Wohnungen, gemessen an der im Sozialrecht pro Kopf eines Haushaltes als angemessen geltenden Quadratmeterzahl und daran, dass nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die bruttowarme Miete ausgegeben werden sollten.
Im hinteren Feld finden sich mit unter anderem Bremerhaven, Recklinghausen, Krefeld, Saarbrücken, Aachen, Darmstadt, Wiesbaden oder Düsseldorf sowohl Städte in schwieriger wirtschaftlicher Situation als auch relativ wohlhabende Städte mit hohen Mieten. Bei den Metropolen liegt Berlin im oberen Drittel, deutlich schlechter ist die Situation in Hamburg, München und Köln.
Miete verschlingt 30 Prozent des Haushaltseinkommens
Die neue Untersuchung ergänzt eine Mitte Juni veröffentlichte Studie. Darin haben die HU-Wissenschaftler unter anderem aufgezeigt, dass 49,2 Prozent der Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben müssen, um ihre bruttowarme Miete zu bezahlen.
Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt.
Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können. Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden.
Die mittlere Mietbelastungsquote (Medianwert) für alle Mieterhaushalte in Großstädten liegt bei 29,8 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit nur knapp unter der Überlastungsgrenze.
In den vergangenen Jahren sind alle genannten Belastungsquoten zwar etwas zurückgegangen, weil auch bei Großstadtbewohnerinnen und -bewohnern die Einkommen im Mittel stärker stiegen als die Wohnkosten.
Große soziale Unterschiede
Vor allem für viele ärmere Haushalte entspannte sich die Situation kaum. Die über zwei Millionen Großstadthaushalte, deren Einkommen bei maximal 60 Prozent gemessen am mittleren (Median-)Einkommen aller Großstadthaushalte liegt, müssen im Mittel 46,2 Prozent davon für die Bruttowarmmiete aufwenden.
Fast 92 Prozent dieser Haushalte an der Armutsgrenze geben mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen aus, 39 Prozent sogar mehr als die Hälfte.
Auch Haushalte, die zwischen 60 und 80 Prozent des Medianeinkommens haben, haben mit 35,1 Prozent eine mittlere Mietbelastung deutlich über der 30-Prozentmarke zu schultern, zeigt die neue Studie. Mehr als zwei Drittel von ihnen überschreiten diese Marke.
Tabellen: © (1 - 3) Microzensus
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