Welche Auswirkungen hat der Markteintritt von Tesla auf die Versicherungsbranche?
„Versicherung für das 21. Jahrhundert!“ So preist Tesla seinen Markteintritt an. Bereits seit vergangenen Jahr ist der Autokonzern auf dem kalifornischen Markt vertreten und plant nun, zu expandieren. Stephen Voss, Mitbegründer der Neodigital Versicherung AG, hat mit der experten-netzwerk-Redaktion über Teslas Pläne gesprochen.
Herr Voss, wie schätzen Sie grundsätzlich die Pläne zum Markteintritt von Tesla ein?
Stephen Voss: Auch wenn der Autobauer ein Quereinsteiger ist und dementsprechend nicht über langjährige Markterfahrung verfügt, dürfen die Versicherer ihn nicht unterschätzen. Das ist durchaus eine ernstzunehmende Ansage von Elon Musk.
Tesla sammelt derzeit bereits in seinem Heimatmarkt Erfahrungen und es ist auch logisch, dass der Autohersteller vom Kernmarkt ausgehend die wichtigsten internationalen Märkte verfolgt. Zumal Deutschland auch ein sehr versicherungsaffines Land ist.
Ich sehe dabei zwei Gründe für diese Pläne: Zum einen gibt es in den Augen von Elon Musk noch keinen für seine Fahrzeuge passenden Versicherungsschutz. So gehen generell die Versicherungsanbieter von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor aus und auch der aktuelle Stand der Versicherungsbausteine im Kfz-Markt spiegelt die Technologie seiner Fahrzeuge nur unzureichend wider. Denn es ist in Studien bereits bewiesen worden, dass Fahrer von E-Fahrzeugen defensiver fahren.
Zum anderen sind Tesla-Kunden Überzeugungstäter. Sie fahren das Fahrzeug sicherlich zum Teil aus ökologischen Gründen, aber auch, weil sie damit ein Statement abgeben. Damit kann er die starke Markenaffinität seiner Kernkundschaft nutzen und seine Kunden in seiner Markenwelt halten.
Es wäre naiv anzunehmen, Tesla würde jetzt erst anfangen, Daten zu sammeln. Der Fahrzeughersteller weiß, in welchen Fahrzuständen und in welchen Beschleunigungsregionen sich das Fahrzeug befindet. Und wenn er dies mit den sozio-ökonomischen Kundendaten verknüpft, wird daraus ein Risikoprofil.
Welche Auswirkungen hat der geplante Markteintritt Ihrer Einschätzung nach auf die Versicherungsbranche?
Wir sollten den Markteintritt nicht überbewerten, denn es ist im Vergleich zum Gesamtautomarkt mit 2846 Neuzulassungen im August 2020 keine sehr große Anzahl. Zum Vergleich: Volkswagen hatte im selben Zeitraum 43.842 Neuzulassungen. Deswegen wird der Markteintritt von Tesla jetzt nicht zu einer großen Disruption im Versicherungsmarkt führen.
Marke | Anzahl der Neuzulassungen (Oktober 2020) |
Renault ZOE | 5.010 |
Volkswagen ID.3 | 2.647 |
Hyundai Kona Elektro | 1.932 |
smart fortwo electric drive | 1.846 |
Volkswagen e-Golf | 1.300 |
Tesla Model 3, X und S | 252 |
Quelle: GoingElectric
Allerdings werden sich die Versicherer auch den modernen Themen der Mobilität schnell annehmen müssen. Es wird sich zeigen, dass die versicherungsmathematische Grundlage detaillierter werden muss. Es ist nicht mehr eine große Menge von eine Millionen Fahrzeuge über alle Gattungen, sondern dies wird sicher spezifischer werden.
Das Ganze beschleunigt sich nun, da der Druck wächst. Denn Tesla hat den klaren Vorteil: Sie wissen genau, wer ihre Kunden sind, also welche Einkommens- und Bildungsklassen. Dies bringt einen Vorteil in der Risikokalkulation.
Ich gehe deswegen davon aus, dass es insgesamt zu einer stärkeren Differenzierung Richtung E-Mobilität gehen wird.
Zu beachten ist dabei allerdings, dass, auch wenn die Fahrer von E-Fahrzeugen defensiver fahren, die Alltagssituation bleibt. Wir wissen, dass ein E-Fahrzeug gerade in Schadenfall, vor allem im Brandfall, viel höhere Kosten generiert als ein klassisch angetriebener Pkw. Aber hier müssen noch viel mehr Daten gesammelt werden.
Wie sollten ihrer Meinung nach die Wettbewerber jetzt auf den Markteintritt von Tesla reagieren?
Zunächst einmal gelassen. Der deutsche Automobilmarkt wird noch von vielen anderen Herstellern dominiert.
Gelassenheit bedeutet aber nicht, dies zu ignorieren. Sondern Gelassenheit bedeutet: Es ist ein bestehendes Geschäftsmodell vorhanden, das funktioniert, weil es noch viele verschiedene Fahrzeugarten, -gattungen und Antriebsformen im Markt gibt.
Aber wir werden in Zukunft eine veränderte Mobilität haben und werden vermehrt andere Antriebsarten sehen. Damit meine ich nicht nur E-Autos, sondern auch die Brennstoffzelle beispielsweise. Das bedeutet, wenn das, was Tesla plant, ein Signal an die Versicherer geben darf, dann ist es das Signal, nicht mit dem bestehenden Modell stehen zu bleiben, sondern neue Versicherungskonzepte für neue Mobilitätskonzepte zu erforschen und weiter auszubauen.
Tesla gibt ja – im Gegensatz zu vielen anderen Autoversicherern – einen Rabatt aufs autonome Fahren. Halten Sie sowas für sinnvoll?
Es gibt beim autonomen Fahren fünf verschiedene Levels. Wenn es um das vollständig autonome Fahren geht, sehe ich in erster Linie die ethische Komponente, die bisher noch nicht zu Ende diskutiert wurde.
Erstes Level
(Assistiertes Fahren) |
Zweites Level
(Teil-automatisiertes Fahren) |
Drittes Level
(Hoch-automatisiertes Fahren) |
Viertes Level
(Voll-automatisiertes Fahren) |
Fünftes Level
(Autonomes Fahren) |
Unterstützung des Fahrers durch einzelne Assistenzsysteme | Das Fahrzeug bremst, beschleunigt oder hält eigenständig die Spur | Bestimmte Fahraufgaben erfolgen für einen begrenzten Zeitraum ohne menschlichen Eingriff | Alle Fahraufgaben werden über einen längeren Zeitraum hinweg vom Fahrzeug übernommen | Das Auto bewältigt sämtliche Verkehrssituationen. Es gibt nur noch Passagiere, keinen Fahrer mehr |
Quelle: ADAC
Aber ich glaube schon, dass bestimmte sicherheitstechnische Ausstattungen, wie ein Spurhalte- und ein Bremsassistent, die Schadenwahrscheinlichkeit verringern. Deswegen finde ich es sinnvoll, dass Fahrer von Autos mit Assistenzsystemen einen Rabatt auf ihre Kfz-Versicherung erhalten.
Dies bedeutet, dass die Autoversicherer sich dafür allerdings die Autodaten detaillierter anschauen müssen, um herauszufinden, welche Assistenzsysteme das Fahrzeug hat, um dementsprechend auch den Beitrag berechnen zu können. Und hier kommen neue digitale Versicherer im Markt in Spiel, die diese Daten abfragen und diese Daten auch in Tarife umsetzen können. Damit kommen wir zu einer besseren Risikokalkulation.
Aber auch da müssen wir aufpassen, denn Versicherung bedeutet noch immer einen „Ausgleich im Kollektiv“. Doch wenn ich im Kollektiv sagen kann, dass 30 Prozent meiner Fahrzeuge mit solchen Assistenzsystemen ausgestattet sind, dann kann ich natürlich trotzdem das Kollektiv schützen. Und die 30 Prozent bekommen die Versicherung günstiger angeboten.
Die Komplexität ist eben nur – und jetzt kommen wir wieder zu Tesla zurück – wie soll denn der klassische Versicherer diese Informationen abfragen? Woher soll er wissen, welches Fahrzeug welches Assistenzsystem hat und welches System wie gut funktioniert? Dies ist natürlich für Tesla einfacher, weil bekannt ist, wie die Assistenzsysteme in welcher Situation reagieren.
Das weitere Problem ist, dass sich die Systeme stetig weiterentwickeln. Woher soll nun der Versicherer wissen, welches in dem Fahrzeug verbaut ist? Deswegen kann nicht erwartet werden, dass die großen Versicherer, nur weil Tesla das kann, es auch können.
Könnten Sie sich vorstellen, dass andere Hersteller ihre Versicherungen nun noch genauer zuschneiden und beispielsweise auch auf seine eigenen Autos 30 Prozent Rabatt gibt?
Das hängt immer von der Strategie des Unternehmens ab. Sinnvoll wäre es aber auf jeden Fall. Denn die Hersteller kennen ihre E-Autofahrer, die „Überzeugungstäter“ sind. Und wenn sie diese rundum bedienen können und damit auch an diesem Teil der Wertschöpfungskette partizipieren können, – nicht, um mit der Versicherung Geld zu verdienen, sondern allein um den Kunden mehr in ihrer Markenwelt zu halten – warum nicht.
Welche technologischen Voraussetzungen benötigt Tesla, um erfolgreich auf dem Versicherungsmarkt einzusteigen?
Das ist relativ einfach: Sie brauchen ein modernes, digitales Bestandsführungssystem, dass die Daten vom Kunden und die Daten, die das Fahrzeug generiert, verarbeiten kann. Dies ist kein klassisches Versicherungssystem mehr, sondern digitales Kernsystem, in dem Produkte und Bausteine volldigital vorliegen müssen.
Der Tesla-Kunde wird erwarten, dass alle versicherungsrelevanten Daten auf einer Plattform innerhalb seiner Fahrzeug-App abrufbar sind. Er wird sicher nicht ein hochmodernes E-Fahrzeug haben und die Policen-Kopie in Papierform in sein Handschuhfach legen.
Deswegen ist ein agiles, modernes Bestandsführungs- und Produkt-System notwendig. Das Produktsystem muss modular sein und darauf aufbauend auch verbessert werden können. Der Tarif muss sich im System evolutionär entwickeln können. Dazu muss er sehr detailliert und feingliedrig systemisch aufgesetzt und abgebildet werden.
Würden Sie denn mit Tesla zusammenarbeiten?
Wir würden gerne mit Tesla zusammenarbeiten, weil wir diese Systemvoraussetzungen haben. Wir bauen unsere Sachversicherungsprodukte jetzt schon genau nach diesem Modell auf. Wir sagen, eine Haftpflicht besteht aus X Leistungsebenen, die wir einzeln abgebildet haben. Damit lassen sie sich je nach Nutzer modular zusammenstellen, kann aber auch um die Zeile X+1 und X+2 erweitert werden. Deswegen haben wir nicht einen Bestand von verschiedenen Versicherungsgenerationen im System. Dies ist einfacher zu verwalten.
Glauben Sie, dass Tesla, langfristig gedacht, den Versicherungsschutz auf andere Fahrzeughersteller ausweiten könnte?
Wenn ich mal in die Glaskugel schaue, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass sich Tesla mit anderen E-Auto-Herstellern ein Versicherungspool und ein Datenpool bildet. Hier würden mehrere Versicherungsgesellschaften ihre Daten anonymisiert einliefern und alle können aus diesen Daten dann tarifieren. Dies wäre eine sehr spannende Entwicklung.
Der Markteintritt von Tesla ist insgesamt ein sehr spannendes Thema. Er sollte ein Signal für den Versicherungsmarkt geben, aber die große Disruption wird meines Erachtens nach ausbleiben.