Wenn ein Radfahrer einem Auto die Vorfahrt nimmt und der Autofahrer nichts dabei falsch gemacht hat, so haftet der Radfahrer für die Folgen des Unfalls allein. Dabei spielt die sogenannte „Betriebsgefahr“ des Autos dann unter Umständen keine Rolle mehr. Darauf wies das Oberlandesgericht Hamm in einem Beschluss hin.
Eine Radfahrerin und eine Autofahrerin waren auf einer Landstraße, die zwischen Feldern hindurchführt, kollidiert. Die Autofahrerin war auf gerader Strecke mit etwa 60 bis 70 km/h unterwegs, erlaubt waren 100 km/h.
Als die Radfahrerin von links kommend auf diese Straße einbog, geriet sie vor das Auto und erlitt erhebliche Verletzungen. Die Einmündung war durch Bäume und Sträucher unübersichtlich, es galt „rechts vor links“.
Die Radfahrerin gab an, verletzungsbedingt jede Erinnerung an den Unfall verloren zu haben und beide Unfallbeteiligten verklagten sich gegenseitig auf Schadenersatz.
Laut dem Oberlandesgericht Hamm war die Radfahrerin für den Unfall allein verantwortlich, weswegen sie keine Ansprüche gegen die Autofahrerin hat.
Ein Sachverständiger rekonstruierte den Unfallhergang. Demnach war die Autofahrerin mit 60 bis 70 km/h deutlich unterhalb der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unterwegs. Deswegen gab es für sie keinen Grund, ihre Geschwindigkeit noch weiter zu reduzieren. Denn grundsätzlich dürfen sich Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass andere die Vorfahrtsregeln beachten.
Die Autofahrerin hat laut dem Sachverständigen beim Auftauchen der Radfahrerin sofort reagiert und ein Bremsmanöver eingeleitet. Sie hat nicht gegen Verkehrsregeln verstoßen und auch das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 der Straßenverkehrsordnung nicht verletzt.
Dem Gericht zufolge trat auch die Betriebsgefahr vollständig gegenüber der Vorfahrtsverletzung in den Hintergrund. Die Beachtung der Vorfahrt sei eine Grundregel im Straßenverkehr. Ein Vorfahrtsverstoß sei schwerwiegend. Aufgrund des erheblichen Eigenverschuldens der Radfahrerin musste diese daher allein für die Unfallfolgen haften.
Beschluss vom 2. Januar 2018 (Oberlandesgericht Hamm, Az. 7 U 44/17)
Themen:
LESEN SIE AUCH
Richtungsweisendes Urteil des OLG Hamm gegen den Versicherungsnehmer oder Einzelfall?
Bei mobiler Halteverbotszone muss Autofahrer Verkehrsschilder beachten
Pkw-Fahrer haftet auch für Sturz eines Radfahrers nach Ausweichmanöver
Zu weit geöffnete Fahrertür
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
E-Scooter: Trunkenheitsfahrt kann Führerschein kosten
E-Scooter-Fahrer sind im Straßenverkehr nicht besser gestellt als Autofahrer. Wer alkoholisiert fährt, muss mit Konsequenzen rechnen – bis hin zum Führerscheinentzug. Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass bereits ab 1,1 Promille absolute Fahruntüchtigkeit besteht.
Widerrufsbelehrung: Urteil zugunsten von AXA – Verbraucherschützer prüfen nächste Schritte
Der Bund der Versicherten (BdV) und die Verbraucherzentrale Hamburg haben vor dem Oberlandesgericht Köln eine Niederlage erlitten. Die Klage gegen die Widerrufsbelehrung der AXA Relax PrivatRente Chance wurde abgewiesen (Az. 20 UKl 1/24). Das Gericht entschied, dass die Belehrung den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Betriebliche Altersversorgung während der Coronakrise ausgesetzt - zu Recht?
Die Aussetzung von Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) im Zuge der Coronakrise unterliegt einer Prüfung nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, so das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Fristenkontrolle: Anwälte müssen nicht doppelt prüfen
Rechtsanwälte müssen Fristen nicht doppelt prüfen, sofern sie sich auf eine funktionierende Organisation und die Vermerke in den Handakten verlassen können, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). Das hat nicht nur praktische, sondern auch haftungsrechtliche Konsequenzen.