Schöne neue Versicherungswelt nur für die, die sich wandeln

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Versicherungen befinden sich in stürmischen Zeiten. Sie müssen angesichts des hohen Transformationsdrucks in sehr kurzer Zeit die richtigen Antworten auf zahlreiche Megatrends vom demografischen Wandel bis hin zur Nachhaltigkeit finden, ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen und sich in großen Teilen auch neu erfinden. Das zeigt die neue Studie „Vision Versicherungen 2030 – ein Blick auf die bisherige Entwicklung“ von BearingPoint und dem Handelsblatt Research Institute.

Analysiert wurden die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für die Branche und dafür auch Handlungsoptionen aufzeigt. Im Kern geht es bei der Studie um eine Bestandsaufnahme des Fortschritts der Branche im Hinblick auf die in der Studie von BearingPoint im Jahr 2020 erarbeitete Vision Versicherungen 2030.

Diese Vision setzt sich aus insgesamt zwölf Thesen zusammen, welche die künftige Welt der Versicherer skizzieren und die auf den zentralen Säulen demografischer Wandel, Gesundheit, Mobilität, Urbanisierung, Individualisierung, Neo-Ökologie, Konnektivität und Automatisierung basieren:

  • These 1: „Geschäftsmodelle: Es wird neue bzw. andere Formen von Versicherungen geben.“
  • These 2: „Vertrieb: Versicherer werden teilweise den Kontakt zum Endkund:innen verlieren.“
  • These 3: „Produkte: Künftige Versicherungsprodukte werden flexibler und/oder Bestandteile anderer Wertschöpfungsketten.“
  • These 4: „Underwriting: Rückversicherer werden ihr vielfältiges Wissen vermehrt in Prozesse der Erstversicherung einbringen.“
  • These 5: „Schaden & Leistung: Trotz Verlusts des Endkundenkontakts funktioniert der Service. Künftige Technologien unterstützen dabei.“
  • These 6: „Asset Management & Real Estate: Exakt prognostizierbare Gewinne aus diesem Tätigkeitsfeld bleiben ein Wunsch.“
  • These 7: „CFO & Reporting: Der CFO-Bereich wird stark in die Zukunft schauen und agiert als Inhouse Consulting.“
  • These 8: „Controlling: Strategien ändern sich bis 2030 sehr, strategisches Controlling begleitet die Veränderung.“
  • These 9: „Policy Management: Heutige Bestandsführungen sind viel besser als früher. Dennoch gibt es noch viel Potenzial, z. B. bezüglich Bedienung.“
  • These 10: „Cloud ist vollumfänglich etabliert.“
  • These 11: „Merger & Co: Es kommt zu wenigen Mergern von Unternehmen und/oder Portfolios. Die Veränderungen sind nicht mehr limitiert auf Leben.“
  • These 12: „InsureTechs: Heutige InsureTechs werden einem großen Wandel unterliegen.“

Giso Hutschenreiter, Partner und Versicherungsexperte bei BearingPoint: „Die Versicherungsbranche befindet sich bereits mitten in einer Zeitenwende. Kund:innen erwarten heute eine ständige Verfügbarkeit, schnellen Service und vollumfassende digitale Kommunikation. Also zum Beispiel eine Versicherung für ein paar Stunden oder ein paar Tage, fürs Bergsteigen oder Handwerkerservice – und möglichst alles per Klick in wenigen Minuten erledigt. Der persönliche Kontakt ist nach wie vor wichtig für den Vertriebserfolg, doch er findet noch stärker zusätzlich über mehr digitale Kanäle statt. Und die gilt es entsprechend zu bedienen, will man den Kontakt zu Endkund:innen nicht verlieren. Damit das optimal gelingt, müssen Versicherer ihre Angebote noch stärker für die Kund:innen entwickeln und nicht für den Vertrieb. Unsere Studie zeigt, dass OpenAI derzeit noch wenig im Einsatz ist, jedoch bietet gerade die automatisierte Beratung durch smarte Technik wie Chatbots und künstliche Intelligenz viele Vorteile, beispielsweise reduzierte Fehlerquoten und Prozessbeschleunigung. Um ihre Marktposition zu sichern und zu stärken, müssen Versicherer vor allem auch Innovationen konsequent vorantreiben.“

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Versicherungsbranche hinkt anderen Branchen beim Einsatz moderner Technologien hinterher

Über alle Themenbereiche hinweg bleibt die konsequente Digitalisierung ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Kampf um die Kund*innen. Laut einer BearingPoint-Umfrage von Februar 2023 bevorzugen alle Befragten, unabhängig von Bildungsabschluss, Arbeitssituation oder Altersgruppe, eine digitale Kommunikation mit den Versicherungen. Und je jünger und medienaffiner Kund*innen sind, desto größer ist der Wunsch nach unkomplizierten, digitalen Lösungen. Versicherungen, die es schaffen, sämtliche Prozesse inklusive Genehmigungs- und Vertragsprozesse ganzheitlich zu digitalisieren, werden laut Studie in Zukunft den entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben. Technik wie künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine wichtige Rolle. Durch Automatisierung auf Basis von KI senken Versicherer Fehlerquoten und beschleunigen Prozesse. Auch VR-Technologien – Virtual Reality – werden teilweise bereits in der Beratung eingesetzt. Doch insgesamt hinkt die Versicherungsbranche anderen Branchen beim Einsatz moderner Technologien weit hinterher, so zum Beispiel bei der Anzahl der Unternehmen und Organisationen, die OpenAI-Anwendungen nutzen.

Großes Vertrauen setzen Investoren hingegen zum Beispiel in InsureTechs, die sich mit KI beschäftigen oder Lösungen rund um das Internet der Dinge bauen. So setzen inzwischen mehr als die Hälfte der Versicherungsgesellschaften direkt oder indirekt auf das Internet der Dinge. Unter den KI-Ansätzen sind besonders Vorhersagemodelle im Kommen. Gerade Cyberbedrohungen gehören für Unternehmen jeder Größe heute zudem zum Alltag und speziell hier müssen Versicherungen völlig neue Risiko- und Vorhersagemodelle entwickeln.

Versicherungen haben Cloud und Cloudcomputing nicht auf dem Schirm

Auch beim Thema Cloud bzw. Cloud Computing sieht es laut der Studie noch recht mager aus. Obwohl kundenorientierte, effiziente und damit auch kostenbewusste Cloud-Systeme das Tagesgeschäft erleichtern würden, ist das Zielbild, wonach jeder große Versicherer seine neuen Infrastrukturlösungen und Anwendungen aus der Cloud mit Sicherheitslösungen bezieht, noch weit weg. Viele Versicherer zögerten bei der Umstellung, weil sie zu große Aufwände und Komplexität bei einem Wechsel in die Cloud befürchteten.

Relevantere Generationenunterschiede und zielgenaue Kundenansprache als zentrale Herausforderung

Wer heutzutage auf dem Versicherungsmarkt ganz vorne mitspielen will, muss den verschiedenen Kundengruppen passgenaue Angebote machen, schnell und flexibel sein sowie einen 24/7-Service anbieten, empfiehlt die Studie – und das heißt, alle Generationen entsprechend ihrer Hauptkanäle zu bedienen. Dafür sei es wichtig, die Generationenunterschiede in den Fokus zu nehmen und sich intensiver mit den verschiedenen Generationen, deren unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen zu beschäftigen – ein Punkt, der bisher wenig Beachtung fand, aber von zentraler Bedeutung ist.

Im Jahr 2030 wird die Babyboomer-Generation im Ruhestand sein und die Altersgruppe derjenigen, die 60 Jahre und älter sind, um mehr als drei Millionen zusätzliche Versicherungskund*innen gestiegen sein. Die klassischen Kerngruppen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren schrumpfen bis dahin um mehr als vier Millionen Menschen. Das bedingt neue Abwerbe-, Geschäfts- und Vertriebsstrategien für Versicherer. Insbesondere in der Generation Z ist das eine große Herausforderung. Junge Leute beschäftigen sich nur ungern mit Versicherungen. Dies zeigt eine BearingPoint-Umfrage unter 18- bis 20-Jährigen in Deutschland. Darin liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für die Branche.

Dr. Sven Jung, Director Economic Analysis & Financial Planning beim Handelsblatt Research Institute: „Unter den Versicherungen herrscht ein enormer Wettbewerbs- und Veränderungsdruck. Lang eingespielte Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle gilt es, der neuen Realität anzupassen. Einige Versicherer sind schon sehr weit, andere hingegen zögern immer noch, zentrale Weichenstellungen für den heutigen und zukünftigen Markt vorzunehmen. Konkret heißt das: Modernisierung der IT-Landschaft, agile Cloud-Nutzung, höhere Kundenzufriedenheit und -bindung, engere Verknüpfung von digitalen Ökosystemen und stärkere Einbindung von Versicherungsprodukten bei Drittanbietern. Wir erwarten, dass im zukünftigen Verdrängungswettbewerb insbesondere Anbieter mit kleinen Beständen aus dem Markt ausscheiden werden. Dieser langfristige Abwärtstrend könnte sich nun – nach einer mehrjährigen Pause – mit erhöhter Geschwindigkeit fortsetzen.“

Über die Studie: Die neue Studie „Vision Versicherungen 2030 – ein Blick auf die bisherige Entwicklung“ untersucht, welche Veränderungen in der Versicherungswelt mit Blick auf die Vision Versicherungen 2030 in den vergangenen drei Jahren bereits zu verzeichnen sind. Außerdem erfolgt ein Validitätscheck, inwieweit die zwölf Thesen der Vision angesichts der aktuellen Megatrends und Veränderungen im Alltag der Kund*innen noch passend sind. Abschließend wird skizziert, wie der weitere Weg zur Vision Versicherungen 2030 aussieht.

Bild (2): © BearingPoint GmbH