Die Hanns-Seidel-Stiftung lässt vom ifo Institut in einer Studie die finanzielle Lage der Mittelschicht in Deutschland untersuchen. Im zweiten Teil der mehrteiligen Studie mit der Grundsatzfrage: "Gibt es eine Gerechtigkeit für die Mittelschicht?" geht es um die finanzielle Ausstattung der Deutschen im europäischen Vergleich.
Die Mittelschicht ist in Deutschland einkommensmäßig weitgehend stabil, mit Blick auf die Teilhabe an der Entwicklung der Vermögen ist sie es aber nicht. "Trotz einer hohen Sparquote fällt die deutsche Mitte bei der Vermögensbildung immer weiter zurück. Im EU-Vergleich hat Deutschland eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten und gleichzeitig eine der niedrigsten Eigentumsquoten", so der Europaabgeordnete und Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung Markus Ferber bei der Vorstellung der Studienergebnisse. In diesem Zusammenhang stellte er auch die rhetorische Frage: "Ist dies gerecht?" Eine Antwort hierzu formulierte das Münchner ifo Institut im Rahmen der Studie auf wissenschaftlicher Basis.
Deutschlands Mittelschicht gehöre bei der Steuer- und Abgabenlast zur Spitzengruppe im EU-Vergleich. Deutschlands Mitte bleibe damit nach Steuern und Transfers vom Brutto anteilig weniger zum privaten Vermögensaufbau und zur Eigenvorsorge übrig, so Dr. Florian Dorn vom ifo Institut und ergänzt, dass sich das auch auf die privaten Nettovermögen im europäischen Vergleich auswirke. Deutschlands Mitte liege bei den Nettovermögen nur im Mittelfeld!
Die Ergebnisse im Einzelnen:
1. Größe und Einkommen der Mittelschicht im europäischen Vergleich
Die Größe der Mittelschicht innerhalb Europas variiert zwischen den Ländern. So zählen in Bulgarien nur die Hälfte der Haushalte zur Mittelschicht, während in der Slowakei die Mittelschicht mit einem Anteil von 76 Prozent eine breite Masse der Gesamtbevölkerung umfasst. Deutschland liegt mit seinem Anteil der Mittelschicht (63 Prozent) im Mittelfeld des europäischen Vergleichs.
Die Größe der deutschen Mittelschicht bröckelt. Sie kann mit der positiven Entwicklung anderer EU-Länder nicht Schritt halten. Lag Deutschland im Jahr 2007 (mit 65 Prozent) noch auf Rang 9 im europäischen Vergleich und somit im oberen Drittel der Verteilung, so findet es sich im Jahr 2019 (mit 63 Prozent) nur noch auf Platz 14 wieder.
Deutschlands Mitte liegt bei den verfügbaren Einkommen im oberen Viertel. Deutschlands Mittelschicht liegt knapp hinter der von Ländern wie Finnland, Österreich, Schweden oder Irland und unmittelbar vor den Einkommen der Mittelschicht in Ländern wie den Niederlanden und Belgien.
Mit etwas Abstand folgen Frankreich, Großbritannien und Italien. Im europäischen Vergleich hat die Mittelschicht in Luxemburg am meisten Geld zur Verfügung, gefolgt von Dänemark. Am anderen Ende der Verteilung finden sich Bulgarien und Rumänien.
Auch die Lebenshaltungskosten in den Mitgliedsstaaten unterscheiden sich deutlich. Deutschland bewegt sich beim verfügbaren Haushaltseinkommen in einer Gruppe von Ländern, die im Durchschnitt des Landes typischerweise von höheren Lebenshaltungskosten geprägt sind. Zu den Ländern mit etwas höheren Preisniveaus gehören Österreich, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Großbritannien, Schweden und Finnland.
Am teuersten in der EU ist das Leben in Dänemark, Irland und Luxemburg. Günstiger als in Deutschland ist es hingegen unter anderem in Italien, Spanien, Zypern, Portugal oder Griechenland. In diesen Ländern können mit demselben verfügbaren Einkommen mehr Waren und Dienstleistungen konsumiert werden. Am preiswertesten in der EU ist das Leben in Bulgarien oder Rumänien. Hier sind die Lebenshaltungskosten nur etwa halb so hoch wie in Deutschland.
2. Steuer- und Abgabenlasten der Mittelschicht im europäischen Vergleich
Die Steuer- und Abgabenlast in Europa unterscheidet sich je nach dem, in welchem Land man lebt, zu welchem Haushalt man gehört und in welcher Einkommensschicht man sich wiederfindet. Deutschland pendelt je nach Haushaltstyp und Einkommensschicht im EU-Vergleich zwischen durchschnittlicher und sehr hoher Belastung.
Familien werden unterm Strich tendenziell weniger von staatlichen Abgaben belastet als Singles. Die untere und mittlere Mittelschicht wird in Deutschland unabhängig vom Haushaltstyp (Familien und Singles) im EU-Vergleich überdurchschnittlich stark belastet. In der Spitzengruppe der Steuern und Abgabenlasten im EU-Vergleich sind Single-Haushalte der oberen Mittelschicht in Deutschland.
Familien und Singles der Mittelschicht in Ländern wie Österreich, Frankreich, Spanien, Portugal oder Griechenland haben eine geringere effektive Steuer- und Abgabenlast. Italien hat bei Single-Haushalten geringere Abgabenlasten, bei Familien der mittleren und oberen Mitte jedoch höhere als Deutschland. Die geringsten Steuer- und Abgabenlasten im EU-Vergleich fallen u.a. in Rumänien oder Zypern an; die höchsten unter anderem in Dänemark.
3. Nettovermögen im europäischen Vergleich
Bei den Nettovermögen liegen die deutschen Haushalte im Vergleich von 22 europäischen Ländern im Mittelfeld. Bei Durchschnittsvermögen liegt Deutschland an 9. Stelle, etwa auf einem ähnlichen Niveau Frankreichs, Spaniens oder Österreichs und vor Italien.
Betrachtet man jedoch den Median, also das Nettovermögen des mittleren Haushalts in der Vermögensverteilung, so liegt Deutschland nur noch auf dem 12. Rang, deutlich hinter Ländern wie Frankreich, Spanien, Zypern, Irland oder Italien.
Diese Diskrepanz deutet auf eine höhere Vermögensungleichheit in Deutschland zwischen den Topvermögenden und den Nettovermögen der Mitte als in vergleichbaren Ländern Europas hin. Bei den Nettovermögen liegt Luxemburg mit Abstand an der Spitze und die baltischen Staaten am Schluss der 22 Länder.
Nur 44 Prozent der deutschen Haushalte leben in ihrem Eigenheim. Damit ist Deutschland das Schlusslicht im europäischen Vergleich. Auf einem ähnlich niedrigen Niveau liegt Österreich, die Niederlande und Frankreich folgen danach. Im Durchschnitt liegt die Quote im EU-Vergleich bei 71,5 Prozent.
Nahe beim Durchschnitt liegen Haushalte in Ländern wie Italien, Belgien, Portugal oder Griechenland. Besonders in den osteuropäischen Ländern wohnen viele Haushalte in einer eigenen Immobilie. Dies spiegelt jedoch nicht die durchschnittliche Höhe der Immobilienvermögen wider, die in Osteuropa im Durchschnitt geringer sind.
Deutschlands Haushalte liegen mit ihrem durchschnittlichen Immobilienvermögen etwa gleichauf mit Finnland und Frankreich im Mittelfeld, knapp hinter Ländern wie Österreich, Italien und Spanien. An der Spitze der durchschnittlichen Immobilienvermögen ihrer Haushalte liegt mit deutlichem Abstand Luxemburg.
Werden hingegen die Nettovermögen der betrachtet, so liegt die deutsche Mittelschicht im EU-Vergleich im vorderen Mittelfeld. Die untere und obere Mitte liegt im EU-Vergleich auf dem 7. Rang, die mittlere Mitte der Einkommensverteilung liegt bei den Nettovermögen auf dem 6. Rang.
Damit liegt die deutsche Mittelschicht mit ihrem Nettovermögen vor der Mittelschicht in Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien oder Österreich; und hinter den Nettovermögen der Mittelschicht unter anderem in Zypern, Irland oder Belgien.
Fazit
Die verfügbaren Einkommen der Mittelschicht in Deutschland liegen im EU-Vergleich zwar im vorderen Viertel, bei der Steuer- und Abgabenlast zählen sie aber zur Spitzengruppe. Bei den Nettovermögen liegt Deutschlands Mitte im Mittelfeld im europäischen Vergleich. Beim Anteil der Haushalte, die in ihrem Eigenheim wohnen, ist Deutschland sogar Schlusslicht.
Teil 1 (Die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland) der dreiteiligen Studie "Gerechtigkeit für die Mitte?" ist bereits im Oktober 2022 veröffentlicht worden, nähere Informationen hierzu sind hier zu finden.
Themen:
LESEN SIE AUCH
Traum vom Eigenheim ausgeträumt?
Die stark steigenden Bauzinsen erschweren zunehmend den Immobilienkauf. Inzwischen kann sich die Mittelschicht Wohneigentum in vielen deutschen Städten kaum mehr leisten. In den Metropolen ist der Immobilienkauf selbst für Besserverdiener kaum mehr zu stemmen.
Gen Z zwischen Stabilitätssehnsucht und Flexibilitätsanspruch: Moderne Spießigkeit oder neue Normalität?
Tradition trifft Zeitgeist: Eine neue Umfrage zeigt, dass Studierende der Generation Z weniger von Statussymbolen als vielmehr von Eigenheim und Familie träumen. Warum dieser Wunsch nach Stabilität kein Rückschritt, sondern Ausdruck eines neuen Werteverständnisses ist – und was das für Arbeitgeber bedeutet.
Studie des Dezernat Zukunft: Reform der Einkommensteuer – Entlastung der Mittelschicht im Fokus
Die Einkommensteuerreform ist eines der zentralen Themen des Bundestagswahlkampfs 2025. Vor allem die Mittelschicht leidet unter der starken Belastung durch das aktuelle Steuersystem, das wegen des schnellen Anstiegs der Steuerlast in mittleren Einkommensbereichen oft als „Mittelstandsbauch“ bezeichnet wird.
Altersarmut bleibt große Sorge: Besonders Frauen betroffen
Fast jeder fünfte Deutsche über 65 Jahre ist armutsgefährdet. Laut der Studie „Die Ängste der Deutschen 2024“ fürchten 40 Prozent der Menschen, ihren Lebensstandard im Alter nicht halten zu können – bei Frauen ist die Sorge besonders ausgeprägt.
Unsere Themen im Überblick
Themenwelt
Wirtschaft
Management
Recht
Finanzen
Assekuranz
Abschlussabsicht und Kundentreue: Allianz und HUK ganz vorn
Mit gebündelter Marktpräsenz und hoher Kundenbindung behaupten sich die Allianz und die HUK-COBURG im aktuellen Versicherungsranking von research tools erneut an der Spitze. Laut der soeben veröffentlichten Studie „Unternehmensprofile Versicherungen 2025“ vereinen beide Anbieter gemeinsam mehr als 25 Prozent der 6.860 analysierten Produktabschlüsse auf sich.
Künstliche Intelligenz im Praxistest: Zwischen Investitionsboom und Sicherheitslücke
Künstliche Intelligenz wird in der Dienstleistungsbranche immer stärker eingesetzt – doch vielen Unternehmen fehlen Absicherungsstrategien, Know-how und ein klarer regulatorischer Kompass. Die Hiscox KI-Umfrage 2025 zeigt, wo Investitionen blühen – und wo Risiken unterschätzt werden.
Schadenökosysteme in der Assekuranz: Vom Trend zur Transformationsstrategie
Eine aktuelle Verisk-Studie zeigt: Die Versicherungsbranche in Deutschland erkennt zunehmend das Potenzial vernetzter Schadenökosysteme. Wie Versicherer und Dienstleister gemeinsam Effizienz, Innovation und Kundenzufriedenheit steigern wollen – und welche Hürden noch überwunden werden müssen.
Sportunfälle 2024: ERGO veröffentlicht neue Unfallstatistik pünktlich zur Frauen-EM
Fußball, Skisport, E-Bikes – wo Sport zur Gefahr wird: Die neue Unfallstatistik von ERGO zeigt, welche Sportarten 2024 besonders viele Verletzungen verursacht haben. Wer denkt, es trifft nur die Profis, liegt falsch. Besonders auffällig: Eine beliebte Sommersportart ist aus den Top Ten verschwunden.
Die neue Ausgabe kostenlos im Kiosk
Werfen Sie einen Blick in die aktuelle Ausgabe und überzeugen Sie sich selbst vom ExpertenReport. Spannende Titelstories, fundierte Analysen und hochwertige Gestaltung – unser Magazin gibt es auch digital im Kiosk.